Ardistan und Dschirnistan I. Karl May

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Название Ardistan und Dschirnistan I
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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die Erhabenheit meiner Bilder, die Unbesiegbarkeit der Wahrheiten, die ich Dir vorgetragen habe! Ja, so etwas findest Du in keinem Buche, mag es nun gedruckt oder mag es geschrieben sein! Aber ich bin müd geworden von diesem vielen und anhaltenden Sprechen. Du nicht auch?«

      »Nein, denn ich war still.«

      »So kannst Du noch bleiben, ich aber muß schlafen gehen.«

      »Allah sei Dank!«

      Er hatte schon aufstehen wollen, ließ sich aber bei diesen meinen Worten wieder niederfallen und fragte:

      »Wie meintest Du das? Was wolltest Du jetzt sagen?«

      »Daß Du Dir die Ruhe verdient hast, welche der Schlaf zu bringen pflegt.«

      »So! Das ist etwas anderes! Man weiß bei Dir nicht immer gleich, wie Du es meinst. Du hast zuweilen Ausdrücke, die etwas ganz anderes ausdrücken, als was durch sie ausgedrückt wird. So dachte ich auch hier; nun aber bin ich beruhigt. Lelatak mubarake – — Deine Nacht sei gesegnet!«

      Nun stand er auf.

      »Die Deine auch,« antwortete ich.

      Er ging drei oder vier Schritte fort, blieb überlegend stehen, wendete sich dann wieder nach mir um und sagte:

      »Effendi, ich bin froh, daß es morgen fortgeht, daß wir nicht länger hier bleiben.«

      »Warum?«

      »Es gefällt mir nicht!«

      »Höre, Halef, das ist undankbar! Eine Gastfreundschaft, wie hier, haben wir noch nie gefunden!«

      »Das ist wahr. Aber was nützt mir die Gastfreundschaft, wenn sie mir grad das nicht bietet, was mir das Liebste ist.«

      »Was meinst Du da?«

      »Den Ernst.«

      »Den Ernst? Wieso? Ich meine doch, daß wir uns bei sehr ernsten Personen befinden.«

      »Das dachte ich auch, aber es stellte sich sehr bald heraus, daß es ein Irrtum war. Es gibt hier keinen Ernst!«

      »Wirklich?«

      »Ja. Sie lachen alle, alle!«

      Ah, jetzt wußte ich, was er meinte. Er ärgerte sich darüber, daß man seine Übertreibungen für das nahm, was sie waren, und sich auch gar keine Mühe gab, ihm dies zu verbergen.

      »Sie lachen?« fragte ich. »Über was? Über wen? Doch nicht etwa über mich?«

      »Über Dich? Sihdi, das wollte ich ihnen nicht raten; da haute ich einfach zu! O nein, über mich lachen sie, über mich! Da solltest eigentlich Du zuhauen!«

      »Sehr gern, sehr gern, nämlich, wenn ich es sehe!«

      »Das ist es eben, was mich ärgert. Du bekommst es gar nicht zu sehen, sondern nur ich. Vor Dir haben sie Achtung; vor Dir verbergen sie es; vor mir aber nicht! Je größer, je schöner und je wunderbarer die Sachen sind, die ich ihnen erzähle, um ihr Staunen zu erregen, desto deutlicher wird ihr Lachen und desto weniger glauben sie mir. Das ist beleidigend, das ist niederträchtig; das holt meinen Zorn aus mir heraus und steckt ihn doch immer wieder in mich hinein, weil es mir als Gast verboten ist, grob zu werden. Dieser ewig hin-und hergehetzte Zorn macht mich krank. Er verdirbt mir den Appetit. Ich verliere das Fleisch. Ich fühle mehr und mehr, daß ich nicht hierher gehöre und daß ich zu vornehm bin für die Personen, bei denen ich hier wohne. Warum wohne ich nicht auch, wie Du, bei Marah Durimeh und Schakara? Die lachen nicht! So bin ich also froh, daß wir nicht länger bleiben! Lelatak sa’ide – — Deine Nacht sei glücklich!«

      Er ging.

      »Die Deine ebenso,« antwortete ich.

      Da blieb er noch einmal stehen.

      »Effendi, erlaubst Du mir eine Frage?«

      »Ja, aber nur unter der Bedingung, daß Du dann wirklich gehst.«

      »Ich gehe dann, gewiß!«

      »So sprich!«

      »Früher erlaubtest Du mir, meine Nilpferdpeitsche in den Gürtel zu stecken. Das war eine Lust. Wenn niemand mehr Verstand haben wollte, meine Kurbatsch die hatte ihn. Dann wurdest Du plötzlich gebildet und human. Du verbotest mir die Peitsche. Das tat mir wehe. Denn je weher man dem Feinde tut, desto wohler tut man dem Freund. Seit ich die Kurbatsch wegstecken mußte, haben wir kein wirkliches, kein großes Abenteuer mehr erlebt. Hierzu kam, daß Du auch auf den Gebrauch Deiner Gewehre verzichtetest. Der schwere, sicher treffende Bärentöter, der fünfundzwanzigschüssige Henrystutzen, mit denen Du uns aus so vielen Gefahren rettetest, sie wurden weggepackt. Du wolltest Dich nicht mehr auf die Waffen, sondern auf die Liebe, auf die Humanität verlassen. Aber weißt Du, was dann kam? Was die Folge war?«

      »Ich weiß es wohl,« gestand ich ein.

      »Nun, was?«

      »Die Vorsicht trat an Stelle des Mutes. Wir erlebten nichts mehr.«

      »Ja, so ist es! Die Humanität brachte uns um die Abenteuer. Wir erlebten nichts mehr. Und nun kommt meine Frage: Soll das in Ardistan und Dschinnistan auch so sein? Willst Du auch dort den Waffen Schweigen gebieten?«

      »Nein.«

      Da kam er mit einem großen Freudensprunge auf mich zu, faßte meine Hand und rief:

      »Nicht, wirklich nicht, Effendi?«

      »Ich sage, nein.«

      »Warum?«

      »Weil es Wahnsinn wäre, in einem Lande, wie Ardistan ist, auf sie zu verzichten. Ich bin überzeugt, es wäre unser sicherer Tod.«

      »Handulillah, Handulillah! Es wird wieder geschossen! Es wird wieder gestochen! Und es wird wieder gehauen!«

      Er drehte sich fünf-, sechsmal um sich selbst und machte dabei die Armbewegung, als ob er eine Peitsche in der Hand habe.

      »Gehauen? Wieso?« fragte ich, indem ich mich stellte, als ob ich ihn nicht begreife.

      Er antwortete:

      »Du meinst doch, daß ich den Bärentöter, den Henrystutzen, das Jagdmesser und die Revolver wieder auspacken darf?«

      »Allerdings.«

      »Und meine alte, gute, arabische Flinte auch, und das Doppelgewehr, welches Dein Geschenk ist, auch, und die beiden Pistolen auch?«

      »Ja. Wir schleppen dann wieder ein ganzes Arsenal mit uns herum!«

      »Und weißt Du, was zu diesem Arsenal gehört, ganz unbedingt, ganz unbedingt zu ihm gehört?«

      »Was?«

      »Die Kurbatsch, die Peitsche, die Nilhautpeitsche!«

      »Oho!«

      »Ja, die Peitsche!« jubelte er. »Du weißt doch ebenso wie ich, was ich alles mit ihr erreicht habe! Sie macht den Ungehorsamen gehorsam, den Stolzen demütig, den Untreuen treu, den Zweifler gläubig, den Geizigen wohltätig, den Groben höflich, den Langsamen schnell, den Zornigen sanft und, wenn es sein muß, sogar den Toten lebendig! Sihdi, sag, darf ich sie mit auspacken?«

      Er beugte sich zu mir nieder, strich mir mit der Hand liebkosend über die Wange und bat im liebevollsten seiner Töne:

      »Sihdi, wenn Du mich nur noch ein ganz, ganz klein wenig lieb hast, so erlaube mir, daß ich die Peitsche wieder tragen darf! Ich bitte Dich, ich bitte!«

      Wer meinen kleinen, lieben Hadschi Halef kennt, der wundert sich gewiß nicht über diese seine Bitte; sie entsprang gewiß aus keiner schlechten Quelle und stützte sich auf die Eigenheiten der orientalischen Verhältnisse. Und wer mich kennt, der weiß, daß auch ich mich nur aus guten Gründen zu der Antwort entschloß, die ich ihm gab:

      »So trag sie wieder, Halef; trage sie!«

      »Ich darf?« fragte er in einem Tone, der vor Freude beinahe überschnappte.

      »Du darfst. Doch stelle ich die Bedingung, daß Du Dich ihrer nur dann bedienen darfst, wenn ich es Dir gestatte.«

      »Sehr gern, sehr gern! Ich danke Dir, Sihdi, ich danke Dir! Wie mich das freut! Es ist die größte Freude,