Название | Ein feines Haus |
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Автор произведения | Emile Zola |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Rougon-Macquart |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754188521 |
»Ich habe achttausend Francs im Jahr«, murmelte der Angestellte. »Das ist ein schöner Posten.«
»Ein schöner Posten nach mehr als dreißig Dienstjahren!« entgegnete Frau Josserand. »Du reibst dich auf dabei, und du bist noch entzückt ... Weißt du, was ich getan hätte? Na, zwanzigmal hätte ich die Firma schon in die Tasche gesteckt. Das war ja so leicht, das habe ich gemerkt, als ich dich geheiratet habe; seitdem habe ich nicht aufgehört, dich dazu anzutreiben. Aber dazu hätte man eben Unternehmungsgeist und Verstand gebraucht, es kam darauf an, nicht wie ein Blödhammel auf seinem Sitzleder einzuschlafen.«
»Na, hör mal«, fiel Herr Josserand ein, »willst du mir jetzt etwa einen Vorwurf daraus machen, daß ich ehrlich gewesen bin?«
Sie stand auf und ging, mit ihrem Lamartine herumfuchtelnd, auf ihn zu.
»Ehrlich? Was meinst du damit? Sei doch erst mal ehrlich gegen mich. Dann kommen doch hoffentlich erst die anderen! Und ich sage es dir noch einmal, mein Lieber, es ist keine Ehrlichkeit, wenn man ein junges Mädchen hineinlegt, indem man sich den Anschein gibt, als sei man gewillt, einst reich zu werden, und dann tierisch dabei verblödet, indem man die Kasse anderer verwaltet. Wirklich, ich bin auf eine schöne Art und Weise angeschmiert worden! Ach, wenn ich doch noch mal vor diese Entscheidung gestellt würde und wenn ich bloß deine Familie gekannt hätte!« Sie ging ungestüm auf und ab.
Trotz seiner großen Sehnsucht nach Frieden konnte er eine aufkommende Ungeduld nicht unterdrücken.
»Du solltest schlafen gehen, Eléonore«, sagte er. »Es ist ein Uhr durch, und ich versichere dir, die Arbeit hier ist eilig ... Meine Familie hat dir nichts getan, rede nicht über sie.«
»Sieh mal an, warum denn? Deine Familie ist auch nicht heiliger als eine andere, denke ich ... Jedermann in Clermont weiß genau, daß dein Vater sich nach Verkauf seiner Anwaltspraxis von einem Dienstmädchen hat ruinieren lassen. Du hättest deine Töchter schon längst verheiratet, wenn er mit über siebzig Jahren nicht der Nutte nachgelaufen wäre. Auch so einer, der mich angeschmiert hat!«
Herr Josserand war bleich geworden. Er erwiderte mit bebender Stimme, die nach und nach anschwoll: »Hör mal, wir wollen uns doch nicht schon wieder gegenseitig unsere Familien unter die Nase reiben ... Dein Vater hat mir deine Mitgift, die dreißigtausend Francs, die er versprochen hatte, niemals ausgezahlt.«
»He? Was? Dreißigtausend Francs?«
»Allerdings, tu nicht so erstaunt ... Und wenn meinem Vater auch allerlei Unglück zugestoßen ist, so hat deiner sich uns gegenüber nichtswürdig verhalten. Bei seinem Nachlaß habe ich nie so ganz klargesehen, es sind allerlei Schiebungen dabei vorgekommen, damit das Pensionat in der Rue des Fossés-Saint-Victor dem Mann deiner Schwester zufiel, diesem schäbigen Pauker, der uns heute nicht mehr grüßt ... Wir sind bestohlen worden, als seien die Räuber über uns hergefallen.«
Angesichts der unbegreiflichen Auflehnung ihres Mannes schnappte Frau Josserand, die ganz weiß geworden war, nach Luft.
»Mache Papa nicht schlecht! Er war vierzig Jahre lang die Zierde des Unterrichtswesens. Geh doch mal in die Gegend vom Panthéon12 und frage nach dem Institut Bachelard! Und was meine Schwester und meinen Schwager betrifft, so sind sie eben, wie sie sind, sie haben mich bestohlen, das weiß ich; aber dir kommt es nicht zu, das zu sagen, das lasse ich mir nicht bieten, hörst du! Rede ich etwa über deine Schwester aus Les Andelys, die mit einem Offizier durchgebrannt ist! Oh, das geht ja sauber zu bei euch!«
»Mit einem Offizier, der sie geheiratet hat, meine Liebe ... Da ist ja auch noch Onkel Bachelard, dein Bruder, ein sittenloser Mensch ...«
»Aber du verlierst ja den Verstand, mein Lieber! Er ist reich, er verdient bei seinem Kommissionsgeschäft so viel, wie er will, und er hat versprochen, Berthe eine Mitgift zu geben ... Hast du denn vor gar nichts Achtung?«
»Ach ja, Berthe eine Mitgift geben! Wollen wir wetten, daß er nicht einen Sou rausrückt und daß wir seine widerwärtigen Gewohnheiten umsonst ausgestanden haben? Ich schäme mich für ihn, wenn er herkommt. Ein Lügner, ein Saufbruder, ein Ausbeuter, der die Situation ausnutzt, der mich seit fünfzehn Jahren, da er uns vor seinem Vermögen auf den Knien liegen sieht, jeden Sonnabend auf zwei Stunden in sein Büro mitnimmt, damit ich seine Bücher durchsehe! Dadurch spart er hundert Sous ... Wir müssen erst noch sehen, wie weit es mit seinen Geschenken her ist.«
Frau Josserand, der es den Atem verschlug, sammelte sich einen Augenblick. Dann stieß sie folgenden letzten Schrei aus: »Du hast doch einen Neffen bei der Polizei, mein Lieber!«
Es trat abermals Schweigen ein. Die kleine Lampe wurde blasser, unter Herrn Josserands fiebrigen Gebärden flogen Streifbänder umher; und er blickte seiner Frau ins Gesicht, seiner Frau in dem tief ausgeschnittenen Kleid, war entschlossen, alles zu sagen, und zitterte vor seinem eigenen Mut.
»Mit achttausend Francs kann man allerhand anfangen«, versetzte er. »Du beklagst dich immerzu. Aber du hättest den Haushalt nicht auf eine Ebene stellen sollen, die unsere Verhältnisse übersteigt. Es ist eine Krankheit von dir, Gesellschaften zu geben und Besuche zu machen, einen Empfangstag einzurichten, Tee und Kuchen zu reichen ...«
Sie ließ ihn nicht ausreden.
»Da haben wirʼs also! Sperr mich doch gleich in einen Kasten! Wirf mir vor, daß ich nicht splitternackt ausgehe ... Und deine Töchter, mein Lieber, wen sollen sie denn heiraten, wenn wir mit niemand verkehren? Viele Leute sind es sowieso schon nicht ... Opfere du dich doch mal auf und laß dich hinterher dann mit so einer Niedertracht beurteilen!«
»Alle haben wir uns aufgeopfert, meine Liebe. Léon hat vor seinen Schwestern zurücktreten müssen; und er hat das Haus verlassen, weil er nur noch auf sich selbst angewiesen war. Was Saturnin, das arme Kind, betrifft, so kann er nicht einmal lesen ... Ich selbst verzichte auf alles, ich verbringe die Nächte mit ...«
»Warum hast du Töchter gemacht, mein Lieber? – Du willst ihnen doch nicht etwa ihre Ausbildung vorwerfen? Ein anderer Mann an deiner Stelle würde sich des Lehrerinnendiploms von Hortense und der Talente von Berthe rühmen, die heute abend wieder einmal alle Welt mit ihrem Walzer ›An den Ufern der Oise‹ hingerissen hat und deren neuestes Bild morgen bestimmt unsere Gäste bezaubern wird ... Aber du, mein Lieber, du bist nicht einmal ein Vater, du hättest deine Kinder die Kühe hüten geschickt, statt sie in ein Pensionat zu stecken.«
»Ach was! Ich hatte ja für Berthe eine Versicherung abgeschlossen. Warst nicht du es, meine Liebe, die bei der vierten Prämienzahlung das Geld dazu verwendet hat, die Möbel des Salons neu beziehen zu lassen? Und inzwischen hast du sogar die eingezahlten Prämien verschachert.«
»Stimmt! Wo du uns ja verhungern läßt ... Na, du kannst dir ja in die Finger beißen, wenn deine Töchter alte Jungfern werden.«
»Mir in die Finger beißen! Aber zum Himmeldonnerwetter, mit deinen Toiletten und deinen lächerlichen Abendgesellschaften schlägst ja gerade du die Bewerber in die Flucht!« Noch nie war Herr Josserand so weit gegangen.
Erstickt stammelte Frau Josserand die Worte: »Ich, lächerlich, ich!«
Da öffnete sich die Tür: Hortense und Berthe kamen zurück, in Unterrock und Unterjacke, mit aufgelöstem Haar, die Füße in Latschen.
»Oje, bei uns ist es aber kalt!« sagte Berthe bibbernd. »Da gefrieren einem ja die Bissen im Munde ... Hier ist heute abend wenigstens Feuer gemacht worden.«
Und beide zogen Stühle