Название | Stille Pfade |
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Автор произведения | Philipp Lauterbach |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944771311 |
„Ja, das war wirklich ne feine Sache“, stimmte der zweite Mann zu. Isolde bemerkte ihn erst jetzt. Er stand seitlich versetzt hinter seinem Freund und grinste ihr boshaft ins Gesicht. Und genau wie das letzte Mal, trugen die beiden auch heute wieder die Uniform der Stadtwache.
„Bitte, tun Sie mir nichts“, wimmerte Isolde erneut. Sie begann zu zittern und Tränen rannen als lauwarme Rinnsale ihre kalte Wange hinab, die selbst vor den stinkenden Finger des Mannes keinen Halt machten.
„Das ist doch kein Grund, gleich zu weinen …“, bemerkte er lauernd. „Aber du weißt schon, dass Prostitution in Freistadt verboten ist, oder? Ich dachte eigentlich, du hättest das nach dem letzten Mal verstanden.“ Ihre Knie wurden weich und gaben nach, sodass der Mann seinen Griff verstärkte.
Verzerrte Erinnerungen an Hilflosigkeit und Erniedrigung schossen Isolde durch den Kopf. „Bitte …“, flehte sie und den grauenvollen Erinnerungen folgten die damit verbundenen Gefühle: Schmerz, Scham und Wut. Doch besonders der Schmerz. „Bitte … nochmal überlebe ich das nicht.“
„Das mag schon sein“, entgegnete die Stadtwache vollkommen emotionslos. „Doch ein Verbrechen ist ein Verbrechen. Und es ist die Aufgabe der Stadtwache, die braven Bürger Freistadts vor Verbrechen zu schützen. Wir tun also nur unsere Pflicht.“ Der zweite Mann gluckste vor Erheiterung und klopfte seinem Freund von hinten zustimmend auf die Schulter. Ermutigt fuhr der erste fort: „Und deswegen bringen wir dich jetzt auch zum Büro der Stadtwache, wo über dein weiteres Verbleiben entschieden wird - also alles streng nach Vorschrift.“ Der Hintermann brach diesmal in gellendes Gelächter aus. Seine Stimme ergoss sich wie ein Schwall purer Hohn über Isolde. „Dann komm mal mit, du Flittchen“, beendete der Vordermann seinen Vortrag und riss sie grob am Oberarm.
Inzwischen hatte sich die aufziehende Düsternis über die Straßen Freistadts gelegt und vereinzelt konnte Isolde die Sterne am Himmelszelt erkennen – doch auch die würden ihr nicht zur Hilfe kommen. Dunkel und einsam ging die Gasse von der Straße ab und endete im Nichts. Zusammen mit dem Licht der improvisierten Straßenbeleuchtung verblasste auch der letzte Funke Hoffnung in Isolde. Die beiden Stadtwachen blieben mit ihr kurz vor der Gasse stehen und versicherten sich zunächst, dass sie von niemanden auf der Straße beobachtet wurden. Schließlich zwang sie der Vordermann in die Dunkelheit.
Isolde kannte diesen Ort. Der beißende Geruch nach Urin und Erbrochenen erinnerte sie unweigerlich an das letzte Mal. Nun würde sie an diesem widerlichen Ort doch ihr Leben lassen. Wie menschlicher Abfall zwischen der Pisse und Kotze irgendwelcher Saufbolde. Die Klinge!, schoss es ihr durch den Kopf. Die Klinge unter meinem Rockbund! Ich schwöre dir Bastard hier und jetzt: Entweder setze ich dir oder mir heute Nacht ein Ende.
4
Ismail musste sich beeilen, wenn er die Gasse noch rechtzeitig erreichen wollte - doch durfte er seine Schritte dabei nicht unbedacht setzen, denn jeder einzelne wurde von einem verräterischen Schmatzgeräusch der schlammigen Straßen untermalt. Konzentriert bewegte sich der Waldläufer an der Hauswand entlang und rollte sein Körpergewicht bei jedem neuen Schritt über die Ferse ab. Doch das verdammte Schmatzen wollte einfach nicht verstummen. Ein falscher Laut würde alles zunichtemachen.
Das Meer aus Menschen, Zwergen und Alben war inzwischen verebbt und die Einsamkeit gefiel ihm weitaus besser. Sie gab ihm das Gefühl von Kontrolle und Berechenbarkeit zurück. Mit den Fingern seiner linken Hand spürte er die kratzigen Mörtelfugen zwischen den Backsteinen, als er vorsichtig weiter dem Mauerverlauf folgte. Leicht geduckt verschmolz er zusehends mit dem Schatten der Hauswand und verließ sich einzig auf Gehör und Tastsinn. Sein angespannter Körper folgte gehorsam der führenden Hand. Der unangenehme Geruch von Urin stieg ihm die Nase und trug das erstickte Wimmern einer Frau mit sich. Er hatte den Zugang zur Gasse fast erreicht und verlangsamte weiter seine Schritte bis seine Fingerkuppen endlich die Hausecke ertasteten. Regungslos verharrte er im Schatten.
Was mache ich hier eigentlich?, zweifelte er. Immerhin ist es nicht gerade eine Besonderheit, dass sich die Stadtwache an wehrlosen Bürgern vergreift. Nachdenklich blickte er zurück auf die verlassene Straße und spürte den Drang, ungesehen wieder zu verschwinden und das Schicksal einfach seinen Lauf nehmen zu lassen. Warum also? Und warum gerade jetzt? Er seufzte unentschlossen. Wer hat denn mir geholfen, als alles den Bach runterging? Oder Mutter … Seine Muskeln spannten sich an und obwohl in seinem Inneren ungeheure Kräfte tobten, bewegte er sich keinen Fingerbreit.
Mutter … Es dauerte noch mehrere Atemzüge bis er seinen Entschluss gefasst hatte und sich zur Ruhe zwang. Schließlich bewegte er seinen Kopf in einer langsamen, doch flüssigen Bewegung um die Hausecke.
In der schmalen Gasse blickte keine der drei Personen in seine Richtung. Einer der Männer drückte das Opfer gegen die Gassenwand, während der andere das Spektakel in Ruhe betrachtete. Trotz der schummrigen Lichtverhältnisse konnte Ismail erkennen, dass die Frau zitterte. Die Angreifer waren zweifelsohne Stadtwachen. Obwohl sie ihr widerliches Verbrechen an diesem Ort zu verstecken versuchten, sprachen ihre Silhouetten eine deutliche Sprache: Beide trugen den charakteristischen Ledermantel der Stadtwache von Freistadt - lang und mit hohem Kragen. Dazu der Lederhut mit der breiten Krempe, die an der linken Seite senkrecht nach oben geknickt war. Der Fortschritt machte in Freistadt auch vor den Stadtwachen nicht Halt. Die Zeiten, in denen diese mit Helm, Schild und Handbeil durch die Straßen patrouillierten, waren lange vorbei. Heute trugen sie neben ihren modischen Ledermänteln eine automatische Armbrust, die - ungeachtet ihres kompakten Formats - in kürzester Zeit unzählige Bolzen hintereinander verschießen konnte. Doch so beeindruckend diese Waffe auch war, besorgte sie Ismail in der aktuellen Situation nicht sonderlich - für ihn war die kleine Trillerpfeife am Hals der beiden Männer weitaus bedrohlicher. Sollte einer der beiden die Pfeife zu dieser späten Stunde benutzen, würde dies alle Stadtwachen im Äußeren Ring alarmieren.
Ismail zog seinen Kopf wieder zurück und überlegte kurz, ob er seinen Bogen benutzen sollte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Zwei blitzschnell hintereinander verschossene Pfeile in eine stockdüstere Gasse – beide augenblicklich tötend? Unmöglich. Er musste das Problem Wohl oder Übel aus der Nähe lösen. Entschlossen hob er einen der Backsteine auf, welche aus der Hauswand gebrochen waren und durcheinander auf dem Gehsteig lagen. Er wog ihn abschätzend in seiner Hand. Wenn es gut lief, würden alle Beteiligten diese Nacht überleben.
Schließlich betrat der Waldläufer die Gasse. Zielstrebig und ohne weitere Rücksicht auf das verräterische Schmatzen unter seinen Füßen näherte er sich schnellstmöglich dem ersten Mann. Sie trennten nur noch wenige Schritte und Ismail verstärkte den Griff um den Backstein. Die Stadtwache war noch immer wie gebannt von dem grausamen Schauspiel vor ihm und vollkommen ahnungslos, was den heraufziehenden Schatten in seinen Rücken betraf. Angewidert bemerkte Ismail das unruhige Herumfummeln des Mannes in seinem Schritt, als er endgültig zu diesem aufschloss. Ohne zu zögern schlug er zu.
Das Geräusch, als der Backstein mit voller Wucht den Hinterkopf des Mannes traf, erinnerte den Waldläufer vage an ein Stück Fleisch, dass auf eine glatte Oberfläche klatscht: dumpf und leblos. Die Muskeln des Mannes erschlafften augenblicklich und sein Körper folgte willenlos der Schwungbewegung des schweren Steins. Überrascht über den ausbleibenden Widerstand glitt Ismail dieser aus der Hand und rutschte polternd an der rauen Gassenwand zu seiner Rechten entlang.
Wie befürchtet, alarmierte das ungewöhnliche Geräusch die zweite Stadtwache. Noch immer mit seinen Händen an Hals und Rock des Opfers beschäftigt, riss der Mann seinen Kopf herum und brüllte erbost: „Ist ja gut jetzt, Hannes! Du kommst ja auch noch dran, aber heute …“
Ich muss mich beeilen.
Der Mann riss überrascht die Augen auf, ließ von seinem Opfer ab und schlug augenblicklich zu. Der rechte Haken explodierte wuchtig auf Ismails Unterarm, den dieser gerade noch schützend vor seinen Kopf reißen konnte. Der Fausthieb des Mannes war so kräftig, dass er Ismail auf dem schlammigen