Der Golem / Голем. Густав Майринк

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Название Der Golem / Голем
Автор произведения Густав Майринк
Жанр
Серия Exklusive Klassik
Издательство
Год выпуска 1914
isbn 978-5-17-155880-2, 978-5-17-155879-6



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Trödler Aaron Wassertrum, den läßt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, daß einer, den er nicht kennt, der immer in seiner Nähe ist und den er doch nicht fassen kann, – ein anderer als Dr. Savioli – die Hand im Spiele gehabt haben müsse.

      Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermögen, so faßt er es doch nicht, daß es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen».

      Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.

      «Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!

      Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. – Diesmal wird es ein Königsläufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wüßte.

      Wer sich mit mir in ein solches Königsläufergambit einläßt, der hängt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fäden, – an Fäden, die ich zupfe, – hören Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist’s dahin».

      Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.

      «Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, daß Sie so voll Haß sind?»

      Charousek wehrte heftig ab:

      «Lassen wir das – fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen hat! – Oder wünschen Sie, daß wir ein andres Mal darüber sprechen? – Der Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?»

      Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plötzlich ganz ruhig wird. Ich schüttelte den Kopf.

      «Haben Sie jemals gehört, wie man heutzutage den grünen Star heilt? – Nicht? – So muß ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau verstehen, Meister Pernath!

      Hören Sie zu: Der ›grüne Star‹ also ist eine bösartige Erkrankung des Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem Fortschreiten des Übels Einhalt zu tun, nämlich die sogenannte Iridektomie, die darin besteht, daß man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilförmiges Stückchen herauszwickt.

      Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche Blendungserscheinungen, die fürs ganze Leben bleiben; der Prozeß des Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.

      Mit der Diagnose des grünen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.

      Es gibt nämlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die deutlichsten Symptome scheinbar ganz zurücktreten, und in solchen Fällen darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch niemals mit Bestimmtheit sagen, daß sein Vorgänger, der andrer Meinung gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben müsse.

      Hat aber einmal die erwähnte Iridektomie, die sich natürlich genauso an einem gesunden Auge wie an einem kranken ausführen läßt, stattgefunden, so kann man unmöglich mehr feststellen, ob früher wirklich grüner Star vorgelegen hat oder nicht.

      Und auf diese und noch andere Umstände hatte Dr. Wassory einen scheußlichen Plan aufgebaut.

      Unzählige Male – besonders an Frauen – konstatierte er grünen Star, wo harmlose Sehstörungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm keine Mühe machte und viel Geld eintrug.

      Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehörte zum Ausplündern auch keine Spur von Mut mehr!

      Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft seine Opfer zerfleischen konnte.

      Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! – Begreifen Sie?! Ohne das geringste wagen zu müssen!

      Durch eine Menge fauler Veröffentlichungen in Fachblättern hatte sich Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anständig waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewußt.

      Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die natürliche Folge.

      Kam nun jemand mit geringfügigen Sehstörungen zu ihm und ließ sich untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit tückischer Planmäßigkeit zu Werke.

      Zuerst stellte er das übliche Krankenverhör an, notierte aber geschickt immer nur, um für alle Fälle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine Deutung auf grünen Star zuließen.

      Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine frühere Diagnose vorläge.

      Gesprächsweise ließ er einfließen, daß ein dringender Ruf aus dem Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Maßnahmen an ihn ergangen sei und er daher schon morgen verreisen müsse. —

      Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie möglich.

      Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!

      Wenn das Verhör vorüber und die übliche bange Frage des Patienten, ob Grund zur Befürchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen ersten Schachzug.

      Er setzte sich dem Kranken gegenüber, ließ eine Minute verstreichen und sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:

      «Erblindung beider Augen ist bereits in der allernächsten Zeit wohl unvermeidlich!»

      Die Szene, die naturgemäß folgte, war entsetzlich.

      Oft fielen die Leute in Ohnmacht, weinten und schrien und warfen sich in wilder Verzweiflung zu Boden.

      Das Augenlicht verlieren, heißt alles verlieren.

      Und wenn der wiederum übliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar keine Hilfe mehr gäbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und verwandelte sich selbst in jenen – Gott, der helfen konnte!

      Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -

      Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das einzige, was vielleicht Rettung bringen könne, und mit einer wilden, gierigen Eitelkeit, die plötzlich über ihn kam, erging er sich mit einem Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle mit dem vorliegenden eine ungemein große Ähnlichkeit gehabt hätten, – wie unzählige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und dergleichen mehr.

      Er schwelgte förmlich in dem Gefühl, für eine Art höheren Wesens gehalten zu werden, in dessen Hände das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist.

      Das hilflose Opfer aber saß, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiß auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn – den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte – zu erzürnen.

      Und mit den Worten, daß er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten könne, wenn er von seiner Reise wieder zurück sei, schloß Dr. Wassory seine Rede.

      Hoffentlich – man solle in solchen Fällen immer das Beste hoffen – sei es dann nicht zu spät, sagte er.

      Natürlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklärten, daß sie unter gar keinen Umständen auch nur einen Tag länger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augenärzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht kommen könnte.

      Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag führte.

      Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schließlich bekümmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das müsse – der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei – wegen der blendenden Strahlen geradezu verhängnisvoll wirken.

      Ein andrer Arzt