Название | Vom Stromkartell zur Energiewende |
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Автор произведения | Peter Becker |
Жанр | |
Серия | ZNER-Schriftenreihe |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783800593729 |
Weiteres Merkmal einer im Staatsgefüge wenig geschätzten Einrichtung wurde die mangelhafte Anfangsausstattung. Statt der vorgesehenen vier Beschlussabteilungen wurde nur eine gebildet, es wurden nur 49 anstelle von 170 Beamten Anfang 1958 eingestellt, ein „Kartellamtsstart mit Schwierigkeiten“.31 Im Jahr 1958 folgten zunächst drei Beschlussabteilungen und eine Einspruchsabteilung, in den Jahren 1959 und 1960 eine vierte und fünfte Beschlussabteilung. Bis zum Jahr 1980 kam es zur Einrichtung von insgesamt neun Beschlussabteilungen, ferner der Referate Harmonisierung der Kartellrechtspraxis, Allgemeine Fragen/Öffentlichkeitsarbeit, Europäisches Kartellrecht, Deutsche und Europäische Fusionskontrolle, Internationale Wettbewerbsfragen, Kartelle, Marktbeherrschung, Europäisches und Internationales Kartellrecht/Grundsatzfragen sowie eine Abteilung für Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten. Bemerkenswert: Die Mitarbeiter der Abteilung „Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten“ dürfen zwar vor den Gerichten bis zum BGH selbständig auftreten. Für eine Vertretung durch Rechtsanwälte fehlt aber das Geld. Die Bundesnetzagentur kann sich hingegen durch Rechtsanwälte vertreten lassen. Die Personalausstattung des Amtes blieb aber insgesamt unzureichend. Im Jahr 1998 gab es 252 Beschäftigte. Ortwein kommt zu folgendem Ergebnis: „Für die Verwaltungspraxis hat die geringe Personalausstattung aber einen nicht zu unterschätzenden negativen Effekt.“32
Für die Energiewirtschaft war bis zum Jahre 2008 nur die 8. Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Bediensteten zuständig. Bei ihr lagen die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht. Im Jahre 2008 wurde eine 10. Beschlussabteilung für die Missbrauchsaufsicht eingerichtet; angesichts der durch die Liberalisierung eingetretenen Vervielfachung der Aufgaben viel zu spät. Insgesamt sind damit für die Aufsicht über vier marktbeherrschende Konzerne, die großen Stadtwerke und eine Vielzahl von Handelsunternehmen nur ca. zehn Kartellamtsbedienstete zuständig. Diesen steht eine Phalanx von mindestens 300 im Energierecht tätigen Rechtsanwälten und Mitarbeitern von Rechtsabteilungen der Konzerne und Stadtwerke gegenüber. Dazu kommen zahlreiche Volks- und Betriebswirte in den Konzernen, deren Aufgabe es ist, Unternehmensakquisitionen strategisch zu planen und sie umzusetzen. Sie verfügen zudem über das Geld, wissenschaftlichen Sachverstand einzukaufen, sei es für Gutachten, sei es für die Ausrichtung von Konferenzen u.Ä. Das Missverhältnis ist erschreckend. Waffengleichheit existiert nicht. Die Instrumente des Gesetzes und die Ausstattung der Behörden sind geradezu lächerlich im Verhältnis zu den Truppen auf der anderen Seite. Die Kartellaufsicht ist in diesem Zuschnitt „weiße Salbe“.
4. Der „Ausnahmebereich“ Versorgungswirtschaft
Die Energiewirtschaft ging in den Kampf um das Kartellgesetz von vornherein mit einem sehr radikalen Ansatz: Während sich Deutschland – auch unter dem Druck der Alliierten – für eine Marktwirtschaft entschieden hatte, konkret gesprochen also dafür, alle Märkte über den Wettbewerb zu steuern und nicht durch staatliche oder private Interventionen, sollte in der Energiewirtschaft alles anders sein: Vorherrschendes Prinzip waren Wettbewerbsbeschränkungen aller Art. Die Argumente der Versorger, allen voran der Stromwirtschaft, gingen dahin, dass eine Wettbewerbsordnung von vornherein ausgeschlossen sei. Die Märkte für Strom und – wenn auch in geringerem Maß – für Gas wiesen bestimmte Besonderheiten auf. Diese schlössen es von vornherein aus, dass sich Wettbewerbsprozesse entfalten könnten. Denn die Versorgungswirtschaft sei leitungsgebunden. Strom und Wasser könnten nur über feste Leitungen transportiert werden. Das galt auch für Gas, wenn auch mit Einschränkungen. Insbesondere die Kraftwerke, aber auch die Leitungsnetze erforderten einen außerordentlich hohen Kapitalaufwand. Einer Mitbenutzung der Leitungen durch Dritte stehe das Eigentumsrecht der Netzinhaber entgegen. Eine Doppelverlegung von Leitungen scheide wegen des hohen Kapitalaufwandes aus. Diese Argumente wurden vom Bundeswirtschaftsministerium im Gesetzgebungsverfahren abgenickt.
Im Ergebnis wurden die Verbote der §§ 1 und 15 GWB sowie die Missbrauchsaufsicht nach § 18 GWB durch die Spezialregelungen der §§ 103 und 104 GWB verdrängt. § 103 garantierte ein System geschlossener Versorgungsgebiete, die sogenannten Demarkationen oder Gebietsmonopole. Kommunen hatten das Recht als Wegeeigentümer, in ihrem Gebiet nur einem einzigen Versorger ein ausschließliches Recht zur Benutzung der Wege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zu verleihen. Dieses Recht war zunächst unbefristet. Das waren die sogenannten horizontalen Demarkationen. Nicht im Gesetz vorgesehen, aber von der Versorgungswirtschaft reklamiert wurden – durchaus konsequent – die sogenannten vertikalen Demarkationen: Danach durfte in ein bestimmtes Gebiet auch nur ein einziger Vorlieferant Strom oder Gas hineinleiten – mit dem Ergebnis, dass langfristige Lieferverträge – i.d.R. 20 Jahren mit einer sogenannten Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung galten.
Mit diesen Ordnungsprinzipien schrieb der Gesetzgeber des GWB im Grunde das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 fort. Danach war eine billige und sichere Energieversorgung nur gewährleistet, wenn die Versorgungsunternehmen sich auf feste Versorgungsgebiete mit langfristig gesichertem Absatz einstellen könnten. Und: „Dafür war Wettbewerb schädlich“, so die Präambel zum EnWG.
Auch in der Rechtsordnung der Bundesrepublik hatte sich also das Denken durchgesetzt, mit dem – insbesondere – die Stromwirtschaft von vornherein angetreten war: Wettbewerb ist von Übel, das Kartell ist das Eigengesetz der Versorgungswirtschaft: Ein Paradies! Freilich hatte der Gesetzgeber des GWB mit dem § 104 eine spezielle Missbrauchsaufsicht eingeführt. Diese sollte sich allerdings im Wesentlichen auf eine Preiskontrolle beschränken. Geprüft wurde, ob die freigestellten Verträge zu einer Verbilligung oder entgegen dem Zweck der Freistellung zu einer Verteuerung der Versorgung führten. Als Maßstab kamen aber immer nur die Preise anderer Versorgungsunternehmen in Betracht – und damit Monopolpreise. Denn Wettbewerb gab es ja nicht. Daher verständigten sich die Kartellreferenten in den Jahren 1965 und 1967 auf zwei Entschließungen, die sog. Vertikal- und die sog. Horizontalentschließung. Danach war ein Missbrauch der Freistellung vor allem anzunehmen, wenn ein Nachbar- oder Lieferunternehmen ohne Gebietsschutzverträge ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, zu seinen günstigeren Preisen das Gebiet des betroffenen Unternehmens zu versorgen, und hieran nur durch die freigestellten Verträge gehindert wurde.33 In der Praxis führte das allerdings nur zu einer Angleichung der Preise auf dem Höchstniveau, auch wenn die Kartellbehörden bis 1974 über 400 Verfahren gegen Versorgungsunternehmen wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Preise durchführten. Diese Preiskontrolle kam aber plötzlich zum Erliegen – und das ausgerechnet durch eine Gerichtsentscheidung: Den bekannten Stromtarifbeschluss des BGH von 1972, in dem das Gericht verlangte, dass die Kartellbehörde bei ihrem Preisvergleich zugunsten des betroffenen Versorgungsunternehmens nicht die unternehmensindividuellen Kosten berücksichtigen durfte, sondern nur die sogenannten strukturbedingten – also beispielsweise überhöhte Kosten infolge schwieriger Bodenverhältnisse (Fels o.Ä.).34 Das zwang die Kartellbehörden, Kriterien für einen exakten Strukturvergleich zu entwickeln, auch wenn die Beweislast