Название | Im Reiche des silbernen Löwen IV |
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Автор произведения | Karl May |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
»Nein,« antwortete der Pedehr. »Denkst du, daß der Bluträcher uns lange warten lassen wird?«
»Gewiß nicht. Seine heutigen Begleiter kennen sicher alle seine Unternehmungen. Sie warten mit größter Neugierde auf seine Rückkehr. Auch den Mann mit den vier Pferden läßt er wohl nicht gern lange Zeit allein, weil jeden Augenblick sich eine Störung oder gar Entdeckung ereignen kann. Wie ich schon gesagt habe, so denke ich auch noch jetzt: Wenn kein Licht mehr hier oben brennt, wird der Multasim annehmen, daß wir schlafen, und sich unverzüglich an das Werk machen.«
»Wohlan, so wollen wir uns beeilen. In zehn Minuten soll alles zu seinem Empfange bereit sein. Gehst du einstweilen wieder hinauf in deine Wohnung, Effendi?«
»Nein. Ich bleibe hier.«
»So erlaubt, daß ich euch verlasse, die Vorbereitungen zu treffen!«
Er entfernte sich. Der Ustad ließ zwei Kissen bringen, auf welche wir uns an der Hinterwand niedersetzten, doch so, daß ich die drei Bogenöffnungen an den Säulen im Auge hatte und den Multasim, wenn er kam, sehen konnte. Kara war wieder zum Bette seines Vaters gegangen. Der Bote und sein Sohn hockten sich in unserer Nähe nieder, um im gegebenen Augenblicke mit zuzufassen. Dann kam der Pedehr mit noch vier kräftigen Männern, die sich in der hintern Ecke versteckten. Jenseits der Thür hielten einige Personen brennende Lichter. Dann wurden die unsern alle ausgelöscht. Da dachte ich an meine Lampe oben. Sie brannte ja, und ihr Schein mußte unten im Duar gesehen werden. Ich sagte das dem Ustad, der sich sofort erhob, um hinaufzugehen und sie selbst auszulöschen. Als er dann wieder kam, war alles bereit, denn der Pedehr hatte dafür gesorgt, daß sogar in der Küche alles finster war. Es schien sich jedermann im »hohen Hause« niedergelegt zu haben. Der Bluträcher konnte erscheinen!
War es nicht vielleicht sonderbar, daß ich herzlich wünschte, daß er kommen möge? Man soll doch nicht das Verlangen in sich tragen, daß sich einem das Verbrechen nahe! Aber nicht bloß das Denkvermögen, sondern auch das Gefühl hat seine Erwägungen, wenn man die logische Folgerichtigkeit derselben auch nicht so deutlich nachzuweisen vermag. Und wenn ich die Empfindung in mir trug, daß ich den Multasim herbeiwünschen müsse, so hatte sie jedenfalls ihren guten Grund. Der Bluträcher lebte; er war vorhanden. Seine Absichten richteten sich gegen mich. Sie konnten mir nur dann gefährlich werden, wenn ich auf seinen Angriff nicht gefaßt war. Ich hatte nicht ihn selbst, sondern nur die plötzliche Ueberrumpelung zu fürchten. Heut nun, jetzt, war ich auf ihn vorbereitet. Führte er seinen gegenwärtigen Plan nicht aus, so entwand er sich der Gewißheit, festgenommen zu werden, und zog alle meine Vorsicht, welche ich zu üben hatte, mit sich in die Ungewißheit hinaus. Darum mußte ich wünschen, daß nichts eintreten möge, was ihn verhindern könne, jetzt bei seinem Vorhaben zu bleiben.
Es war still in der Halle, und so dunkel, daß keiner den andern sehen konnte, obgleich wir uns so nahe waren. Der leise Schimmer der Nacht lag draußen auf den Stufen. Er konnte nicht bis zu den Säulen heran, weil er von dem Vordache über ihnen aufgefangen wurde. Darum hoben sich die drei Bogenöffnungen des Einganges zwar ganz bemerklich von dem Dunkel ab, aber der Fußboden war dem Sternenlichte so entzogen, daß ich mir sagen mußte, der Perser wäre sicher ganz unbemerkt hereingekommen, wenn wir seinen Anschlag nicht erfahren hätten. Bemerken muß ich da freilich, daß ich keinen Grund hatte, ihm diejenige Fertigkeit im Anschleichen zuzutrauen, welche zwar auch der geübte Beduine besitzt, in der aber nur die Indianer und Jäger des »fernen Westens« von Nordamerika wirklich Meister waren. Ich sollte bald erfahren, daß ich mich da geirrt hatte. Der Haß ist auf dem Schleichwege immer Meister. Er kann sich da in Beziehung auf seine Arglist und Ausdauer rühmen, unübertrefflich zu sein.
Der neben mir sitzende Ustad hatte zu mir herübergegriffen und meine Hand in die seinige genommen. Er hielt sie fest.
»Wie lieb ich dich habe, Effendi!« flüsterte er mir zu. »Ich habe es gar nicht gewußt. Aber als ich hörte, daß es sich um einen Angriff gegen dein Leben handle, erhob sich ein Gefühl in mir, als ob wir leiblich und geistig so eng verbunden seien, daß wir miteinander eine gleich denkende und gleich empfindende, vollständig unzertrennliche Einheit bilden.«
»War es wirklich ein Gefühl? Oder doch vielleicht etwas anderes?« fragte ich. »Wenn sich verwandte Geister küssen, fließen die Pulse ihrer körperlichen Herzen zu einem einzigen zusammen. Das Wort Geisterliebe klingt gespensterhaft, aber sie ist die höchste und die mächtigste, welche das Hier mit dem Dort verbindet. Indem sie das Eine zu dem Anderen emporhebt, bringt sie die Seligkeit.«
Vielleicht hätte ich noch etwas hinzugefügt, da ich mit diesem Gedanken mein Lieblingsthema berührte, aber ich verzichtete darauf, denn es war mir, als ob ich soeben etwas gehört und auch etwas gesehen habe. Es war nichts Bestimmtes, nichts für die Augen und Ohren fest Greifbares, sondern nur ein leises Rauschen oder Wehen wie von einem leichten Gewande, das schnelle Vorüberhuschen von etwas sich Bewegendem, aber gestaltlos und haltlos, von keinem wirklich existierenden Wesen rührend.
»Sahst du etwas? Hörtest du etwas?« fragte ich den Ustad.
»Nein. – Du?« antwortete er.
»Es war, als ob ein halbsichtbarer Gedanke quer durch die Halle gehuscht sei.«
»Wohin?«
»Nach der Ecke, wohin der Multasim kommen wird.«
»Den haben wir von draußen zu erwarten. Der ist nicht hier in dem Raume versteckt. Es wird eben, wie du sagtest, ein Gedanke gewesen sein.«
Das schien mir so richtig, daß ich annahm, mich wirklich getäuscht zu haben. Der, den wir erwarteten, konnte doch jedenfalls nicht aus der Ecke kommen, in welcher mein Hadschi Halef schlief. Wir hatten unsere Aufmerksamkeit nur nach dem Eingange zu richten, und das thaten wir in einer Weise, welche erwarten ließ, daß wir den Bluträcher trotz des allervorsichtigsten Anschleichens ganz gewiß und sofort sehen würden.
Es verging aber Zeit um Zeit, Viertelstunde um Viertelstunde, ohne daß wir etwas bemerkten. Da – — es mochte wohl nach einer Stunde sein – — gab es irgendwo ein leises Kratzen oder Scharren und hierauf ein ziemlich lautes, hastiges Atemholen, welches fast wie Röcheln klang. Der Ort, woher es kam, war nicht zu bestimmen. Ich nahm an, daß einer der versteckten Dschamikun so unvorsichtig gewesen sei, diesen lauten Atemzug zu thun, der uns sehr leicht verraten konnte; da aber erklang Kara Ben Halefs helle Stimme:
»Sihdi, laß die Lichter hereinbringen!«
Ich war natürlich außerordentlich überrascht, zumal dieser Ruf nicht von dem Bette seines Vaters her, wo er sich doch befunden hatte, erschollen war.
»Wo befindest du dich?« fragte ich ihn, selbstverständlich ebenso laut.
»Hier an deinem angeblichen Lager.«
»Welche Unvorsichtigkeit!«
»Sag lieber, welche Pfiffigkeit! Denn wenn ich nicht vorsichtiger gewesen wäre als ihr, so hätte er sich wieder fortgeschlichen. Ich habe ihn!«
»Maschallah! Ist das wahr?«
»Würde ich es sagen, wenn es anders wäre? Bringt Licht!«
Wir sprangen alle auf. Die Thür zum Hausgange wurde geöffnet, und die da draußen stehenden Leute kamen mit ihren brennenden Kerzen und Oellampen herein. Was wir nun sahen, das war allerdings verwunderlich. Ganz nahe an dem Bette, welches als das meinige gegolten hatte, lag ein Mensch, mit dem Rücken nach oben, vollständig bewegungslos. Er war nur mit der Hose bekleidet, sonst aber nackt, und hatte den Oberkörper und die Arme mit Oel eingerieben. Das ist eine Gepflogenheit der beduinischen Anschleicher, welche sich dadurch so schlüpfrig machen, daß sie, falls man sie entdeckt, nicht festgehalten werden können, weil das Oel oder Fett dem Körper eine Glätte verleiht, die jeden festen, ehrlichen Griff vergeblich macht. Bei ihm kniete Kara, welcher ihm beide Hände so fest um den Hals gelegt hatte, daß dem Ertappten die Möglichkeit der Gegenwehr vollständig genommen worden war.
»Schnell, bindet ihn!«