Lintu. Christine Kraus

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Название Lintu
Автор произведения Christine Kraus
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783957448323



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sah mich besorgt an. „Ich lass dich nicht gern allein hier, das ist dir klar, oder?“

      „Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass diese Kameradschaft noch mal in den Laden kommt, solange Frau Schmidt nicht da ist. Es hörte sich viel mehr an, als bräuchten sie sie, um zu finden, was sie suchen. Außerdem ...“, ich zeigte auf mein Handy, „und ...“, ich hob kurz vom Boden ab, „bin ich bestens ausgerüstet.“

      Er seufzte. „Du hast deinen Dickschädel nicht erwähnt ...“ Dann legte er mir die Arme um die Schultern und lächelte. „Danke noch mal, dass du mich in dein Geheimnis eingeweiht hast.“

      „Gezwungenermaßen“, knurrte ich.

      „Egal wie, ich finde es großartig. Und der Probeflug – absolut wiederholenswert!“

      „Ich gewöhne mich schon dran, dass jetzt jemand Bescheid weiß“, erwiderte ich, „es fühlt sich gar nicht so schlecht an.“

      „Jemand?“, fragte er mit leicht beleidigtem Unterton. „Ich bin dein bester Freund!“

      „Zum Glück“, grinste ich, „dann bis morgen.“

      „Bis morgen? Sehen wir uns denn?“

      „Ich komme natürlich mit, wenn du Frau Schmidt befragst“, sagte ich, „ich befürchte, ich bin mehr in die Sache verwickelt, als mir lieb ist.“

      „Was sind denn das jetzt für Andeutungen?“

      „Das erkläre ich dir morgen, Schatzi. Deine zwei Süßen warten auf dich, schwirr ab jetzt.“

      „Das Schwirren ist ja wohl eher dein Fachgebiet“, maulte er, während er zum Laden hinausschob.

      Ich schloss hinter ihm ab und prüfte zur Sicherheit auch noch die Hintertür, die mit einem Vorhängeschloss provisorisch abgesperrt war. Der Türrahmen war ziemlich demoliert, das waren ganz sicher keine Einbruchprofis gewesen. Überall sah man die Spuren einer Brechstange oder etwas ähnlichem. Schon wieder stieg Wut in mir auf. Besser, ich machte mich gleich an die Arbeit.

      Obwohl ich mich am liebsten auf die Bücher im Lager gestürzt hätte, fing ich draußen im Laden an. Wenn Frau Schmidt aus dem Krankenhaus kam, sollte sie sofort wieder aufmachen können. Besser, der Laden blieb nicht zu lange geschlossen. Ihr Ordnungssystem war mir vertraut, dazu hatte ich genug Zeit in ihrem Laden verbracht und oft genug geholfen. Ich kam schnell voran mit dem Einräumen. Leider war fast ein Drittel der Bücher beschädigt. Ich stapelte sie aufeinander, um sie nachher ins Lager zu tragen, wenn man sich dort wieder bewegen konnte. Wer bezahlte eigentlich den materiellen Schaden, den diese Verbrecher angerichtet hatten? Ob Frau Schmidt gegen so etwas versichert war? Meine Wut bekam neuen Stoff.

      Im Lager wurde es schwieriger mit dem Aufräumen. Nicht nur, dass alles noch schlimmer durcheinandergeworfen war, ich kannte die Bücher nicht und hatte keine Ahnung, was wie zu ordnen sein könnte. Aber ich hatte ja Zeit, musste sowieso warten, bis es dunkel war, um den Ausflug zu meinem Elternhaus zu starten.

      Bevor ich loslegte, wollte ich etwas essen. Frau Schmidts Buchladen lag in einer Straße, in der es viele kleine Läden, Cafés und Kneipen gab. Eine eigentümliche Mischung aus alt und modern und die unterschiedlichsten Nationalitäten waren hier vertreten, sowohl bei den Läden als auch beim Publikum. Ich kam gern in diese Straße. Wenn man um die Ecke bog, hatte man das Gefühl, in eine andere Welt einzutreten. Wo andere Gesetze galten als im Rest der Stadt. Alle, die hier ihre Läden hatten oder einkaufen kamen, waren wirklich auf irgendeine Weise anders, selbst wenn sie nicht danach aussahen. „Leben und leben lassen“ schien als unsichtbares Banner quer über der Straße zu hängen. Keiner guckte den anderen schräg an, obwohl das schrägste Volk unterwegs war. Und dazwischen Leute, die man sonst nur in den besseren Einkaufsstraßen sah. Man fiel hier einfach nicht auf, egal wie man daherkam. Dabei herrschte eine Gemütlichkeit, die einen sofort in Ferienstimmung versetzte, selbst wenn man – wie ich – noch nie im Ausland gewesen war. Der Überfall hatte dieses Flair allerdings empfindlich gestört.

      Neben Frau Schmidts Laden gab es ein kleines Café, in dem man außer Kuchen auch Bratkartoffeln bekommen konnte. Da ging ich hin. Ich wollte den Nachbarn von dem Überfall berichten und gleichzeitig meinen knurrenden Magen beruhigen. Die Wirtin des Cafés und ihr Mann stürzten sofort herbei. Sie hatten nur den Krankenwagen gehört und wollten alles wissen. Ich erzählte so genau wie möglich, denn ich wusste, dass sie die ganze Straße informieren würden, und dass damit alle ab jetzt ein Auge auf verdächtige Gestalten hätten. Das war der beste Schutz für Frau Schmidt, besser als jeder Personenschutz der Polizei – von dem sowieso fraglich war, ob er weiterging, wenn sie aus dem Krankenhaus kam.

      Wieder im Laden begann ich damit, alle Bücher nach Themenkreisen zu ordnen. Musste mich immer wieder zusammenreißen, nicht beim Lesen hängenzubleiben. Es gab so viele interessante Titel. Ich nahm mir vor, Frau Schmidt danach zu fragen, wenn sie zurück war. Die Stapel waren schon ziemlich groß, als mir ein schmales Büchlein auffiel, das ich an seinem Einband wiederzuerkennen glaubte. Es war in einer anderen Sprache geschrieben, einer slawischen vermutlich, und war mit Ornamenten verziert. Ich kam nicht darauf, wo ich es schon einmal gesehen hatte, und warum es mir so wichtig schien. Legte es beiseite, in der Hoffnung, dass es mir noch einfallen würde. Gegen Mitternacht war ich so weit fertig mit dem Sortieren, dass die Bücher nur noch in die Schränke eingeräumt werden mussten. Damit wollte ich warten, bis Frau Schmidt wieder da war. Ich zog meinen Fluganzug an – an so heißen Sommertagen trug ich ihn ausnahmsweise nicht unter meiner Straßenkleidung – packte Skateboard und Klamotten in den Rucksack, stellte das Handy leise und steckte das Büchlein ein. Es hatte etwas mit meiner Suche zu tun, so weit war ich mir unterdessen sicher. Frau Schmidt würde mir gewiss verzeihen.

      Heute war ich noch vorsichtiger als sonst auf meinem Weg. Flog von Dach zu Dach, spähte immer wieder nach unten, ob sich irgendetwas bewegte. Doch alles war ruhig. Eine ganz normale Nacht, wenn nicht die Bedrohung dagewesen wäre. Als ich am Haus meiner Eltern ankam, sondierte ich die Umgebung ein letztes Mal, bevor ich das Dachfenster öffnete. Niemand zu sehen. Fast geräuschlos schlüpfte ich hinein und blieb erst einmal ganz oben auf der Leiter sitzen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Obwohl ich im Schwebezustand nachts ziemlich gut sehen konnte, brauchte ich eine Taschenlampe. Das Fenster war zu klein, um genug Licht hereinzulassen. Ich hatte eine winzige Funzel eingesteckt, aus Angst, entdeckt zu werden. Die klemmte ich mir zwischen die Zähne, denn ich brauchte beide Hände. Der Dachboden war komplett eingestaubt und roch, wie er immer gerochen hatte. Es sah aus, als hätte er sich nicht verändert in den letzten Jahren. Doch, im vorderen Bereich um die Bodenluke herum waren ein paar Gegenstände dazugekommen, Klappe auf und hineingeschoben. Um die brauchte ich mich nicht zu kümmern. Sie hatten definitiv nichts mit dem Bücherkarton zu tun.

      Ich schwebte in Richtung Boden, berührte ihn aber nicht, um so wenig wie möglich Spuren zu hinterlassen. Als ich die Schränke öffnete, sah ich mich alten Bekannten gegenüber. Sie weckten Erinnerungen an die Zeit, die ich hier verbracht hatte. Es kam mir vor, als wären die Sachen seit damals nicht mehr berührt worden. Für meine Suche teilte ich den Dachboden in vier Felder ein und durchkämmte eines nach dem anderen gründlich. Und fand nichts. Das konnte nicht sein.

      Ich war mir sicher, dass meine Eltern diesen Karton nicht weggeworfen oder jemand anderem gegeben hatten. Meine Eltern warfen so gut wie nichts weg. Und sie kannten überhaupt niemanden, dem sie vertraut hätten. Wo also hatten sie ihn untergebracht? Der Keller war als Versteck ungeeignet, der Garten ebenso. In der Wohnung würden sie ihn nicht haben wollen. Ich ließ meinen Blick über den Dachboden schweifen und suchte nach Verstecken, auf die ich bis jetzt noch nicht gekommen war. Genau das war es! Das hätte mir auch früher einfallen können – sie hatten den Karton vor mir versteckt, vor niemand anderem! Dann konnte das Versteck nicht in der Höhe liegen. Also der Fußboden. Ich funzelte ihn Brett für Brett ab und wurde schließlich fündig. In einer Ecke waren die Bretter zwischen zwei ankommenden Dachsparren nachträglich mit Schrauben befestigt. Trotz der Staubschicht deutlich zu erkennen. Das musste das Versteck sein.

      Schrauben, na klasse! Wo sollte ich jetzt einen Schraubenzieher herbekommen? Im Keller gab es ein bisschen Werkzeug, aber auch noch da runter jetzt? Es war schlimm genug, mich hier oben herumzutreiben,