Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
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Год выпуска 0
isbn 9783754957998



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seine Schwester die Wirtschaft führte, wohnte im ersten Stock dicht über der Apotheke. Er war gerade vom Nachmittagsschlaf erwacht, da vernahm er ein starkes Geräusch, das zweifellos aus seiner Apotheke kam. Nichts Böses ahnend, eilte er im Schlafrock und Pantoffeln hinunter. Da er zwei elegant gekleidete junge Leute erblickte, glaubte er im ersten Augenblick, die Apotheke sei nicht vollständig geschlossen gewesen, und die jungen Herren seien in harmloser Weise in die Apotheke eingetreten, um etwas zu kaufen. Er rief deshalb den Leuten einen freundlichen »Guten Abend« zu. Aber sehr bald merkte er, daß er es mit Einbrechern zu tun habe. Er rief deshalb »Hilfe!«. In diesem Augenblick krachte ein Schuß. Apotheker Rathge brach blutüberströmt zusammen. Obwohl sogleich eine Anzahl Leute herbeigeeilt kamen, gelang es den beiden Einbrechern, unerkannt zu entkommen. Nitter, von einer großen Menschenmenge verfolgt, hatte das Mißgeschick, über einen Rinnstein zu stürzen. Er konnte infolgedessen ergriffen und der Polizei übergeben werden. Dagegen war Knitelius im Menschengetümmel spurlos verschwunden. Der unglückliche Apotheker Rathge hatte einen Schuß in den Bauch erhalten. Er wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht. Dort ist er trotz aufopferndster Pflege nach einigen Tagen gestorben. Nitter wurde im Mai 1909 wegen eines vollendeten Einbruchdiebstahls in Breslau sowie wegen versuchten Einbruchdiebstahls in die Magdeburger Hirschapotheke von der Magdeburger Strafkammer zu 6 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt. Knitelius aber war und blieb trotz aller Bemühungen der Magdeburger und Berliner Kriminalpolizei verschwunden. Er wurde in einer Weise, wie es nur selten von der deutschen Polizei geschieht, durch alle Erdteile verfolgt. Endlich im November 1910 gelang es, Knitelius in Brasilien zu verhaften. Er wurde auf Ersuchen des Auswärtigen Amts ausgeliefert und nach Magdeburg gebracht. Am 6. März 1911 hatte er sich vor dem Magdeburger Schwurgericht wegen Mordes zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofs führte Geh. Justizrat Landgerichtsdirektor Goldschmidt, die Anklage vertrat Staatsanwalt Schütte. Die Verteidigung führte als Offizialverteidiger Rechtsanwalt Dr. Boré (Magdeburg).

      Der Angeklagte Knitelius war mittelgroß, schlank, brünett und auffallend blaß. Er hatte einen gut gepflegten dunkeln Schnurrbart und machte einen schneidigen Eindruck. Knitelius gab auf Befragen des Vorsitzenden an: Er sei am 16. November 1884 zu Offenbach a.M. geboren, katholischer Konfession und unbestraft. Er sei vollständig unschuldig. Er sei niemals in Magdeburg gewesen. Seine Eltern hatten in Offenbach einen offenen Verkaufsladen. 1894 starb sein Vater. Seine Mutter führte das Geschäft weiter. Er habe in Offenbach die Realschule besucht; er wollte das Einjährig-Freiwilligenzeugnis erreichen, sei aber kurz vorher von der Schule gegangen, weil er von einem Lehrer geschlagen wurde. Er habe alsdann die Kunstgewerbeschule besucht und sei mit 17 Jahren in ein Handlungshaus als Lehrling eingetreten. Einige Zeit darauf sei er nach Frankfurt a.M. gegangen und habe dort mit Juwelen und Goldwaren gehandelt.

      Vors.: Sie haben bereits zugegeben, daß Sie in Frankfurt sehr viel mit Damen der Halbwelt verkehrten?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Sie sollen in Frankfurt auch viel mit Verbrechern verkehrt haben und Mitglied einer internationalen Einbrecherbande gewesen sein?

      Angekl.: Das ist unwahr.

      Vors.: Es wird von Zeugen bekundet werden. Sie gingen 1906 nach Berlin und haben dort auch viel in Verbrecherkreisen verkehrt?

      Angekl.: Das ist auch unwahr.

      Vors.: Von was haben Sie in Berlin gelebt?

      Angekl.: Ich wurde von meiner Mutter unterstützt.

      Vors.: Sie haben Reisen durch ganz Deutschland unternommen?

      Angekl.: Ich begleitete eine Dame.

      Vors.: Wer war die Dame?

      Angekl.: Ich will den Namen nicht nennen.

      Vors.: Wer bestritt die Reisekosten?

      Angekl.: Die Dame.

      Vors.: Die Berliner Polizei hatte Sie längst beobachtet und hielt Sie für den gefährlichsten internationalen Einbrecher. Die Berliner Polizei ist der Ansicht, Sie haben die Reisen nur unternommen, um Einbrüche zu begehen?

      Angekl.:

      Das ist vollständig falsch.

      Vors.: Sie haben sich in Berlin Turban genannt?

      Angekl.: Das ist richtig, ich tat dies, weil ich viele Juwelen versetzte.

      Vors.: Sie haben sich in Weißensee bei Berlin als wohnhaft angemeldet, wohnten aber in Berlin?

      Angekl.: Ich tat dies, da ich auch in Weißensee Juwelen versetzen wollte, und die dortigen Pfandhäuser nur von Bewohnern Weißensees Wertsachen in Versatz nehmen.

      Vors.: Wann sind Sie von Berlin fortgegangen?

      Angekl.: Am 27. Oktober 1908.

      Vors.: Am 25. Oktober 1908 ist der Apothekenbesitzer Rathge in Magdeburg ermordet worden. Bleiben Sie dabei, daß Sie niemals in Magdeburg waren?

      Angekl.: Jawohl, ganz entschieden bleibe ich dabei.

      Vors.: Wie erklären Sie es sich, daß die Berliner Kriminalpolizei, als sie von dem Verbrechen in Magdeburg hörte, sofort der Überzeugung Ausdruck gab, das kann nur Knitelius gewesen sein, denn dieser arbeitet immer mit Nitter zusammen?

      Angekl.: Das ist ein Irrtum.

      Der Angeklagte erzählte alsdann weiter auf Befragen des Vorsitzenden: Eines Abends sei ihm ein Herr in Berlin nachgefahren und habe ihm mehrere Stunden Fensterpromenade gemacht. Das war ein Herr von P. Dieser hatte ihm 10000 Mark geboten, wenn er ihm ein Jahr lang Fräulein Bethge überlasse.

      Vors.: Es war wohl umgekehrt. Sie verlangten für die Bethge 10000 M.?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Sie wohnten damals mit der Bethge zusammen?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Sie haben Herrn von P. schließlich geschrieben, daß er sich des Bruches des Ehrenwortes schuldig gemacht habe, weil er Ihnen die 10000 Mark nicht gegeben hatte.

      Angekl.: Hauptsächlich, weil er Fräulein Bethge länger behielt, als er versprochen hatte.

      Vors.: Sie haben in Berlin stets Waffen bei sich geführt?

      Angekl.: Das ist richtig.

      Vors.: Weshalb hatten Sie die Waffen?

      Angekl.: Einmal fürchtete ich die Rache des Herrn von P., und andererseits fürchtete ich, Einbrecher könnten mir meine Juwelen stehlen.

      Vors.: Was hatten Sie für Waffen?

      Angekl.: Eine Browningpistole.

      Vors.: Eine Zeitlang hatten Sie auch einen Hammer?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Hatten Sie nicht auch Einbruchwerkzeuge?

      Angekl.: Nein.

      Vors.: Sie sind nun am 27. Oktober 1908 plötzlich aus Berlin spurlos verschwunden und erst nach länger denn zwei Jahren in Rio de Janeiro aufgetaucht. Selbst Ihre Mutter wußte Ihren Aufenthalt nicht. Wie erklären Sie das?

      Angekl.: Ich hatte mich in Weißensee bei Versatzgeschäften strafbar gemacht. Deshalb verließ ich eiligst Berlin.

      Vors.: Sie werden doch zugeben, daß es ungemein auffallend ist, daß Sie gerade zu der Zeit aus Berlin und aus Deutschland verschwanden, nachdem hier der Apothekenbesitzer Rathge ermordet war?

      Angeklagter schwieg.

      Auf ferneres Befragen äußerte der Angeklagte: Er habe, als er aus Berlin flüchtete, zunächst verschiedene Hauptstädte Europas besucht. Von Lissabon sei er nach Monte Carlo gereist, um die Dame, mit der er gereist war und die sich dort