Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
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Год выпуска 0
isbn 9783754958339



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die Angeklagte, Stiftsoberin Elisc v. Heusler freizusprechen und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen seien.

      Das Urteil wurde vom Publikum mit lautem Beifall aufgenommen. Die Angeklagte wurde von allen Seiten beglückwünscht und bei ihrem Austritt aus dem Justizpalast von der dort postierten zahlreichen Menschenmenge mit stürmischen Hochrufen empfangen.

      Den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft im besonderen und den Fortschritten der Kultur im allgemeinen ist es zu danken, daß Irrsinnige als kranke Menschen und nicht mehr, wie in früherer Zeit, als vom Teufel Besessene behandelt werden. Ich nehme an, daß die mittelalterliche Anschauung, Irrsinnigen muß der böse Geist durch heftige Prügel ausgetrieben werden, nirgends mehr angewendet wird.

      Vor achtzehn Jahren, in dem Prozeß wider Mellage und Genossen, der vom 30. Mai bis 8. Juni 1895 die Strafkammer zu Aachen beschäftigte, wurde festgestellt, daß in dem Laien-Mönchskloster »Mariaberg« bei Aachen Irrsinnige, wenn auch nicht verbrannt, aber heftig geschlagen, zum Teil sogar totgeschlagen wurden, weil die Klosterbrüder, die sich »Alexianer« nannten, der Ansicht waren, die Kranken seien vom Teufel besessen. Der damalige Aachener Regierungspräsident hatte gegen die Kritiker dieser schauderhaften mittelalterlichen Vorkommnisse nichts Besseres zu tun, als den Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen. Die Humanität hat jetzt zweifellos auch in den Irrenanstalten eine Stätte gefunden. Ich nehme an, daß die vielfachen Klagen über schlechte Behandlung in den Irrenhäusern zumeist auf Einbildung der Kranken beruhen. Jedenfalls ist ein Reichsirrengesetz, das selbst von hervorragenden Psychiatern, wie von dem Oberarzt an der Irrenheilanstalt »Berolinum« in Steglitz bei Berlin, Herrn Dr. Otto Juliusburger u.a. gefordert wird, eine dringende Notwendigkeit. Wenn ich es auch für ausgeschlossen halte, daß Ärzte materieller Vorteile wegen geistig Gesunde in Irrenanstalten schicken und Irrenhausärzte geistig Gesunde in Irrenhäusern festhalten, so herrscht jedenfalls im Volke vielfach ein großes Mißtrauen gegen das Irrenhauswesen. Die ungeheuerlichen Vorkommnisse im Alexianerkloster »Mariaberg«, an denen die dort angestellten Ärzte Sanitätsrat Dr. Capellmann und Dr. Chantraine und auch der damalige Aachener Kreisarzt, Geh. Medizinalrat Dr. Kribben, einen ganz wesentlichen Teil der Schuld trugen, aber auch verschiedene Vorkommnisse in anderen Irrenanstalten haben dies Mißtrauen erzeugt. Es ist dringend notwendig, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, daß die Überführung geistig Gesunder in eine Irrenanstalt nicht mehr möglich ist. Andererseits sind gesetzliche Bestimmungen erforderlich, die die rechtzeitige Überführung gemeingefährlicher Geisteskranker in eine geschlossene Irrenanstalt und deren dauernde Festhaltung zur Pflicht machen. Wenn das Gericht einen Angeklagten freisprechen muß, weil es die Überzeugung erlangt hat, daß zur Zeit der Tat die freie Willensbestimmung des Angeklagten ausgeschlossen war, so verläßt dieser alsdann doch offenbar gemeingefährliche Geisteskranke die Anklagebank und kann im nächsten Augenblick dasselbe Verbrechen begehen. Der Gerichtshof muß das Recht, ja, die Pflicht haben, einen Angeklagten, den er auf Grund des § 51 des Strafgesetzbuches freispricht, ohne Verzug in eine geschlossene Irrenanstalt überführen zu lassen. Es gibt Verbrecher, die, sobald sie in Freiheit sind, alle möglichen Verbrechen begehen, weit sie den Irrenschein in der Tasche haben. Diese Leute sagen sich: Wenn ich gefaßt werde, so kann mir ja nichts weiter passieren, ich muß auf alle Fälle freigesprochen werden. In den Vorstadtkneipen Berlins wird von Komikern schon seit Jahren ein Lied mit folgendem Schlußrefrain vorgetragen:

      »Gott schütze die Psychiater und erhalte uns den Paragraphen 51.«

      Es ist zweifellos ungemein schwierig, festzustellen, ob ein Verbrecher, der womöglich unter der Einwirkung des chronischen Alkoholismus gehandelt hat und noch obendrein erblich belastet ist, vollständig zurechnungsfähig ist. Wenn aber hervorragende Psychiater einen Angeklagten, wie den Knabenmörder Ritter für geistesgestört erklären, dann sollte der Gerichtshof, wenn er auch dieser Auffassung nicht beitritt, doch in der Lage sein, dafür zu wirken, daß der Angeklagte nach beendeter Strafverbüßung einer geschlossenen Irrenanstalt überwiesen wird. Auch sollte kein Geisteskranker, selbst wenn er oder seine Angehörigen nicht in der Lage sind, das Pensionsgeld zu zahlen, aus der Irrenanstalt entlassen werden, solange die Wiedererlangung seiner geistigen Gesundheit nicht außer Zweifel steht. Es ist auch dringend notwendig, das Entweichen verbrecherischer und gemeingefährlicher Geisteskranker aus einer Irrenanstalt unmöglich zu machen und dem Wärterpersonal einzuschärfen, daß Geisteskranke als Kranke zu behandeln sind. Es ist ferner erforderlich, ehe eine Person auf Antrag eines oder mehrerer Familienmitglieder wegen Irrsinnsverdachts einer Anstalt überwiesen wird, in genauester Weise nachzuforschen, ob dem Antrag irgendwelche andere Ursachen, Erbschafts- oder unliebsame eheliche Verhältnisse zugrunde liegen.

      Der Fabrikbesitzer und Stadtverordnete Emanuel Lubecki in Beuthen, Oberschlesien, hatte Ursache, auf seine 13 Jahre jüngere Frau eifersüchtig zu sein. Frau Lubecki, eine sehr hübsche Frau, soll mit einem Angestellten ihres Mannes ein sträfliches Verhältnis unterhalten haben. Aus diesem Anlaß kam es zwischen den Eheleuten vielfach zu argen Auftritten. Lubecki geriet schließlich in derartige Aufregung, daß er oftmals heftig weinte. Die Gattin hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als den Mann, auf eine bequeme Art loszuwerden. Sie verstand es, dem in ihrem Hause wohnenden Dr. med. Locke, zu dem sie ebenfalls unlautere Beziehungen unterhalten haben sollte, zu bestimmen, ein ärztliches Attest auszustellen, in dem es hieß: Lubecki leide an aktueller Geistesgestörtheit. Dieser Arzt hatte Lubecki weder jemals untersucht, noch mit dem Hausarzt des letzteren Rücksprache genommen. Dr. Locke wußte aber auch den Kreisarzt Dr. la Roche zu bestimmen, das von ihm ausgestellte Attest gegenzuzeichnen. Der Kreisarzt soll außerdem Lubecki zugeredet haben, im Interesse seiner Gesundheit sich in ein Sanatorium zu begeben. Durch List gelang es der Gattin, den Mann nach der Provinzial-Irrenanstalt Leubus in Schlesien zu locken. Lubecki glaubte, in ein Sanatorium zu kommen. Als sich die Pforten des Irrenhauses hinter ihm geschlossen hatten, sah der Mann, der noch am Tage vor seiner Einlieferung als Schöffe in einer anstrengenden Gerichtssitzung mitgewirkt hatte, daß er sich in einem Irrenhaus befinde. Lubecki versuchte die Ärzte zu überzeugen, daß er nicht geisteskrank und nur durch Intrige seiner Frau ins Irrenhaus gekommen sei. Die Ärzte beachteten dies aber nicht, sondern behandelten ihn als Trinker und Paralytiker, obwohl er nachweislich niemals Trinker war.

      Nach vollen fünf Monaten gelang es dem Bruder Lubeckis, ihn aus der Irrenanstalt zu befreien. Der durch die fünfmonatige Gefangenschaft finanziell ruinierte Mann versuchte seine Rehabilitierung bei den Ministern des Innern und der Justiz. Er wandte sich schließlich, aber ebenfalls ohne Erfolg, an das Zivilkabinett des Königs. Die »Zeit am Montag« brachte schließlich am 25. November 1907 mit der Überschrift: »Moderne Irrenhausfolter« einen Leitartikel. In diesem wurde der Vorfall eingehend besprochen und die Notwendigkeit einer gründlichen Irrenhausreform betont. Es wurde in dem Artikel erwähnt, daß der maßgebende Oberarzt der Provinzial-Irrenanstalt Leubus, Dr. v. Kunowski, der Schwiegersohn des Direktors Geh. Medizinalrats Dr. Alter und der erste Assistenzarzt der Sohn des Direktors sei. Es wurde daher in dem Artikel von einer famosen »Ärzte-Dreifaltigkeit«, brutaler Vergewaltigung usw. gesprochen. Der Landeshauptmann der Provinz Schlesien stellte gegen den Verfasser des Artikels, damaligen Chefredakteur der »Zeit am Montag«, Karl Schneidt, Strafantrag wegen Beleidigung der genannten Irrenhausärzte.

      Schneidt hatte sich deshalb vom 8. bis 11. November 1908 vor der siebenten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Splettstoeßer. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Rasch. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Dr. Halpert.

      Als Sachverständige waren geladen: der Direktor der Irrenanstalt Herzberge, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Moeli, Geh. Medizinalrat Dr. Arthur Leppmann und Medizinalrat Dr. Hoffmann.

      Der Angeklagte Schneidt bemerkte nach Verlesung des zur Anklage stehenden Artikels: Er übernehme für den Artikel die volle Verantwortung. Er hatte nicht die Absicht, jemand zu beleidigen. Er wollte nur einen öffentlichen Mißstand rügen. Er habe im übrigen in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, denn das, was Lubecki passiert sei, könne jedem Menschen, auch ihm, widerfahren. Es wurde