Die Ahnen. Gustav Freytag

Читать онлайн.
Название Die Ahnen
Автор произведения Gustav Freytag
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

hörte in der Halle den Schrei, wild fuhr sie auf und legte den Sohn in Fridas Arm. Und wieder rief‘s von draußen schriller und angstvoller: »Irmgard! verlorenes Kind!«

      Ingo setzte den Schild zu Boden und sah über die Achsel zurück: »Der Habicht schreit nach seinem Nestling, gehorche dem Ruf, Fürstin der Thüringe.«

      Bei dem Gemahl vorüber stürzte das Weib dem Vater zwischen den feindlichen Speeren entgegen. Aus den Haufen der Thüringe brach ein Freudenschrei und Heilruf. Sie umschlang den Vater und rief: »Wohl mir, mein Auge schaut dich und an deiner Brust hältst du mich.«

      Dem Helden Answald bebte das Herz und er zog sie mit sich. »Die Mutter wartet, liebes Kind.«

      »Segne mich,« rief Irmgard, »heiß ist das Gemach, wo ein armes Kind nach der Mutter schreit, segne mich, Vater«, rief sie, ihn krampfhaft festhaltend.

      Der Fürst legte den Arm um ihr Haupt, sie beugte sich tief vor seine Knie, dann erhob sie sich schnell, trat zurück und die Hand gegen ihn ausstreckend, rief sie: »Grüße die Mutter!« und wandte sich mit starkem Schwunge rückwärts nach dem brennenden Hause. Ingo hatte unbewegt gestanden, den scharfen Blick gegen die Feinde gerichtet. Als sein Weib aber zu ihm in die Todesnot zurückkehrte, trat er ihr entgegen und breitete die Arme, sie zu umschließen. Da schwirrte der Eschenspeer aus Theodulfs Faust und traf den König von der Seite unter den Arm. Still sank Ingo nach der Halle zurück aus den Händen der Gemahlin. Berthar sprang vor und deckte mit dem Schild den Wunden, den seine Mannen seufzend auf die erhöhte Herrenbank trugen. Vor ihm kniete Irmgard, aber Berthar rief in den Raum: »Laßt Weiber trauern um des Königs Wunde; schnell heran, ihr Gesellen, dem König zu folgen auf seinem Pfad. Vier sind der Tore in des Königs Halle, aus jedem führt der Weg nach dem Himmelssaal. Sorgt, daß ihr rächt die Königswunde. Walbrand, der letzte warst du an des Herrn Bank, dafür springst du heut als erster, und der letzte sei ich.«

      Die Vandalen sprangen an die Tore, von da die Stufen hinab, einer nach dem anderen, wie der Alte sie rief. Und von neuem erhob sich um das Haus Kampfgetöse und Getümmel. Wilder fuhr der Sturmwind über das lodernde Dach, hoch oben rollte der Donner, das Dach der Halle krachte, Asche und brennende Schindeln fielen herab. Frida setzte betäubt das Kind auf das Lager des Königs.

      »Der Knabe lacht«, rief Irmgard und warf sich schluchzend über das Kind, welches fröhlich mit den Beinchen schlug und die Hände nach den Flammenhaufen am Boden ausstreckte. Fest hielt Irmgard ihr Kind umschlossen, es war lautlose Stille im Raum. Dann riß sie die Tasche von Otterfell, die Gabe der Schicksalsfrau, aus ihrem Gewande, hing dem Knaben die Tasche um den kleinen Leib, hüllte ihn in die Decke, und das Kind noch einmal küssend, rief sie zu Frida: »Rette ihn und singe ihm von seinen Eltern.« Frida aber sprang zu Wolf, der als Speerhüter am Lager des Königs stand und flehte: »Komm, am hintern Tor stehen Männer aus unseren Lauben, wir dringen in den Wald.«

      Da rief der Alte mit heiserer Stimme: »Wo säumt der Vortänzer? Die Springer harren.«

      »Lebe wohl, Frida,« versetzte Wolf, »nicht zu gleicher Tür fahren wir aus dem Feuer, lebe wohl und denke mein.« Noch einmal sah er sie mit treuen Augen an, dann brach er mit mächtigem Satz aus der Tür, sprang über die glühenden Holzkloben vor der Treppe und schleuderte seinen Speer einem Knaben der Königin mitten in die Brust, daß dieser zusammenbrach und ein lauter Schrei im Ringe der Männer erscholl. Auf den Helden flogen die Pfeile, er blutete aus mehreren Wunden, aber sein Schwert schwingend, warf er sich in den Haufen, vor welchem Theodulf stand, zur Rechten und Linken taumelten die Getroffenen zurück, wild hob er die Waffe gegen den alten Bankgenossen, da brach er selbst sterbend zusammen.

      Und wieder rief Theodulfs Stimme gewaltig mahnend: »Die Balken beben, rettet die Frauen!« Und Fürst Answald schrie an das Tor springend: »Irmgard! rettet mein Kind!« Da erhob sich am Tor gegen ihn die zusammengesunkene Gestalt des Alten, mit Asche bedeckt das Haupt, gebrannt der Bart, die Gier nach Rache im Antlitz. Und grimmig rief er: »Wer ist es, der so frech am Schlafgemach des Königs lärmt und Einlaß begehrt? Bist du es, Narr, der einst bereute, daß er Gastrecht bot? Mit kaltem Gruß hast du meinen König entlassen, kalt wie Eisen sei die Antwort, die der Vandale dir bietet.« Und schnell wie ein Raubtier sprang er von den Stufen und stieß die Waffe dem Häuptling der Thüringe durch Panzer und Brust. Dann rief er über den entsetzten Haufen: »Vollbracht ist alles und gut war das Ende. Zieht heim, bleichnasige Toren, und dreht mit den Weibern die Mühlsteine eurer Königin. Der große König der Vandalen steigt aufwärts zu seinen Ahnen.« Um ihn flogen die Geschosse, er aber schüttelte die Eisen ab wie ein verwundeter Bär, wandte sich schwerfällig nach der Halle, setzte sich mit seinem Schilde an den Fuß des Königslagers und sprach nicht mehr.

      Durch das zerbrochene Tor ritt die Königin gegen die brennende Halle. Laut rollte der Donner und die Blitze zuckten, von der Flamme des Hauses glühte wie rotes Feuer der Golddraht des Panzers, welcher ihre Brust umschloß. Sie tauchte vom Rosse zu Boden, scheu wichen die Männer zurück, denn leichenbleich war ihr Antlitz und finster gezogen die Brauen.

      Sie stand unbeweglich und sah in die Lohe. Nur einmal regte sie sich und warf die Augen flammend zur Seite, als sie ein Weib merkte, das, ein Kind auf dem Arme, gegen die Männer rang, welche sie festhielten. »Es ist nur die Dienerin,« sprach Theodulf halblaut mit fahler Wange, »und es ist das Kind.« Die Königin befahl durch eine heftige Gebärde, das Weib zur Seite zu führen. Das Feuer leckte über den First hoch gegen die Wolken, der Wettersturm fuhr in die Flamme, daß sie weit umherloderte, er warf brennende Späne und Bretter gegen Frau Gisela und den Haufen der Männer. Aber die Königin stand unbeweglich und starrte in die Glut.

      Drinnen im Haus war es still, Irmgard kniete am Lager des Gatten; ihr Haar deckte seine Wunde, sie hielt ihn fest umschlungen und lauschte auf seine Atemzüge.

      Der todwunde Mann legte den Arm um sie und sah ihr stumm in die Augen. »Ich danke dir, Ingo,« sprach sie, »sei mir gegrüßt, Geliebter, auf dem letzten Lager liegen wir beide gesellt.« Näher rollte der Donner. »Hörst du die oben rufen?« murmelte der Sterbende. »Halte mich, Ingo«, rief Irmgard. Ein flammender Blitzstrahl erfüllte die Halle, ein Wetterschlag dröhnte, die Balken des Daches brachen zusammen.

      Draußen aber schoß auf die betäubten Mannen der Königin der Hagelschauer, die Eisstücke schlugen auf Helm und Panzerhemd. »Die Götter laden ihren Sohn zu sich in den Saal«, schrie die Königin und verhüllte ihr Haupt in den Mantel. Die Männer aber warfen sich unter ihren Schilden zu Boden und bargen das Antlitz vor dem Zorn des Donnergotts. Als das Wetter vorübergerauscht war und die Krieger sich scheu erhoben und um sich schauten, da war die grüne Bergfläche mit grauem Eise bedeckt, zusammengestürzt lag das Haus und aus der nassen Kohle züngelten kleine Flammen. Die Königin, wie in Stein verwandelt, stand immer noch vor der Brandstätte und sprach vor sich hin: »Die eine liegt still auf heißem Lager, die andere steht draußen vom Hagel geschlagen; vertauscht hat der Neid der Götter die Lose, mein Recht war es, dort drinnen zu sein.«

      »Wo ist sein Kind?« fragte sie mit wildem Blick umhersehend. Frida und das Kind waren verschwunden. Die Krieger suchten an der Berglehne und in den Tälern, sie spähten in jeden hohlen Baum und in jedes Dickicht verflochtener Zweige, Theodulf durchzog mit seinem Gefolge den ganzen Gau der Waldleute und forschte an jedem Herdfeuer. Aber von dem Sohne Ingos und Irmgards erhielt die Königin niemals Kunde.

      Ingraban

      1. Im Jahr 724

      Auf dem Waldwege, der vom Main nordwärts in das Hügelland der Franken und Thüringe führt, zogen an einem heißen Sommertage drei Reiter schweigend dahin. Der erste war der Führer, ein junger Mann von starken Gliedern; das lange Haar hing ihm wild um das Haupt, die blauen Augen waren in unaufhörlicher Bewegung und spähten nach beiden Seiten des Weges in den Wald. Er trug eine verschossene Lederkappe, über der braunen Jacke eine große Tasche mit Reisevorrat, in der Hand den Wurfspeer, auf dem Rücken Bogen und Jagdköcher, an der Seite ein langes Weidmesser, am Sattel seines Rosses eine schwere Waldaxt. Einige Schritte hinter ihm ritt ein breitschultriger Mann in den Jahren seiner besten Kraft, mit großem Haupt, die mächtige Stirn und die blitzenden Augen gaben ihm das Aussehen eines Kriegers. Aber er trug sich nicht wie ein Mann des Schwertes, das kurz geschorene Haar deckte ein sächsischer Strohhut, an dem langen