Echsenherz. David Dour

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Название Echsenherz
Автор произведения David Dour
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Год выпуска 0
isbn 9783960082002



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grundlegend verschieden und sah die Brüder in Besonnenheit an.

      „Dieses Leid, das wir jetzt erleben, ist sicherlich das größte, das wir erfahren haben. Doch den Prüfungen der Gottheiten standzuhalten, birgt als Voraussetzung, dass wir diesem Leiden noch lange trotzen können müssen, bevor wir und Hyrus – und dann auch lediglich vielleicht – die gesuchte Erlösung empfangen. Manchmal, das habe ich gehört, sollen deren Prüfungen nicht zu schaffen gewesen sein.“

      Doch ohne noch viele Worte zu verlieren, griffen zuerst die Brüder einander nach ihren Händen, bevor sie dann Auroria einluden, es ihnen gleichzutun, jeder mit einer seiner Hände eine der zarten Gliedmaßen der Meerfrau griff. Gemeinsam knieten sie sich zum Gebet und Pyron erhob zuerst das Wort, danach Azan mit seinen Denkerfalten, zum Schluss gefolgt von Auroria.

      „Heiliger Rat der Götter und Göttinnen! Wir zitieren euch, die ‚Großen Sieben‘, bei dem Namen des Oras und der Macht des Ores, der Kraft des Hamor, dem Wissen und der Weisheit Horkats, der Pracht und Vielfältigkeit des Paares Surayo und Quoron, der allheiligen Kunst Penots.“ Niemand hatte den Namen der Gottheit der Schönheit ausgesprochen – Oraia zählte eben nicht zum Rat der „Großen Sieben“ dazu.

      Die kühle Nachtluft wehte in leichten Brisen vom Meer zu ihnen rüber, sanft rauschte es in den Ohren der drei – eigentlich war es ein sehr harmonischer Moment, wäre nicht Hyrus eine kalte Statue gewesen. Eine Zeit lang geschah nichts, doch dann deutete der belesene Azan hastig und hektisch in den schwarzen Nachthimmel, formulierte ein: „Da! Dort kommt etwas!“

      In der weiten Ferne zeichnete sich eine kleine, fliegende Lichtkugel ab, und obwohl diese weit entfernt und so winzig, war eindeutig ein Vogel darin zu erkennen. Innerlich zeitgleich mit Hoffnung und Schmerz erfüllt, hielten Pyron, Azan und Auroria mit dem Atmen inne. Es stellte sich ihnen die Frage, ob dieses Zeichen das der erwarteten Hilfe war? Noch etwas Zeit des Bangens verging, und wenngleich die Kugel eigentlich nicht größer wurde, kam sie dennoch näher. Einem warnenden, hellen Pfiff gleich, landete schließlich ein brauner, gefleckter Spatz im steinigen Sand vor den Füßen der drei.

      „Bist du die erwartete Hilfe vom Rat der Gottheiten?“, frug Auroria diesen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um ein Tier handelte. Azan, Pyron und die Frau aus dem Meer hatten sich mittlerweile von den Gebeten wieder aufgerichtet.

      Der kleine Spatz tippelte wie nervös auf der Stelle hin und her, dann erwiderte er: „So ist es. Mein Name ist Pipus, ich bin der erwählte Bote der Gottheiten – der Götter und Göttinnen. Meine Aufgabe ist es, euch hiermit den Beschluss des Rates der Gottheiten, allen voran Göttervater Oras’, zu überbringen. So höret.“ Pipus zögerte einen Moment, gab den nach Hilfe Forschenden einen Augenblick lang die Möglichkeit, sich zu fassen, unterweil er sie eingehend musterte. So weit, so gut, dachte der Bote.

      Auroria und mehr noch die zwei Brüder beschlich ein Gefühl unmerklichen Wiedererkennens.

      „Der Rat der Gottheiten hat euch hiermit Folgendes mitzuteilen: Solltet ihr bereit sein, den Erwartungen und den Anforderungen der euch wohlgesonnenen Gottheiten gerecht zu werden – trotz aller Last und jedweder Hürden, welchen ihr auf euren sicherlich langwierigen und gefahrenvollen Wegen begegnen werdet –, sei euch somit eines gewiss: Als Geringstes werdet ihr die Genesung eures Bruders Hyrus erfahren, seine abermalige Fleischwerdung und Aurorias und Hyrus’ gemeinsame Hochzeit. Solltet ihr euch in den vom Rat der ‚Großen Sieben‘ aufgetanen Prüfungen bewähren und bewahrheiten – dieses setzt voraus, dass ihr bereit seid, bedingungslos euch kommend Auferlegtes anzunehmen –, so wird euch einst ein Platz im Elysium gewiss sein. Du, Auroria, jedoch hast als einzige Aufgabe, das Heim der Brüder zu bewachen. Wie lauten somit eure Entscheidungen?“

      Weswegen teilte ihnen dieser Gottheitenbote Pipus, der Spatz, nicht gleich mit, worauf sie sich einließen? Waren die zu erwartenden Schwierigkeiten derart voller Gefahr?

      „Ich erwarte eine Antwort“, war der nächste Satz des Vogels mit dem dunkel gefleckten Gefieder.

      Auroria, Pyron und Azan schauten sich kurz in die Augen; trotz der Dunkelheit erkannten sie einander in ihren Blicken Zweifel und auch, dass diese gemehrt wurden, und dennoch dauerte es nur einen kleinen Moment, bis zuerst Pyron, dann einstimmig Auroria und Azan dem Gottheitenboten Zustimmung durch ein einstimmiges „Ja!“ entgegenbrachten.

      „Nun denn!“, sprach Pipus, dann wandte er sich rasch und flog einfach von dannen.

      Trotz des Mantels von Pyron fröstelte Auroria nun stark und auch den Brüdern war nicht mehr warm. Doch es war bereits zu spät, ihre Entscheidungen zu ändern, und unvermutet färbte sich der Nachthimmel vollends schwarz, es war, als ob von überall her gleichzeitig Wind und Wolken aufzögen und durch ihr Wirken die Umgebungstemperatur merklich senkten. Diese Veränderung für ein Zeichen der Kraft der „Großen Sieben“ haltend, quittierte Pyron den Wandel mit einem Nicken, wahrscheinlich bedeutete dieses Zeichen das Eingreifen und Handeln des Rates. Wie bereits oftmals in der Geschichte dieser Welt sollte es sich auch dieses Mal bewahrheiten, dass niemand die Hilfe des Rates leichtfertig erbete. Ja, so, wie sich die Wolken am Himmel verdichteten, war es unnatürlich und viel zu schnell, und urplötzlich formten sich währenddessen zeitgleich daraus zwei schwarze Finger, griffen nach Azan und Pyron; Auroria aber blieb von ihnen unbedacht. Wie undurchschaubarer, schwarzer Nebel, so dicht umhüllten jetzt die Finger die Brüder Pyron und Azan und die Temperatur schien auf einmal derart tief zu sinken wie im Winter, es war so kalt, dass Aurorias Atem sich zu verdichten begann. Mit dem Rauschen des Windes schwangen die Worte einer schneidenden, klirrenden Stimme, doch weder die Frau aus dem Meer noch die Brüder vermochten sie zu verstehen. Tatsächlich, Pipus, der Spatz, war verschwunden und nicht mehr wiedergekehrt. Auroria fürchtete sich und just, wie die unverständliche Stimme und das Gemurmel verklungen waren, hörte sie die befremdlichen Schreie der beiden Brüder, jedoch waren Pyron und Azan, umhüllt von dichtem Nebel, aus ihrem Blickfeld verschwunden. Ohne im Geringsten etwas dagegen tun zu können, verlor Auroria mit einem letzten Blick zur Statue ihres geliebten Hyrus das Bewusstsein.

      Es soll spät am Morgen geworden sein, wie Auroria wieder zu sich kam, und noch immer befand sie sich am Strand mit den Brüdern. Nichts hatte sich in ihrer Umgebung geändert, es war wie in den letzten Augenblicken des Sonnenunterganges am Abend zuvor. Jedoch umso mehr die Ohnmacht der Klarheit wich, desto mehr gerieten die durch den Rat der Götter bewerkstelligten Veränderungen in Aurorias Blickfeld – und ein gepresster Aufschrei entkam ihrem Mund: Azan mit dem kurzen, braunen Haar durchwühlte mit gähnend leeren Augenhöhlen den Sand des Strandes, während Pyron mit dem vormals kurzen, schwarzen Haar kein Mensch mehr war. Der Mann war nun durch und durch von braunen Schuppen bedeckt und sein Kopf war, ähnlich wie es den Krokodilen gegeben, länglich gezogen, und aus seinem früheren Mund zuckte fortwährend eine gespaltene Zunge blitzschnell vor und zurück. Sein Körper war fast nackt, er war nun weitaus muskulöser und sehr sehnig: Der älteste Bruder hatte sich unglaublicherweise in einen Drachenartigen verwandelt!

      Auroria hatte sich von dem Entsetzen noch nicht gefasst, da vernahm sie Azans heisere Worte: „Wo sind meine Augen? Wo, bei den Gottheiten, sind meine Augen??“

      Es machte Pyron dem Anschein nach viel Mühe, mit dem Maul seiner neuen Gestalt ordentlich zu sprechen, er zischte lediglich, und während Auroria ihn insgeheim bedauerte, da sie vermutete, dass dieses Zischlaute bedeuteten, dass der Drachenartige etwas zu sagen versuche, schauderte sie dennoch zugleich fürchterlich: Inständig hoffte die Meerfrau, dass der verwandelte Pyron keine Gefahr für sie war.

      Fortwährend wiederholte sich der Geblendete in seiner Verzweiflung, tastete mal links, mal rechts von sich im Sand auf der Suche nach seinen Augen. Beständig lichtete sich das Feld, auch Pyron erlangte seine Fassung wieder und die schneidenden Worte seiner neuen Stimme unterbrachen jetzt das seichte Rauschen des Meeres und der morgendlichen Meeresbrise. Ungeachtet all der offensichtlichen Kraft seines neuen Körpers, schwangen Erschöpfung und Ermattung mit in seinem Gesagten: „Euch zweien droht keine Gefahr von mir, schaudert nicht, werte Auroria, bitte.“ Und trotz der ihm nun eigenen, furchteinflößenden Gestalt, vertraute Auroria Pyron.

      In seiner nicht enden wollenden Suche im Sand interessierte sich Azan nur für sich, bis sich sein Bruder an ihn wandte. Und während die