Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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isbn 9783811488625



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der europäischen Völker zu schaffen, zuletzt bestätigt im Vertrag von Lissabon, in dem dieses Ziel nicht mehr nur Inhalt der Präambel ist, sondern prominent in Art. 1 EUV genannt wird. Dieser immer engere Zusammenschluss lässt sich anhand des Europäischen Verwaltungsrechts nachvollziehen. Standen am Anfang einzelne Sektoren wie das Zoll- und Agrarverwaltungsrecht und zudem das Wettbewerbsrecht im Vordergrund,[2] kamen mit fortschreitender Integration eine Vielzahl weiterer Rechtsbereiche hinzu. Die jüngere Entwicklung hat zu komplexen vertikalen und horizontalen Kooperationsverhältnissen zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Union geführt. Die Entwicklung dieser zunehmenden Vertiefung der dem Verwaltungsrecht zuzuordnenden Beziehungen innerhalb der Europäischen Union ist Gegenstand dieses Beitrags.

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      Schichten des europäischen Verwaltungsrechts

      Das europäische Verwaltungsrecht besteht aus verschiedenen Schichten.[3] Hierzu gehören das Recht der Europäischen Eigenverwaltung, das zu untergliedern ist in das Recht der inneren Organisation und das Recht, das gegenüber Dritten vollzogen wird; des Weiteren das Unionsrecht, das von mitgliedstaatlichen Behörden im Vollzug von Verordnungen oder von Richtlinien in ihrer nationalrechtlichen Gestalt angewendet wird. Auf Sekundärrecht beruht auch das Zusammenwirken der mitgliedstaatlichen Behörden untereinander oder mit Einrichtungen der Europäischen Union, wobei regelmäßig horizontale und vertikale Kooperationsbeziehungen zusammentreffen. Schließlich findet nationales Recht zur Verwirklichung unionsrechtlicher Vorgaben unter Beachtung unionsrechtlicher Vollzugsprinzipien Anwendung.

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      Kriterien der Entwicklungsanalyse

      Die Analyse der Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts folgt in zeitlicher Hinsicht den großen Vertragsänderungen. In Bezug auf jede Phase lässt sich dann nach Entwicklungslinien fragen, und zwar in Bezug auf die im Vordergrund stehenden Sachbereiche, die Prinzipien des Verwaltungsrechts sowie Organisation und Verfahren des Vollzugs.[4] Ein Schwerpunkt wird dabei auf der Entwicklung des sich stetig vertiefenden Verwaltungsverbunds liegen.

B. Die Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts von „Paris“ bis „Lissabon“

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      Gründung und Organe der EGKS

      Im Jahr 1951 gründeten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande in Paris die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl[5] mit vier Organen, in denen sich die verschiedenen Interessen und Funktionen repräsentiert fanden: die Hohe Behörde als Verkörperung des Gemeinschaftsinteresses, der Rat als Vertreter der mitgliedstaatlichen Interessen, die Versammlung zur Verstärkung der demokratischen Legitimation und der Gerichtshof zur Sicherung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Hohen Behörde. In Bezug auf diese tauchte in Art. 9 EGKSV der französischen und italienischen Sprachfassung erstmals der Begriff „supranational“ auf. Supranationalität wird im Weiteren zum zentralen Charakteristikum der europäischen Integration.[6]

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      Aufgaben der Hohen Behörde

      Der EGKSV wird als traité de règles charakterisiert, im Gegensatz zum 1957 nachfolgenden EWGV, der als traité-loi bezeichnet wird.[7] Gemeint ist damit, dass die Aufgaben der Hohen Behörde sehr genau umrissen waren. Sie bestanden in der Schaffung und Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Marktes im Sektor Kohle und Stahl durch Abschaffung von Binnenzöllen bei gemeinsamen Außenzöllen, Sicherung der Marktbedingungen, Fördermaßnahmen, notfalls dem Einsatz von Marktregulierungsmaßnahmen, Bekämpfung von Kartellen, Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Kohle- und Stahlsektor sowie der Überwachung der Preis- und Lohnentwicklung.

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      Entwicklung von Prinzipien für das Verwaltungshandeln

      Bereits im EGKSV findet sich in Art. 86 die für das Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten grundlegende Loyalitätspflicht. Darüber hinaus entwickelte der Gerichtshof Anforderungen an rechtmäßiges Verwaltungshandeln, die er, soweit der Vertrag keine Anhaltspunkte enthielt, aus dem nationalen Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten ableitete.[8] Zu nennen sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung[9] und der Rechtssicherheit,[10] Vertrauensschutzanforderungen im Falle von Rücknahme und Widerruf,[11] das Recht auf Anhörung[12] sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz[13]. Ansatzweise finden sich auch die Auslegung des Gemeinschaftsrechts nach dem effet utile, die direkte Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts und die implied powers-Doktrin.[14]

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      Die Meroni-Entscheidung

      Mit seiner im Rahmen der EGKS getroffenen Meroni-Entscheidung[15] prägte der Gerichtshof die im Weiteren auch für die Gründung von Agenturen maßgeblichen Voraussetzungen für die Übertragung von Aufgaben auf nachgeordnete Stellen. Danach kann die übertragende Behörde nicht mehr Befugnisse weitergeben als ihr zustehen, müssen die übertragenen Befugnisse klar umgrenzt sein, auf einer ausdrücklichen Entscheidung beruhen und muss die Einrichtung der Aufsicht der delegierenden Behörde unterliegen.[16] Zudem kommt eine Übertragung von Befugnissen mit politischem Ermessen nicht in Betracht. Im konkreten Fall ging es um die Übertragung eines sehr weitgehenden wirtschaftspolitischen Ermessensspielraums auf einen privatrechtlichen Verband.[17]

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      Gründung der EWG

      Mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft[18] wurden der gemeinsame Markt im Kohle- und Stahlsektor auf den gesamten Waren- und Dienstleistungsverkehr ausgeweitet sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit vereinbart. Erklärtes Ziel war die in Etappen (Art. 8 EWGV) erfolgende Errichtung eines umfassenden Gemeinsamen Marktes. Demgegenüber hat die Europäische Atomgemeinschaft nur einen eng umrissenen Auftrag und ist wie die Montanunion im Wesentlichen Verwaltungsgemeinschaft.[19]

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      Sachbereiche und Vollzugsformen

      Die wichtigsten Sachbereiche in den ersten Jahrzehnten der EWG waren das Zollwesen und das Außenwirtschaftsrecht, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sowie die Wettbewerbs- und Beihilfenaufsicht.[20] Für den Vollzug des gemeinsamen Zolltarifs und der Antidumping-Verordnungen[21] im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts waren die nationalen Behörden zuständig. Demgegenüber war der Vollzug des Wettbewerbsrechts, soweit der gemeinsame Markt betroffen war, Gegenstand der Eigenverwaltung der Gemeinschaft. Die erste Kartellverordnung erging 1962.[22] Bereits sie enthielt das Recht der Kommission, Auskunft von mitgliedstaatlichen Behörden und Unternehmen zu verlangen, eigene Nachprüfungsbefugnisse bei den Unternehmen sowie das Recht, mitgliedstaatliche Behörden bei deren Untersuchungen zu unterstützen. Wie heute erfolgte auch die Beihilfenaufsicht notwendig in Form der Eigenverwaltung, während die Rückforderung unzulässiger Beihilfen durch die Mitgliedstaaten nach ihrem Recht stattfand und -findet. Im Agrarverwaltungsrecht entstanden erste Formen komplexeren Zusammenwirkens.[23]

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      Begründung der Supranationalität

      Für den Gerichtshof war von Anfang an die Sicherung der Einheit und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts das wichtigste Anliegen. In der Entscheidung van Gend & Loos[24] begründete er die direkte Wirkung