Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

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Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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ihnen zu lehren? Würde ich das eheliche Gespräch nicht gehört haben, so hätte dieses Betragen mich allerdings geschmerzt; aber ich armes Bürschchen war es so gewohnt; ich würde es verschmerzt und mich darein geschickt haben. Allein nun war der Satan in mich gefahren, ein Feuerfunken war gefallen in das in mir liegende Pulverfaß der Eitelkeit, und die flackerte nach allen Seiten empor. Freilich durfte ich nicht aufbegehren, es lag nicht in meiner Natur, und damals war es noch nicht Mode, daß man gegen seine Obern gleich den Güggel machte. Aber ich lächelte spöttisch, wenn irgend ein Kind und der Schulmeister nicht mich ansah. Und wenn ein Kind ausgeschimpft worden war aus lauter Kyb, und dann hinter des Alten Rücken mich schnippisch ansah, so machte ich ihm auch ein schnippisches Zeichen. Zwischendurch war ich recht fleißig auf dem mir angewiesenen Posten, und war noch einmal so freundlich als sonst. Wollte der Schulmeister mich durchthun mit seiner Oberherrlichkeit, so versuchte ich das Gleiche gegen ihn in meiner Untergebenheit. Sobald einer, der die Gewalt hat, den Weg meines Schulmeisters einschlägt, um sein Ansehen zu bewahren, und einem, der unter ihm steht, sein Ansehen zu nehmen, so hat der letztere, wenn er mit Lieblichkeit und Nachsicht sichtet, gewonnenes Spiel. Man sieht manchen, der in Nachläßigkeit und Unordnung alt geworden, sich dem jungen Mann entgegensetzen, der des Alten Fehler verbessern, gut machen will; sieht den alten Mann mit Schmeicheln und Wädelen die Leute zu bethören suchen, und das mit großem Glück. Aber das ist wohl das größte Unglück für die Menge, wenn zwei, die über ihr stehen in Amt und Pflicht, mit den gleichen Waffen gegen einander kämpfen und einer den andern ausstechen will durch Lieblichkeit und Gelindigkeit, sich gegenseitig überbietend mit dem Haschen nach der Unverständigen Gunst. Dann ist der Teufel los; alle thun, was sie wollen, nur die nicht, welche zu befehlen haben; die sind der andern niederträchtige Knechte. Dann gute Nacht, Ordnung und Sitte! Es ist beides böse, aber für die Menschheit das letztere noch in weit höherem Grade. Diese wahren Wahrnehmungen möchte ich Regenten, Lehrern, Eltern schreiben mit glühendem Griffel ins Herz hinein.

      So plagte mich der Schulmeister in der Schule, und plagte mich immer mehr. Ich konnte ihm weder recht buchstabieren noch recht lesen, am wenigsten singen. Beim Lesen und Buchstabieren konnte ich ihm die Selbstlauter und Endsilben nie lang genug aussprechen; er wollte sie haben mit Stielen so lange wie Rattenschwänze. Beim Singen warf er mir immer vor, ich verstöre ihn ganz. Jeder von uns wollte es schöner machen, d. h. jeder suchte den andern zu überschreien. Das thaten wir auch tapfer, bis wir kührot wurden im Gesicht. Dann befiel ihn der Husten und er mußte aufhören. So verstörte ich ihn allerdings. Er behauptete alle Tage, er machte es ds halb ringer alleini. Am meisten begehrte er auf, wenn ich zu dem kleinen Tischchen mich nahte, zunächst beim Ofen, wo nach dem Neujahr drei oder vier zu schreiben anfingen. Rechnen that man gar nicht. Ich konnte mich selten enthalten zu zeigen, daß ich auch schreiben könne, und deutete mit dem Finger, wie dieser oder jener Buchstabe einen Krump haben sollte. Da begehrte dann der Alte lästerlich auf. So eine, wo ds Druckte nit chönn, söll de nit drglyche thue, er chönn ds Gschribene; selb syg doch de afe z‘wyt tribe. So ging es in der Schule, aber nebenbei wohl noch schlimmer. Freilich hatte der Schulmeister gewöhnlich genug und hustete und trank Trank auf dem Ofentritt und machte während des Essens stillschweigend die Mauggere hinter dem Tisch. Aber seine Frau löste ihn ritterlich ab, und wußte so scharf und derb zu sticheln, daß sie mir das Essen richtig verpfefferte. Ihr war nichts zu gering mir auszurupfen. Sie fragte mich alle Tage: welchen Weg ich heute das Hemd an habe, und wie viel noch an meinen Strümpfen sei? Sie schimpfte über mein Heizen; noch nie sei so wenig warm gewesen, noch nie so viel Holz gebraucht worden. Sie hielt dem Manne vor: er könne zusehen, was er mache; die Leute klagten gar bitterlich, es sei noch nie so schlecht in der Schule gegangen, die Kinder lernten in Gottes Namen nichts, besonders die Kleinen; die und die hätten rundweg erklärt, sie wollten sie gar nicht mehr schicken.

      Zudem war das Essen noch gründlich schlecht, und von allen den Dingen, welche ins Haus flogen, erhielt ich nichts; die wurden im halben Tag gegessen. Ich roch sie wohl, aber damit mußte ich mich begnügen.

      Die Kinder merkten auf der Stelle dieses Verhältnis, und ich dauerte sie, denn sie sahen wohl, daß ich es gut mit ihnen meinte. Sie erzählten solche Dinge bei Hause, erweckten Mitleiden mit mir und erhielten den Auftrag, mich zu ihnen einzuladen zum Abendsitz. Und wenn ich Wedelen machte oder mistete, so stellte sich wohl ein Hausvater bei mir, sobald er niemand von Schulmeisters sah, rühmte mich und lud mich ein. Natürlich nahm ich alles für bar Geld und merkte nicht, daß mit dem Mitleiden auch die Hoffnung sich parte, mir bequemlich die Würmer aus der Nase ziehen und über Schulmeisters vernehmen zu können, was man wollte. Wer will es mir verübeln, wenn es mich bei allen Haaren hinzog zu den Leuten? Es war mir sicher nicht nur wegen dessen, was sie mir aufstellen mochten, sondern es war ein wahrer Hunger und Durst, mich ungestört rühmen und preisen zu hören nach allem dem Schelten, das ich ausstehen mußte. Es war vielleicht auch im Hintergrunde der Trieb, mich über Schulmeisters aussprechen, über sie klagen zu können, der mich nach Leuten hungrig sein ließ. O man klagt gar gerne über seine Nächsten; man klagt Fremden auf der Straße über sie, wenn man niemand Bekanntes findet. Und doch wird jeder böse, wenn er hört, daß ein anderer auch gethan, was er alle Tage thut, daß er über ihn geklagt habe. Diese Klagen zeigen uns, daß unser Herz sich fort und fort mit den kleinen Beleidigungen und Hintansetzungen beschäftigt, welche wir von andern erlitten zu haben wähnen. Darum wird es voll davon, unser kleines enges Herz, und darum läuft auch der Mund über.

      Diesen Einladungen zu entsprechen, ward mir aber gar schwer gemacht. Man hatte mir beständig etwas zu thun. Ich mußte haspeln und gewöhnlich ganz allein rüsten, indem der Alte nichts that, und Mutter samt Tochter spannen. Selbst des Sonntags wußte man mich anzubinden durch allerlei Stempeneien. Allein der Trieb war doch zu stark in mir und überwand die Unterthänigkeit und die Angst, ausgehunzt zu werden.

      Eines Abends, als ich die Geißen abgefüttert hatte, machte ich mich fort, dem Hause zu, wo man mich am meisten eingeladen hatte, wo der Knabe war, der anfangs nicht in die Schule wollte und jetzt nicht daheim zu behalten war. Gar freundlich wurde ich, aufgenommen und alsobald stellte man mir auf im Stübli, und rühmte mich nun, während ich aß, gar meisterlich. Ach, beides that mir so wohl! Als dieser Stoff zu versiegen begann, sprang man über auf den Lärm, den mir ds Schuelmeisters machen und erzählte mir, was sie alles über mich gesagt hätten; aber niemand glaube es ihnen. Die Frau sei bekannt als die ärgste Tätsche und alles hasse sie. Aber man habe sie zu fürchten; denn wem sie nicht wohl wolle, dem gnade Gott! Ja, das sei die Böseste unter der Sonne, fuhr man fort, und erzählte nun alles, was man von ihr gelitten und von ihr wußte. Ach, das machte mir wieder wohl und mir ging der Mund auch auf, und ich erzählte nun auch alles, was ich als Hausgenosse wahrgenommen, und wie es mir der Schulmeister in der Schule mache, und wie ich die Kinder ganz anders lehren wollte, wenn ich es machen könnte, wie ich wollte, und rühmte mich selbst nicht wenig. So verging uns der Abend gar kurzwylig, ich hatte all mein Leid vergessen. Aber wie erschrack ich, als es zehne schlug! Nun gedachte ich ans Ende des Liedes, an den Empfang daheim; es wollte mich fast schlotteren. Da drückten mir die guten Leute noch einen Fünfbätzler in die Hand für meine Mühe. Das ermutigte mich wieder, konnte ich doch meine Hemder waschen lassen. Überhaupt ist ein Mann, der fünf Batzen im Sack hat, schon ein ganz anderer Mann als der, der höchstens Brotbrosmen darin hat. Die fünf Batzen erhielten mich mannlich; auch ging es mir so übel nicht, als ich mir vorgestellt hatte vom väterlichen Hause her. Ich wurde weder mit allen Schimpfnamen belegt, noch gestoßen; war ich am Ende nicht ihr Bueb, sondern ein halber Schulmeister. Man brummte und stichelte freilich und besonders am Morgen, als mir die Erdäpfelsuppe nicht besonders rutschen wollte. Ich werde von gestern noch genug haben, meinte man, ds Ammes hätten immer Vorrat zum Aufwarten, aber desto weniger für die Diensten; die müßten schwarzen Hunger leiden. Es wäre besser, sie würden denen recht z‘fressen geben, die es verdienten, als fremden Strolchen, die sie nichts angingen. Aber das seien auch die falschesten Leute von der Welt; vorwärts könnten sie einem däsele und flattieren, wie wenn sie lauter Seide und Sammet wären, um dann hinterrücks desto wüster über einen zu thun. Das seien eben die, welche am meisten über mich balgeten, und erst vorgestern habe die Frau gesagt, es sei eine Schande für das ganze Dorf, daß sie einen Schulmeister hätten, dem der Hemdeschild zu den Hosen heraus guckte. Das stach mich verzweifelt in die Nase, daß man mir den Ruhm, den ich, wie sie sich wohl denken konnten, erhalten hatte, so zu Wasser machen wollte. Ich wollte zeigen, daß man mich nicht so leicht