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arl May

      MEIN LEBEN UND STREBEN

      Wenn dich die Welt aus ihren Toren stößt,

      So gehe ruhig fort, und laß das Klagen.

      Sie hat durch die Verstoßung dich erlöst

      Und ihre Schuld an dir nun selbst zu tragen.

Karl May, »Im Reiche des silbernen Löwen«

      I. Das Märchen von Sitara

      Wenn man von der Erde aus drei Monate lang geraden Weges nach der Sonne geht und dann in derselben Richtung noch drei Monate lang über die Sonne hinaus, so kommt man an einen Stern, welcher Sitara heißt. Sitara ist ein persarabisches Wort und bedeutet eben »Stern«.

      Dieser Stern hat mit unserer Erde viel, sehr viel gemein. Sein Durchmesser ist 1700 Meilen und sein Aequator 5400 Meilen lang. Er dreht sich um sich selbst und zugleich auch um die Sonne. Die Bewegung um sich selbst dauert genau einen Tag, die Bewegung um die Sonne ebenso genau ein Jahr, keine Sekunde mehr oder weniger. Seine Oberfläche besteht zu einem Teile aus Land und zu zwei Teilen aus Wasser. Aber während man auf der Erde bekanntlich fünf Erd- oder Weltteile zählt, ist das Festland von Sitara in anderer, viel einfacherer Weise gegliedert. Es hängt zusammen. Es bildet nicht mehrere Kontinente, sondern nur einen einzigen, der in ein sehr tiefgelegenes, sümpfereiches Niederland und ein der Sonne kühn entgegenstrebendes Hochland zerfällt, welche beide durch einen schmäleren, steil aufwärtssteigenden Urwaldstreifen mit einander verbunden sind. Das Tiefland ist eben, ungesund, an giftigen Pflanzen und reißenden Tieren reich und allen von Meer zu Meer dahinbrausenden Stürmen preisgegeben. Man nennt es Ardistan. Ard heißt Erde, Scholle, niedriger Stoff, und bildlich bedeutet es das Wohlbehagen im geistlosen Schmutz und Staub, das rücksichtslose Trachten nach der Materie, den grausamen Vernichtungskampf gegen Alles, was nicht zum eigenen Selbst gehört oder nicht gewillt ist, ihm zu dienen. Ardistan ist also die Heimat der niedrigen, selbstsüchtigen Daseinsformen und, was sich auf seine höheren Bewohner bezieht, das Land der Gewalt-und Egoismusmenschen. Das Hochland hingegen ist gebirgig, gesund, ewig jung und schön im Kusse des Sonnenstrahles, reich an Gaben der Natur und Produkten des menschlichen Fleißes, ein Garten Eden, ein Paradies. Man nennt es Dschinnistan. Dschinni heißt Genius, wohltätiger Geist, segensreiches unirdisches Wesen, und bildlich bedeutet es den angeborenen Herzenstrieb nach Höherem, das Wohlgefallen am geistigen und seelischen Aufwärtssteigen, das fleißige Trachten nach Allem, was gut und was edel ist, und vor allen Dingen die Freude am Glücke des Nächsten, an der Wohlfahrt aller derer, welche der Liebe und der Hilfe bedürfen. Dschinnistan ist also das Territorium der wie die Berge aufwärtsstrebenden Humanität und Nächstenliebe, das einst verheißene Land der Edelmenschen.

      Tief unten herrscht über Ardistan ein Geschlecht von finster denkenden, selbstsüchtigen Tyrannen, deren oberstes Gesetz in strenger Kürze lautet: »Du sollst der Teufel deines Nächstensein, damit du dir selbst zum Engel werdest!« Und hoch oben regierte schon seit undenklicher Zeit über Dschinnistan eine Dynastie großherziger, echt königlich denkender Fürsten, deren oberstes Gesetz in beglückender Kürze lautet: »Du sollst der Engel deines Nächsten sein, damit du nicht dir selbst zum Teufel werdest!«

      Und solange dieses Dschinnistan, dieses Land der Edelmenschen, besteht, ist ein jeder Bürger und eine jede Bürgerin desselben verpflichtet gewesen, heimlich und ohne sich zu verraten der Schutzengel eines resp. einer Andern zu sein. Also in Dschinnistan Glück und Sonnenschein, dagegen in Ardistan ringsum eine tiefe, seelische Finsternis und der heimliche weil verbotene Jammer nach Befreiung aus dem Elende dieser Hölle! Ist es da ein Wunder, daß da unten im Tieflande eine immer größer werdende Sehnsucht nach dem Hochlande entstand? Daß die fortgeschrittenen unter den dortigen Seelen sich aus der Finsternis zu befreien und zu erlösen suchen? Millionen und Abermillionen fühlen sich in den Sümpfen von Ardistan wohl. Sie sind die Miasmen gewohnt. Sie wollen es nicht anders haben. Sie würden in der reinen Luft von Dschinistan nicht existieren können. Das sind nicht etwa nur die Aermsten und Geringsten, sondern grad auch die Mächtigsten, die Reichsten und Vornehmsten des Landes, die Pharisäer, die Sünder brauchen, um gerecht erscheinen zu können, die Vielbesitzenden, denen arme Leute nötig sind, um ihnen als Folie zu dienen, die Bequemen, welche Arbeiter haben müssen, um sich in Ruhe zu pflegen, und vor allen Dingen die Klugen, Pfiffigen, denen die Dummen, die Vertrauenden, die Ehrlichen unentbehrlich sind, um von ihnen ausgebeutet zu werden. Was würde aus allen diesen Bevorzugten werden, wenn es die Andern nicht mehr gäbe? Darum ist es Jedermann auf das allerstrengste verboten, Ardistan zu verlassen, um sich dem Druck des dortigen Gesetzes zu entziehen. Die schärfsten Strafen aber treffen den, der es wagt, nach dem Lande der Nächstenliebe und der Humanität, nach Dschinnistan zu flüchten. Die Grenze ist besetzt. Er kommt nicht durch. Er wird ergriffen und nach der »Geisterschmiede« geschafft, um dort gemartert und gepeinigt zu werden, bis er sich vom Schmerz gezwungen fühlt, Abbitte leistend in das verhaßte Joch zurückzukehren.

      Denn zwischen Ardistan und Dschinnistan liegt Märdistan, jener steil aufwärtssteigende Urwaldstreifen, durch dessen Baum- und Felsenlabyrinthe der unendlich gefahrvolle und beschwerliche Weg nach oben geht. Märd ist ein persisches Wort; es bedeutet »Mann«. Märdistan ist das Zwischenland, in welches sich nur »Männer« wagen dürfen; jeder Andere geht unbedingt zu Grunde. Der gefährlichste Teil dieses fast noch ganz unbekannten Gebietes ist der »Wald von Kulub«. Kulub ist ein arabisches Wort; es bedeutet die Mehrzahl des deutschen Wortes »Herz«. Also in den Tiefen des Herzens lauern die Feinde, die man, einen nach dem andern, zu besiegen hat, wenn man aus Ardistan nach Dschinnistan entkommen will. Und mitten in jenem Walde von Kulub ist jener Ort der Qual zu suchen, von dem es in »Babel und Bibel,« Seite 78 heißt:

      »Zu Märdistan, im Walde von Kulub,

      Liegt einsam, tief versteckt, die Geisterschmiede.

      Da schmieden Geister?«

      »Nein, man schmiedet sie!

      Der Stumm bringt sie geschleppt, um Mitternacht,

      Wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.

      Der Haß wirft sich in grimmiger Lust auf sie.

      Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein.

      Die Reue schwitzt und jammert am Gebläse.

      Am Blocke steht der Schmerz, mit starrem Aug

      Im rußigen Gesicht, die Hand am Hammer.

      Da, jetzt, o Scheik, ergreifen dich die Zangen.

      Man stößt dich in den Brand; die Bälge knarren.

      Die Lohe zuckt empor, zum Dach hinaus,

      Und Alles, was du hast und was du bist,

      Der Leib, der Geist, die Seele, alle Knochen,

      Die Sehnen, Fibern, Fasern, Fleisch und Blut,

      Gedanken und Gefühle, Alles, Alles

      Wird dir verbrannt, gepeinigt und gemartert

      Bis in die weiße Glut – — —«

      »Allah, Allah!«

      »Schrei nicht, o Scheik! Ich sage dir, schrei nicht!

      Denn wer da schreit, ist dieser Qual nicht wert,

      Wird weggeworfen in den Brack und Plunder

      Und muß dann wieder eingeschmolzen werden.

      Du aber willst zum Stahl, zur Klinge werden,

      Die in der Faust der Parakleten funkelt.

      Sei also still!

      Man reißt dich aus dem Feuer – —

      Man wirft dich auf den Amboß – — hält dich fest.

      Es knallt und prasselt dir in jeder Pore.

      Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister.

      Er spuckt sich in die Fäuste, greift dann zu.

      Hebt beiderhändig hoch den Riesenhammer – — —

      Die Schläge fallen. Jeder ist ein Mord,

      Ein Mord an dir. Du meinst, zermalmt zu werden.

      Die Fetzen fliegen heiß nach allen Seiten.

      Dein Ich wird dünner, kleiner, immer kleiner,

      Und dennoch