Von Bagdad nach Stambul. Karl May

Читать онлайн.
Название Von Bagdad nach Stambul
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

sein, wenn die Leute denken, meine Nase hätte die Snuff-box gleich mit auf die Welt gebracht! Wie lange werde ich dieses Ding haben?«

      »Ziemlich ein Jahr, Sir!«

      Er machte ein Paar Augen, daß ich vor Schreck beinahe zurückgewichen wäre, zumal das Entsetzen ihm den Mund so weit aufriß, daß die Nase mitsamt der Snuff-box (Schnupftabaksdose) geradewegs hätte hineinspazieren können.

      »Ein Jahr? Ein ganzes Jahr? Zwölf ganze Monate?«

      »So ungefähr.«

      »Oh! Ah! Horrible! Fürchterlich, entsetzlich! Gibt es kein Mittel? Pflaster? Salbe? Brei auflegen? Wegschneiden?«

      »Nichts, gar nichts.«

      »Aber jede Krankheit hat ihr Mittel!«

      »Diese nicht, Sir. Diese Beule ist nicht im mindesten gefährlich; aber wenn man sie zu zerteilen sucht oder gar ritzt und schneidet, dann kann sie sehr schlimm werden.«

      »Hm! Was dann, wenn sie fort ist? Sieht man es noch?«

      »Das ist verschieden. Je größer die Beule, desto größer auch das Loch, welches zurückbleibt.«

      »My sky! Ein Loch?«

      »Leider!«

      »O weh! Schauderhaftes Land hier! Miserable Gegend! Werde machen, daß ich nach Old England komme! Well!«

      »Nehmt Euch Zeit, Sir!«

      »Warum?«

      »Was würde man in Altengland sagen, wenn Sir David Lindsay seiner Nase erlaubt, sich eine Filiale anzulegen!«

      »Hm! Habt recht, Master! Die Straßenjungen würden mir nachtrollen. Werde also hier bleiben und mich – —«

      »Sihdi!« unterbrach ihn Halef. »Blicke nicht um!«

      Ich saß mit dem Rücken gegen den Waldesrand und dachte mir natürlich sofort, daß der kleine Hadschi hinter mir etwas Verdächtiges bemerkt habe.

      »Was siehst du?« fragte ich ihn darum.

      »Ein Paar Augen. Grad hinter dir stehen zwei Tschimars, und zwischen ihnen gibt es einen wilden Birnbusch. Dort steckt der Mann, dessen Augen ich gesehen habe.«

      »Siehst du sie noch?«

      »Warte!«

      Er beobachtete so unauffällig wie möglich den Busch, und ich instruierte unterdessen die anderen, sich ganz so unbefangen wie vorher zu verhalten.

      »Jetzt!« sagte Halef.

      Ich erhob mich und gab mir den Anschein, als ob ich dürres Holz für das Feuer suchen wolle. Dabei entfernte ich mich so weit von dem Lager, daß ich nicht mehr gesehen werden konnte. Dann drang ich in den Waldsaum ein und schlich mich zwischen den Bäumen wieder zurück. Es waren nicht fünf Minuten vergangen, so befand ich mich hinter den beiden Tschimarbäumen und fand da allerdings Gelegenheit, das scharfe Auge Halefs zu bewundern. Zwischen den Bäumen und dem Busche kauerte eine menschliche Gestalt, welche unser Treiben am Lagerfeuer beobachtete.

      Weshalb geschah dies? Wir befanden uns hier in einer Gegend, wo in meilenweitem Umkreise kein Dorf zu finden war. Allerdings gab es rund umher verschiedene kleine kurdische Stämme, welche sich bekämpften, und es mochte wohl auch zuweilen geschehen, daß irgend ein persischer Nomadenstamm über die Grenze kam, um einen Raub auszuführen. Dabei gab es genug Umhertreiber, Ueberreste von vernichteten Stämmen, die Gelegenheit suchten, sich einem andern Stamm anzuschließen.

      Ich durfte nicht trauen; daher schob ich mich ganz leise an den Mann heran und faßte ihn dann rasch bei der Kehle. Er erschrak so sehr, daß er ganz steif wurde und sich auch gar nicht wehrte, als ich ihn in die Höhe nahm und an das Feuer trug.

      Dort legte ich ihn nieder und zog den Dolch.

      »Mann, rühre dich nicht, sonst ersteche ich dich!« drohte ich.

      Es war mir gar nicht so grimmig um das Herz, aber der Fremde nahm meine Drohung ernst auf und faltete bittend die Hände.

      »Herr, Gnade!«

      »Das soll auf dich ankommen. Belügst du mich, so bist du verloren. Wer bist du?«

      »Ich bin ein Turkomane vom Stamme der Bejat.«

      Ein Turkomane? Hier? Seiner Kleidung nach konnte er allerdings die Wahrheit gesagt haben. Auch wußte ich, daß es früher Turkomanen zwischen dem Tigris und der persischen Grenze gegeben hatte, und es stimmte, daß es der Stamm Bejat gewesen war. Die lurische Wüste und die Ebene Tapespi waren der Schauplatz ihrer Umherschweifereien gewesen. Aber als Nadir-Schah in das Ejalet Bagdad einfiel, schleppte er die Bejat nach Khorassan. Er nannte diese Provinz wegen ihrer Lage und Beschaffenheit »das Schwert Persiens« und bemühte sich, sie mit tapferen, kriegerischen Bewohnern zu bevölkern.

      »Ein Bejat?« fragte ich. »Du lügst!«

      »Ich sage die Wahrheit, Herr.«

      »Die Bejat wohnen nicht hier, sondern im fernen Khorassan.«

      »Du hast recht; aber als sie einst diese Gegend verlassen mußten, so blieben doch einige zurück, deren Nachkommen sich jetzt so vermehrt haben, daß sie über tausend Krieger zählen. Wir haben unsere Sommerplätze in der Gegend von den Ruinen von Kizzel-Karaba und an den Ufern des Kuru-Tschai.«

      Es fiel mir ein, davon gehört zu haben.

      »Jetzt befindet ihr euch hier in der Nähe?«

      »Ja, Herr.«

      »Wie viele Zelte zählt ihr?«

      »Wir haben keine Zelte.«

      Das mußte mir auffallen. Wenn ein Nomadenstamm sein Lager verläßt, ohne seine Zelte mitzunehmen, so deutet dies gewöhnlich auf einen Raub- oder Kriegszug. Ich fragte weiter:

      »Wie viele Männer seid ihr heute?«

      »Zweihundert!«

      »Und Frauen?«

      »Wir haben sie nicht bei uns.«

      »Wo lagert ihr?«

      »Nicht weit von hier. Wenn du dort um die Ecke des Waldes gehest, so bist du bei uns.«

      »So habt ihr hier unser Feuer bemerkt?«

      »Wir haben es gesehen, und der Khan schickte mich ab, um zu erfahren, was für Männer sich hier befinden.«

      »Wohin gehet ihr?«

      »Wir gehen nach dem Süden.«

      »Welcher Ort ist euer Ziel?«

      »Wir wollen in die Gegend von Sinna.«

      »Das ist ja persisch!«

      »Ja. Unsere Freunde dort geben ein großes Fest, zu welchem wir geladen sind.«

      Das fiel mir auf. Diese Bejat hatten ihren Wohnsitz an den Ufern des Kuru-Tschai und bei den Ruinen von Kizzel-Karaba, also in der Nähe von Kifri; diese Stadt aber lag weit im Südwesten von unserem heutigen Lagerplatz, während Sinna zwei Dritteile derselben Entfernung im Südosten von uns lag. Warum waren die Bejat nicht direkt von Kifri nach Sinna gegangen? Warum hatten sie einen so bedeutenden Umweg gemacht?

      »Was tut ihr hier oben?« fragte ich daher. »Warum habt ihr euren Weg um das Doppelte verlängert?«

      »Weil wir durch das Gebiet des Pascha von Sulimania hätten ziehen müssen, und er ist unser Feind.«

      »Aber ihr befindet euch hier doch ebenso auf seinem Gebiete!«

      »Hier oben sucht er uns nicht. Er weiß, daß wir ausgezogen sind, und glaubt, uns im Süden von seiner Residenz zu finden.«

      Dies klang wahrscheinlich, obgleich ich noch immer kein rechtes Vertrauen zu dem Manne hatte. Ich sagte mir jedoch, daß die Anwesenheit dieser Bejat uns nur von Vorteil sein könne. Unter ihrem Schutze konnten wir unangefochten bis nach Sinna kommen, und dann war für uns keine Gefahr mehr zu befürchten. Der Turkomane kam meiner darauf bezüglichen Frage entgegen:

      »Herr, du wirst mich wieder freilassen? Ich habe euch ja nichts getan!«

      »Du hast nur getan,