Winnetou 1. Karl May

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Название Winnetou 1
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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bückte sich auch Winnetou zu dem Bären nieder, betastete ihn an den Stellen, wo er blutig war, und fragte mich, als er sich wieder aufgerichtet hatte:

      »Wer hat dieses Tier mit dem Messer angegriffen?«

      Er sprach ein sehr reines Englisch.

      »Ich,« antwortete ich.

      »Warum hat mein junger, weißer Bruder nicht auf ihn geschossen?«

      »Weil ich kein Gewehr bei mir hatte.«

      »Hier liegen doch Flinten!«

      »Die gehören nicht mir. Diejenigen, deren Eigentum sie sind, warfen sie weg und kletterten auf die Bäume.«

      »Als wir der Spur des Bären folgten, hörten wir in der Ferne ein großes Angstgeschrei. Wo ist das gewesen?«

      »Hier.«

      »Uff! Die Eichhörnchen und Stinktiere sind da, um auf die Bäume zu fliehen, wenn ein Feind sich ihnen naht. Der Mann aber soll kämpfen, denn wenn er Mut besitzt, so ist ihm die Macht gegeben, selbst das stärkste Tier zu überwinden. Mein junger, weißer Bruder hat solchen Mut besessen. Warum wird er da ein Greenhorn genannt?«

      »Weil ich zum erstenmal und nur erst kurze Zeit im Westen bin.«

      »Die Bleichgesichter sind sonderbare Menschen. Bei ihnen wird ein Jüngling, welcher sich nur mit dem Messer an den schrecklichen Grizzly wagt, Greenhorn geschimpft; diejenigen aber, welche aus Furcht auf die Bäume klettern und da oben vor Entsetzen heulen, dürfen sich für tüchtige Westmänner halten. Die roten Männer sind gerechter. Bei ihnen kann ein Tapferer nie als Feigling und ein Feigling nie als Tapferer gelten.«

      »Mein Sohn hat sehr richtig gesprochen,« stimmte sein Vater in einem etwas weniger guten Englisch bei. »Dieses junge Bleichgesicht ist kein Greenhorn mehr. Wer den Grizzly in dieser Weise erlegt, der ist ein großer Held zu nennen. Und wer es gar noch tut, um Andere zu retten, die auf die Bäume entwichen sind, der kann von ihnen Dank aber nicht Schimpfreden erwarten. Howgh! Gehen wir hinaus ins Freie, um zu sehen, warum die Bleichgesichter sich hier in dieser Gegend befinden.«

      Welch ein Unterschied zwischen meinen weißen Begleitern und diesen von ihnen verachteten Indianern! Der Gerechtigkeitssinn der Roten trieb sie, ohne daß sie es nötig hatten, sich zu meinen Gunsten auszusprechen. Es war sogar ein Wagnis, daß sie dies taten. Sie waren nur zu dreien und wußten nicht, wieviel Köpfe wir zählten; sie begaben sich gewiß in eine Gefahr, wenn sie sich unsere Westmänner zu Feinden machten. Daran schienen sie aber gar nicht zu denken. Sie gingen langsam und mit stolzen Schritten an uns vorüber und dann aus dem Gebüsch hinaus. Wir folgten ihnen. Da sah Intschu tschuna die Meßpfähle stecken, blieb stehen, wendete sich zu mir zurück und fragte:

      »Was wird hier getrieben? Wollen die Bleichgesichter etwa dieses Land vermessen?«

      »Ja.«

      »Wozu?«

      »Um einen Weg für das Feuerroß zu bauen.«

      Sein Auge verlor den ruhigen, sinnenden Blick; es leuchtete zornig auf, und fast hastig erkundigte er sich:

      »Du gehörst zu diesen Leuten?«

      »Ja.«

      »Und hast mit vermessen?«

      »Ja.«

      »Du wirst bezahlt dafür?«

      »Ja.«

      Da war es ein verächtlicher Blick, den er über mich hinweggleiten ließ, und ebenso verächtlich klang sein Ton, als er zu Klekih-petra sagte:

      »Deine Lehren klingen sehr schön, aber sie treffen nicht oft zu. Da hat man endlich einmal ein junges Bleichgesicht gesehen mit einem tapferen Herzen, offenem Gesicht und ehrlichen Augen, und kaum hat man gefragt, was es hier tut, so ist es gekommen, um uns gegen Bezahlung unser Land zu stehlen. Die Gesichter der Weißen mögen gut sein oder bös, im Innern ist doch Einer wie der Andere!«

      Wenn ich ehrlich sein will, so muß ich sagen, daß ich keine Worte zu meiner Verteidigung hätte finden können; ich fühlte mich innerlich beschämt. Der Häuptling hatte recht; es war so, wie er sagte. Konnte ich etwa stolz auf meinen Beruf sein, ich streng moralischer, christlicher Landesvermesser?

      Der Oberingenieur hatte sich mit den drei Surveyors in das Zelt versteckt. Sie blickten durch ein Loch desselben nach dem gefürchteten Bären aus. Als sie uns kommen sahen, wagten sie sich hervor, nicht wenig erstaunt oder vielleicht auch betroffen darüber, daß sie die Indianer bei uns sahen. Sie empfingen uns natürlich mit der Frage, wie wir uns des Bären erwehrt hätten. Da antwortete Rattler schnell:

      »Wir haben ihn erschossen, und zu Mittag wird es Bärentatzen, heut abend aber Bärenschinken zu essen geben.«

      Unsere drei Gäste sahen mich an, ob ich mir dies gefallen lassen würde; darum machte ich die Bemerkung:

      »Und ich behaupte, daß ich ihn erstochen habe. Hier stehen drei Sachverständige, welche mir recht gegeben haben; das soll aber gar nicht entscheidend sein. Wenn nachher Hawkens, Stone und Parker kommen, mögen sie ihre Urteile abgeben, nach denen wir uns richten werden. Bis dahin bleibt der Bär unangerührt liegen.«

      »Den Teufel werde ich mich nach diesen dreien richten!« murrte Rattler. »Ich gehe mit meinen Leuten hin, um den Bären aufzubrechen, und wer uns da hindern will, dem jagen wir ein halbes Dutzend Kugeln in den Leib!«

      »Tut nicht so dick, sonst mache ich Euch dünn, Mr. Rattler! Vor Euren Kugeln fürchte ich mich nicht so, wie Ihr Euch vor dem Bären gefürchtet habt. Ihr jagt mich auf keinen Baum; das laßt Euch nur gesagt sein! Daß Ihr hingeht, dagegen habe ich nichts, erwarte aber, daß Ihr es nur Eures toten Kameraden wegen tut, den Ihr begraben mögt. So liegen lassen dürft Ihr ihn doch nicht.«

      »Es ist einer tot?« fragte Bancroft erschrocken.

      »Ja, Rollins,« antwortete Rattler. »Dieser arme Teufel hat auch nur wegen der Dummheit eines Andern sein Leben lassen müssen, sonst hätte er sich retten können.«

      »Wieso? Wessen Dummheit?«

      »Nun, er machte es grad so wie wir und sprang nach einem Baum; er wäre ganz gut hinaufgekommen, aber da kam dieses Greenhorn alberner Weise gerannt und reizte den Bären, welcher sich dann wütend auf Rollins stürzte und ihn zerfleischte.«

      Das war die Schlechtigkeit denn doch zu weit getrieben; ich stand beinahe sprachlos vor Erstaunen. Die Sache in dieser Weise darzustellen, und noch dazu in meiner Gegenwart, das durfte ich denn doch nicht dulden! Darum wandte ich mich schnell mit der Frage an ihn:

      »Das ist Eure Ueberzeugung, Mr. Rattler?«

      »Yes,« nickte er entschlossen. Er zog seinen Revolver heraus, denn er erwartete eine Tätlichkeit von mir.

      »Rollins hätte sich retten können und wurde nur durch mich verhindert?«

      »Yes.«

      »Ich meine aber, daß der Bär ihn schon gefaßt hatte, ehe ich kam!«

      »Das ist eine Lüge!«

      »Well, so sollt Ihr jetzt die Wahrheit hören oder fühlen.«

      Bei diesen Worten riß ich ihm mit der Linken den Revolver aus der Hand und gab ihm mit der Rechten eine so gewaltige Ohrfeige, daß er wohl sechs bis acht Schritte weit fort und da zur Erde flog. Er sprang auf, riß sein Messer heraus und kam, wie ein wütendes Tier brüllend, auf mich zugerannt. Ich parierte den Messerstich mit der linken Hand und schlug ihn mit der rechten Faust nieder, daß er zu meinen Füßen ohne Besinnung liegen blieb.

      »Uff, uff!« rief Intschu tschuna erstaunt, indem er vor Bewunderung dieses Jagdhiebes die gebotene indianische Zurückhaltung vergaß. Im nächsten Augenblicke jedoch sah man ihm schon an, daß er diese Anerkennung bereute.

      »Das war wieder Shatterhand,« sagte der Surveyor Wheeler.

      Ich achtete nicht auf diese Worte, sondern hielt mein Auge auf Rattlers Kameraden gerichtet. Sie waren sichtlich wütend, aber es wagte keiner, mit mir anzubinden. Sie murrten und fluchten unter sich; aber das war auch alles, was sie taten.

      »Nehmt