Der Golem / Голем. Густав Майринк

Читать онлайн.
Название Der Golem / Голем
Автор произведения Густав Майринк
Жанр
Серия Exklusive Klassik
Издательство
Год выпуска 1914
isbn 978-5-17-155880-2, 978-5-17-155879-6



Скачать книгу

von drei Häusern aus sei es möglich, unauffällig in das Atelier zu gelangen. – Sogar durch eine Falltüre gäbe es einen Zugang!

      Ja, wenn man die eiserne Tür des Bodenraumes aufklinke, – und das sei von drüben aus sehr leicht, – könne man an meiner Kammer, vorbei zu den Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benützen…

      Wieder klingt das fröhliche Lachen herüber und läßt in mir die undeutliche Erinnerung an eine luxuriöse Wohnung und an eine adlige Familie auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altertümern kleine Ausbesserungen vorzunehmen. —

      Plötzlich höre ich nebenan einen gellenden Schrei. Ich horche erschreckt.

      Die eiserne Bodentür klirrt heftig, und im nächsten Augenblick stürzt eine Dame in mein Zimmer.

      Mit aufgelöstem Haar, weiß wie die Wand, einen goldenen Brokatstoff über die bloßen Schultern geworfen.

      «Meister Pernath, verbergen Sie mich, – um Gottes Christi willen! – fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!»

      Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine Tür abermals aufgerissen und sofort wieder zugeschlagen. —

      Eine Sekunde lang hatte das Gesicht des Trödlers Aaron Wassertrum wie eine scheußliche Maske hereingegrinst. —

      Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor mir auf, und im Schein des Mondlichtes erkenne ich wiederum das Fußende meines Bettes. Noch liegt der Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name Pernath steht in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.

      Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? – Athanasius Pernath?

      Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo meinen Hut verwechselt, und ich wunderte mich damals, daß er mir so genau passe, wo ich doch eine höchst eigentümliche Kopfform habe.

      Und ich sah in den fremden Hut hinein – damals und – ja, ja, dort hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weißen Futter:

      ATHANASIUS PERNATH.

      Ich hatte mich vor dem Hut gescheut und gefürchtet, ich wußte nicht warum.

      Da fährt plötzlich die Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie Fett ausgesehen habe, auf mich los, gleich einem Pfeil.

      Schnell male ich mir das scharfe, süßlich grinsende Profil der roten Rosina aus, und es gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der sich sogleich in der Finsternis verliert.

      Ja, das Gesicht der Rosina! Das ist doch noch stärker als die stumpfsinnige plappernde Stimme; und gar, wo ich jetzt gleich wieder in meinem Zimmer in der Hahnpaßgasse geborgen sein werde, kann ich ganz ruhig sein.

      I

      Wenn ich mich nicht getäuscht habe in der Empfindung, daß jemand in einem gewissen, gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt, in der Absicht, mich zu besuchen, so muß er jetzt ungefähr auf dem letzten Stiegenabsatz stehen.

      Jetzt biegt er um die Ecke, wo der Archivar Schemajah Hillel seine Wohnung hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen auf den Flur des oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.

      Nun tastet er sich an der Wand entlang, und jetzt, gerade jetzt, muß er, mühsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem Türschild lesen.

      Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und blickte zum Eingang.

      Da öffnete sich die Türe, und er trat ein.

      Nur wenige Schritte machte er auf mich zu und nahm weder den Hut ab, noch sagte er ein Wort der Begrüßung.

      So benimmt er sich, wenn er zu Hause ist, fühlte ich, und ich fand es ganz selbstverständlich, daß er so und nicht anders handelte.

      Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.

      Dann blätterte er lange drin herum.

      Der Umschlag des Buches war aus Metall, und die Vertiefungen in Form von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefüllt.

      Endlich hatte er die Stelle gefunden, die er suchte, und deutete darauf.

      Das Kapitel hieß «Ibbur», «die Seelenschwängerung», entzifferte ich.

      Das große, in Gold und Rot ausgeführte Initial «I» nahm fast die Hälfte der ganzen Seite ein, die ich unwillkürlich überflog, und war am Rande verletzt.

      Ich sollte es ausbessern.

      Das Initial war nicht auf das Pergament geklebt, wie ich es bisher in alten Büchern gesehen, schien vielmehr aus zwei Platten dünnen Goldes zu bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelötet waren und mit den Enden um die Ränder des Pergaments griffen.

      Also mußte, wo der Buchstabe stand, ein Loch in das Blatt geschnitten sein?

      Wenn das der Fall war, mußte auf der nächsten Seite das «I» verkehrt stehen?

      Ich blätterte um und fand meine Annahme bestätigt.

      Unwillkürlich las ich auch diese Seite durch und die gegenüberliegende.

      Und ich las weiter und weiter.

      Das Buch sprach zu mir, wie der Traum spricht, klarer nur und viel deutlicher. Und es rührte mein Herz an wie eine Frage.

      Worte strömten aus einem unsichtbaren Munde, wurden lebendig und kamen auf mich zu. Sie drehten sich und wandten sich vor mir wie buntgekleidete Sklavinnen, sanken dann in den Boden oder verschwanden wie schillernder Dunst in der Luft und gaben der nächsten Raum. Jede hoffte eine kleine Weile, daß ich sie erwählen würde und auf den Anblick der Kommenden verzichten.

      Manche waren unter ihnen, die gingen prunkend einher wie Pfauen, in schimmernden Gewändern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.

      Manche wie Königinnen, doch gealtert und verlebt, die Augenlider gefärbt, – mit dirnenhaftem Zug um den Mund und die Runzeln mit häßlicher Schminke verdeckt.

      Ich sah an ihnen vorbei und nach den kommenden, und mein Blick glitt über lange Züge grauer Gestalten mit Gesichtern, so gewöhnlich und ausdrucksarm, daß es unmöglich schien, sie dem Gedächtnis einzuprägen.

      Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein Erzkoloß.

      Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir.

      Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer Körper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand.

      Der schlug wie ein Erdbeben, und ich fühlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr.

      Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.

      Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen, und immer näher brauste der Zug.

      Jetzt hörte ich den hallenden Gesang der Verzückten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar.

      Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige Gestalt und saß, halb männlich, halb weiblich, – ein Hermaphrodit – auf einem Throne von Perlmutter.

      Und die Krone des Hermaphroditen endete in einem Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der Zerstörung geheimnisvolle Runen genagt.

      In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge führte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.

      Zuweilen waren unter den Gestalten, die aus dem unsichtbaren Munde strömten, etliche, die kamen aus Gräbern, – Tücher vor dem Gesicht.

      Und blieben sie vor mir stehen, ließen sie plötzlich ihre Hüllen fallen und starrten mit Raubtieraugen hungrig auf mein Herz, daß ein eisiger Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurückstaute wie ein Strom, in den Felsblöcke vom Himmel herniedergefallen sind – plötzlich und mitten in sein Bette. —

      Eine Frau schwebte an mir vorbei.