Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner

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Название Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris
Автор произведения Maria Anna Oberlinner
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823303558



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      Diese prinzipielle Unvereinbarkeit von Lehrinhalt und -form3 macht nun einen Teil der Widersprüchlichkeit aus, die sich bei einer genauen Lektüre der Remedia auch anhand anderer Beispiele aufzeigen lässt. Ein großer Teil des Lesevergnügens der Remedia besteht schließlich darin, Ovids intra- und intertextuelles Referentialitätssystem zu entdecken, sich also früher verfasste Verse in Erinnerung zu rufen. Nun bestehen aber viele Vorschriften genau darin, bereits erfahrene Liebe zu vergessen und zu verlernen (vgl. die dreimalige Verwendung des Verbs dediscere in V. 211, 297, 503) – denn Erinnerung, admonitus, führt letztlich zurück zur Liebe (vgl. V. 629, 661f., 729).4 Ebenso sind auch die Aktivitäten und Plätze, die für eine Heilung von Liebe vorgeschlagen werden, bereits mit, intratextuell abrufbaren, Erinnerungen an Liebe getränkt.5 Das Forum und die Anwaltspraxis preist Ovids zwar als remedia (vgl. rem. 151), doch konnte der liebeshungrige Schüler in der Ars amatoria bereits lesen: et fora conueniunt (quis credere possit?) amori, / flammaque in arguto saepe reperta foro (ars 1, 79f.). Und auch die Weisungen, die fordern, dass man sich der Landwirtschaft, dem Fischen und dem Vogelfang widmen solle, werden dadurch konterkariert, dass diese Tätigkeiten in der Ars6 und auch bei Tibull Metaphern für die Liebe darstellen und sogar als Tätigkeiten imaginiert werden, die Liebende gemeinsam durchführen können, wie z. B. in Tibulls Phantasie in seiner zweiten Elegie.7 Darüber hinaus eignet den „Little Georgics“ in den Remedia (vgl. V. 171–186), wie Boyd ausführt, ein intertextuelles Moment, das die Liebesheilung unterminiert: In den Weisungen zur landwirtschaftlichen Betätigung werde in Form einer kleinen, metapoetisch wirkenden Ekphrasis ein bukolisches ‚Setting‘ gezeichnet und als „Little Eclogues“ in diese praecepta integriert (vgl. V. 179–182).8 Wenn der praeceptor dem Schüler einen Hirten, der auf seiner Flöte ein Lied spielt, vor Augen führt, rufe dies Liebeslieder der Eklogen und Figuren wie Korydon aus Ekloge 2 und Gallus aus Ekloge 10 hervor.9 Dies evoziere beim Leser aber, da diese Lieder v. a. „unhappy love“10 thematisieren, einen Liebhaber, dessen Versuche, sich von der Liebe zu befreien, zum Scheitern verurteilt seien11 – wodurch Ovid wiederum sein Projekt unterminiere.12

      Man sieht aufgrund von Boyds Beobachtung also: Zusätzlich zur oben erläuterten didaktischen Verweisungsdimension dieser praecepta sind als Resultat der Gattungsmischung die elegischen und auch Liebesleiden widerspiegelnden Färbungen wahrnehmbar, die sich so dem Ziel der Liebestherapie entgegensetzen. Wenn nun der unglücklich Verliebte auch noch die Einsamkeit meiden soll – quisquis amas, loca sola nocent: loca sola13 caueto (rem. 579) – scheint es unmöglich zu werden, den alter orbis, den der Schüler bewohnen soll (vgl. rem. 630), auf dieser Welt überhaupt zu lokalisieren;14 es sei denn, man würde versuchen, die inter- und intratextuellen Konnotationen auszublenden, was wiederum dazu führen würde, einen zentralen Gestaltungsaspekt von Ovids Werk zu vernachlässigen.

      Zudem zeigen Sprachspiele Ovids, wie sich amor, den der Liebeskranke ja loswerden möchte, in die Weisungen hineinschleicht. Man betrachte nur, wie Luke Houghton (2013) beobachtet, folgende Hinweise: opprime, dum noua sunt, subiti mala seminA MORbi (rem. 81) und uerba dat omnis amor reperitque alimentA MORando (rem. 95) – wenn der Schüler nicht schnell genug handle, werde ihn die Liebe fesseln und die Heilung werde erschwert.15 Und Mary Davisson (1996) zeigt, wie auch der Verweis auf konkrete mythologische Einzelfälle mehr entmutigt, als dass er die Argumentation unterstützt: 23 Negativbeispiele, wie die eingangs beschriebenen Heroinen Phyllis (vgl. V. 55f.), Dido (vgl. V. 57f.), Medea (vgl. V. 59f. und 261f.) und auch Circe (vgl. V. 263–288) stehen 14 positiven, und dabei kaum weiblichen, exempla entgegen,16 wobei manche dieser Beispielreihen wiederum auf Folgen verweisen, die noch desaströser sind als das ursprüngliche Liebesunglück: Man denke an den Katalog in V. 453–460, der u. a. Phineus, Alcmaeon, Paris und Tereus nennt, und das Atriden-Beispiel in V. 467–486. Die Liebe dieser Männer zu je einer zweiten Frau hatte schließlich fatale Auswirkungen auf ihr Leben, womit auch sie eigentlich keine unbedingt nachahmenswerten Vorbilder darstellen.17 Davisson folgert zu Ovids Opus: „[I]t raises doubts about the possibility of finding exempla to prove seriously the praecepta of the Remedia.“18

      Und ein weiterer Aspekt, den Alison Sharrock (2002) ausführt, ist an dieser Stelle wichtig: Die Remedia hätten als scheinbar „ultimate retraction and denial of the world of erotic elegy“ Anteil an einer „rhetoric of renunciation“, die aber grundlegend mit dem „erotic discourse“ verbunden sei.19 Das führe eben auch dazu, dass man durch die Remedia als „seductive song which will draw us further into the world of Ovidian erotics“ keinen wirklichen Weg aus der Situation unglücklicher Liebe habe20 – was aber wiederum eine Zukunft für (erotische) Literatur garantiert.21 Der Leser bleibt also durch die verführerische Macht des carmen im Bann Ovids.22

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