Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker

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Название Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор произведения Peter Becker
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Серия ZNER-Schriftenreihe
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783800593729



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in einem „justizähnlichen Verfahren“ trifft.27 Ortwein meint: „Das Problem der Weisungsgebundenheit ist weitgehend theoretischer Natur, viel wichtiger sind die informellen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundeswirtschaftsministers bzw. des Ministeriums auf das BKartA.“28 Die starke Stellung, die sich das Amt relativ schnell erkämpfte, war der starken Persönlichkeit ihres ersten Präsidenten Eberhard Günther zu verdanken, den Adenauer aufgrund der Vorbehalte seiner Freunde vom BDI gar nicht mochte, der aber die Gunst von Bundeswirtschaftsminister Erhard genoss. Adenauer soll bei der in sehr schlichtem Rahmen stattgefundenen Aushändigung der Ernennungsurkunde Günther gegenüber gesagt haben: „Mein Freund Berg [Präsident des BDI] sagte mir, Sie seien eine ganz böse Jong, aber na ja.“29 Günther war der Begründer desjenigen Nimbus des Amtes, dem Ortwein30 „noch eine gute Portion Berliner Zivilcourage“ attestiert. Aber mit Günther wurde auch eine Tradition begründet, die die Zweifel an der Selbständigkeit des Amtes nährt. Denn auch die Nachfolger von Günther, Wolfgang Kartte, Dieter Wolf, Ulf Böge, Werner Heitzer, Andreas Mundt, kamen aus dem Wirtschaftsministerium; wenn auch nach vorher unterschiedlich langen Kartellamtstätigkeiten. Sie hatten damit über Jahre hinweg die Luft der Industriefreundlichkeit inhaliert und mussten jetzt Kartelle verbieten, Missbrauchsverfügungen verhängen und Bußgelder erlassen: Das genaue Gegenteil der vorherigen Praxis. Allein dieses Verhältnis ist wie Feuer und Wasser.

      Für die Energiewirtschaft war bis zum Jahre 2008 nur die 8. Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Bediensteten zuständig. Bei ihr lagen die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht. Im Jahre 2008 wurde eine 10. Beschlussabteilung für die Missbrauchsaufsicht eingerichtet; angesichts der durch die Liberalisierung eingetretenen Vervielfachung der Aufgaben viel zu spät. Insgesamt sind damit für die Aufsicht über vier marktbeherrschende Konzerne, die großen Stadtwerke und eine Vielzahl von Handelsunternehmen nur ca. zehn Kartellamtsbedienstete zuständig. Diesen steht eine Phalanx von mindestens 300 im Energierecht tätigen Rechtsanwälten und Mitarbeitern von Rechtsabteilungen der Konzerne und Stadtwerke gegenüber. Dazu kommen zahlreiche Volks- und Betriebswirte in den Konzernen, deren Aufgabe es ist, Unternehmensakquisitionen strategisch zu planen und sie umzusetzen. Sie verfügen zudem über das Geld, wissenschaftlichen Sachverstand einzukaufen, sei es für Gutachten, sei es für die Ausrichtung von Konferenzen u.Ä. Das Missverhältnis ist erschreckend. Waffengleichheit existiert nicht. Die Instrumente des Gesetzes und die Ausstattung der Behörden sind geradezu lächerlich im Verhältnis zu den Truppen auf der anderen Seite. Die Kartellaufsicht ist in diesem Zuschnitt „weiße Salbe“.

       4. Der „Ausnahmebereich“ Versorgungswirtschaft

      Die Energiewirtschaft ging in den Kampf um das Kartellgesetz von vornherein mit einem sehr radikalen Ansatz: Während sich Deutschland – auch unter dem Druck der Alliierten – für eine Marktwirtschaft entschieden hatte, konkret gesprochen also dafür, alle Märkte über den Wettbewerb zu steuern und nicht durch staatliche oder private Interventionen, sollte in der Energiewirtschaft alles anders sein: Vorherrschendes Prinzip waren Wettbewerbsbeschränkungen aller Art. Die Argumente der Versorger, allen voran der Stromwirtschaft, gingen dahin, dass eine Wettbewerbsordnung von vornherein ausgeschlossen sei. Die Märkte für Strom und – wenn auch in geringerem Maß – für Gas wiesen bestimmte Besonderheiten auf. Diese schlössen es von vornherein aus, dass sich Wettbewerbsprozesse entfalten könnten. Denn die Versorgungswirtschaft sei leitungsgebunden. Strom und Wasser könnten nur über feste Leitungen transportiert werden. Das galt auch für Gas, wenn auch mit Einschränkungen. Insbesondere die Kraftwerke, aber auch die Leitungsnetze erforderten einen außerordentlich hohen Kapitalaufwand. Einer Mitbenutzung der Leitungen durch Dritte stehe das Eigentumsrecht der Netzinhaber entgegen. Eine Doppelverlegung von Leitungen scheide wegen des hohen Kapitalaufwandes aus. Diese Argumente wurden vom Bundeswirtschaftsministerium im Gesetzgebungsverfahren abgenickt.

      Im Ergebnis wurden die Verbote der §§ 1 und 15 GWB sowie die Missbrauchsaufsicht nach § 18 GWB durch die Spezialregelungen der §§ 103 und 104 GWB verdrängt. § 103 garantierte ein System geschlossener Versorgungsgebiete, die sogenannten Demarkationen oder Gebietsmonopole. Kommunen hatten das Recht als Wegeeigentümer, in ihrem Gebiet nur einem einzigen Versorger ein ausschließliches Recht zur Benutzung der Wege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zu verleihen. Dieses Recht war zunächst unbefristet. Das waren die sogenannten horizontalen Demarkationen. Nicht im Gesetz vorgesehen, aber von der Versorgungswirtschaft reklamiert wurden – durchaus konsequent – die sogenannten vertikalen Demarkationen: Danach durfte in ein bestimmtes Gebiet auch nur ein einziger Vorlieferant Strom oder Gas hineinleiten – mit dem Ergebnis, dass langfristige Lieferverträge – i.d.R. 20 Jahren mit einer sogenannten Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung galten.

      Mit diesen Ordnungsprinzipien schrieb der Gesetzgeber des GWB im Grunde das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 fort. Danach war eine billige und sichere Energieversorgung nur gewährleistet, wenn die Versorgungsunternehmen sich auf feste Versorgungsgebiete mit langfristig gesichertem Absatz einstellen könnten. Und: „Dafür war Wettbewerb schädlich“, so die Präambel zum EnWG.