Название | Augenschön Das Herz der Zeit (Band 3) |
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Автор произведения | Judith Kilnar |
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Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783964640079 |
Tatjana und die Dromedin begannen, mich zu untersuchen, was ich anfangs widerstandslos über mich ergehen ließ.
Sie hörten meine Atmung ab, kontrollierten meinen Puls und überprüften meine Körpertemperatur. Sie fanden zunächst das heraus, was ich bereits wusste.
Ich war unterkühlt und leicht unterernährt. Zu schnelle oder anstrengende Bewegungen lösten Schwindel und Übelkeit aus, die unvorhersehbar zum Übergeben führen konnten. Man vermutete zwar, dass ein Symptom das nächste auslöste, beispielsweise die Unterernährung den Schwindel. Wo jedoch der Ursprung all dessen lag, war ihnen noch unklar.
Tatjana hatte die Stirn gerunzelt und es brauchte keine Gedankenlesefähigkeit, um zu erraten, was sie dachte. Wie alle fand sie ein krankes Augenschön deutlich schwerwiegender, als dass für meinen Zustand besorgniserregend noch ausgereicht hätte.
Schließlich nickte die Nele der Dromedin zu, die daraufhin eine kleine Nadel mit einem Schlauch aus ihrer Tasche holte. Aus irgendeinem Grund jagte mir das einen Schauer über den Rücken, und mein Unterbewusstsein vermittelte mir mit aller Deutlichkeit, dass es nichts Gutes verhieß.
»Was ist das?«
»Wir werden dir jetzt Blut abnehmen, um bei der Analyse gegebenenfalls mehr herauszufinden. Da bei Augenschönen die Wunden immer gleich verheilen, ist das Blutabnehmen etwas schmerzhafter und komplizierter.«
Meine Härchen auf den Armen stellten sich auf, als die Dromedin noch näher kam.
»Das … das möchte ich nicht.« Ich wusste selbst nicht, warum ich solche Angst vor der Blutabnahme hatte. Die Aussicht auf Schmerz war es mit Sicherheit nicht. Dennoch sträubte sich mein gesamter Körper dagegen, und eine Stimme in meinem Inneren flüsterte unaufhörlich, dass ich die Dromedin nicht an mich heranlassen durfte.
»Keine Angst, Lucy, Annabeth hat das schon öfter gemacht, es wird nichts schiefgehen.«
Auch die Dromedin namens Annabeth lächelte mir aufmunternd zu und kam noch näher.
Ich begann, leicht und unkontrolliert zu zittern, und warf Rose, die hinter Tatjana stand, einen panisch bittenden Blick zu. Eine leichte Falte legte sich auf ihre makellose Stirn, und sie fragte sich offensichtlich, was mir solche Angst einjagte.
Trotzdem trat sie zu Tatjana. »Muss das Blutabnehmen unbedingt sein? Reichen die bisherigen Untersuchungen nicht aus?«
»Es ist nicht unbedingt nötig, aber hilfreich. Bis jetzt haben wir zwar Anzeichen für eine Reihe möglicher Krankheiten gefunden, aber um welche es sich genau handeln könnte, wissen wir nicht. Das, was wir im Blut finden, könnte uns jedoch weitere wichtige Hinweise geben.«
»Aber was, wenn es gar keine spezielle Krankheit ist? Was, wenn es sich bloß um die Folgen einer sehr anstrengenden Reise handelt, die sich eben auf viele verschiedene Arten bei Lucy äußern?«
»Das könnte natürlich auch sein. Aber …«
»Bitte, Tatjana«, schaltete ich mich rasch ein. »Ich glaube, dass Rose recht hat. Und du hast selbst gesagt, es sei nicht unbedingt notwendig, mir Blut abzunehmen. Können wir es nicht weglassen?« Ich versuchte, einen ängstlichen Gesichtsausdruck aufzusetzen, um ihr Mitgefühl zu wecken, auch wenn ich wusste, dass sich das nicht gehörte.
Doch es schien zu funktionieren. Tatjana sah zwischen Rose und mir hin und her, bevor sie schließlich seufzte. »Ich habe mich wohl in die Vorstellung verrannt, eine neue Krankheit zu entdecken, die sogar stärker als Unsterblichkeit ist. Wahrscheinlich habe ich dadurch die Hauptsache, dein Wohlergehen, aus den Augen verloren. Und wenn du keine Blutabnahme willst …« Sie machte eine Handbewegung zu Annabeth hin, die daraufhin das Blutabnahmegerät zurück in die Arzttasche packte und diese verschloss.
»Ich denke, dann sind wir so weit fertig. Lucy, es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wie ich dir helfen könnte. Am besten schonst du dich weiterhin, isst, worauf du Lust hast, und wenn es geht, mit jeder Mahlzeit mehr, sodass du zu einem normalen Körpergewicht findest. Und halte dich warm. Ich werde gleich dafür sorgen, dass wir dir einen Wasserkocher und Teebeutel besorgen, das dürfte auch etwas helfen.« Sie nickte kurz Annabeth zu, die sich daraufhin lächelnd entmaterialisierte.
»Medikamente kann ich dir leider keine geben. Wir hatten bisher keinen Fall wie deinen, und Arzneimittel der Menschen können dir nicht weiterhelfe. Dein Körper würde sie ablehnen.«
Rose schaute bedauernd, während ich über die Worte der Nele nur erleichtert war.
Wie vorhin beim Blutabnehmen hatte sich mein Unterbewusstsein sofort gegen den bloßen Gedanken an Medikamente gesträubt. Verwirrt über mich selbst, beobachtete ich, wie Tatjana sich ihre Jacke überzog und sich eine Haarsträhne aus dem müde wirkenden Gesicht strich.
»Gute Besserung, Lucy. Falls sich irgendetwas an deinem Zustand ändert, egal ob zum Besseren oder zum Schlechteren, lass es mich bitte wissen. Drück dazu einfach den …«
»Den blauen Knopf an der Tür. Ja, ich weiß. Danke!«
»Hervorragend. Bis hoffentlich bald.« Sie schlüpfte in ihre Schuhe neben der Tür und entschwand dann ohne ein weiteres Wort zu ihren restlichen Pflichten.
Eine Weile schwiegen Rose und ich, bis ich ihrem Blick begegnete.
Hochgezogene Augenbrauen, fragendes Gesicht.
Ich zuckte die Schultern und sank zurück in die Kissen. Wie sollte ich ihr das mit der Blutabnahme erklären, wenn ich es nicht einmal selbst verstand?
Wieder einmal schien meine beste Freundin zu spüren, was in mir vorging. Sie fragte jedenfalls nicht weiter nach.
»Übrigens ist mir Atlas begegnet und hat mir einen Brief mitgegeben, zusammen mit der Entschuldigung, dass er nicht selbst kommen kann.«
Augenblicklich hellwach, setzte ich mich auf und nahm mit großen Augen den kleinen weißen Umschlag entgegen.
Von Rose bekam ich kein freches Grinsen wie von Denise vorhin. Sie betrachtete mich nur besorgt und mit einem wissenden Ausdruck, den meine heißen Wangen bestätigten.
»Ich lass dich mal allein …«
»Danke.«
»… und widme mich meinem, dank eines verrückten, arroganten Befehlshabers, übervollen und scheußlichen Trainingsplan.«
»James ist gar nicht so schlimm, wie du meinst. Auf der Reise hatte er auch seine echt netten Momente«, verteidigte ich ihn, auch wenn ich nicht genau wusste, warum.
Rose verdrehte die Augen, bevor sie mir aufgebracht antwortete: »Ein Mädchen gegen seinen Willen auf den Mund zu küssen, findest du nett? Ein Stechleuchten auf einen Verbündeten abzuschießen? Es wundert mich, dass er so einen Magizismus überhaupt beherrscht. Er soll ziemlich schwierig und kraftraubend sein. Aber egal. Der Punkt ist, dass sich das nach allem anderen anhört als nach einem guten Jungen.«
Ich schauderte. Das Stechleuchten war mir nicht unbedingt so schlimm erschienen. Von der dicken Narbe war ein schmaler, langer, weißer Strich das einzige Überbleibsel. Doch Rose hatte es von Anfang an anders gesehen. Überhaupt auf die Idee zu kommen, ein Stechleuchten auf Atlas abzuschießen, deutete ihrer Meinung nach auf einen gewalt-tätigen und blutrünstigen Charakter.
Ich schwieg, was Rose als eine Art Zustimmung betrachtete. Sie drückte mich zum Abschied an sich und ging, um ihren übervollen und scheußlichen, von einem verrückten, arroganten Befehlshaber zusammengestellten Trainingsplan zu ab-solvieren.
Nachdem sie das Krankenzimmer verlassen hatte, wandte ich mich ehrfürchtig dem Briefumschlag zu. Abwägend hielt ich ihn in der Hand und überlegte, ob ich ihn öffnen sollte.
»Angsthase, Angsthase, Angsthase!«, triezte mich eine piepsige Stimme von irgendwo in meinem Kopf.
»Halt den Mund«, murmelte ich und öffnete zitternd den Umschlag.