Название | Ein feines Haus |
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Автор произведения | Emile Zola |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Rougon-Macquart |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754188521 |
»Sie schauen sie ja immer noch an«, sagte Trublot zu Octave, als er merkte, daß dieser die Augen wieder auf Valérie geheftet hatte.
»Freilich«, erwiderte er ein wenig verlegen. »Komisch, in diesem Augenblick ist sie hübsch ... Eine feurige Frau, das sieht man ... Sagen Sie mal, ob man es riskieren könnte?«
Trublot blies die Backen auf.
»Feurig, das weiß man nie ... Merkwürdiger Geschmack! Auf alle Fälle ist das besser, als die Kleine zu heiraten!«
»Welche Kleine?« rief Octave, der sich vergaß. »Wie! Glauben Sie, ich werde mich einwickeln lassen? Aber niemals! Mein Bester, wir Marseiller heiraten nicht!«
Frau Josserand war näher getreten. Der Satz traf sie mitten ins Herz. Wieder mal ein vergeblicher Feldzug! Wieder mal ein verlorener Abend! Der Schlag war so stark, daß sie sich an einen Stuhl lehnen mußte; verzweifelt betrachtete sie den abgeputzten Tisch, auf dem nur noch das verbrannte Kopfende der Brioche herumlag. Sie zählte ihre Niederlagen schon nicht mehr, aber diese sollte die letzte sein, darauf leistete sie einen entsetzlichen Eid, und sie schwor, sie wollte nicht länger Leuten etwas vorsetzen, die einzig und allein deshalb zu ihr kamen, um sich den Bauch vollzuschlagen. Und fassungslos, erbittert überflog sie mit dem Blick das Eßzimmer, sie forschte, welchem Mann sie ihre Tochter wohl in die Arme werfen könnte, da gewahrte sie an der Wand Auguste, der ergeben dastand und nichts zu sich genommen hatte.
Eben bewegte sich Berthe mit einer Tasse Tee in der Hand lächelnd auf Octave zu. Sie setzte den Feldzug fort, sie gehorchte ihrer Mutter.
Aber diese packte sie am Arm und schalt sie ganz leise eine dumme Gans.
»Bring diese Tasse doch Herrn Vabre, der seit einer Stunde wartet«, sagte sie sehr laut voller Anmut. Dann flüsterte sie ihr wieder ins Ohr und sah sie dabei mit ihrem Schlachtenblick an: »Sei nett, sonst kriegst du es mit mir zu tun!«
Einen Augenblick war Berthe aus der Fassung gebracht, fing sich jedoch sogleich wieder. So änderte sich das oft dreimal an einem Abend. Mit dem Lächeln, das sie für Octave aufgesetzt hatte, brachte sie Auguste die Tasse Tee; sie war nett, sprach von Lyoner Seiden, gab sich zuvorkommend wie eine Frau, die sich sehr gut hinter einem Ladentisch ausnehmen würde.
Augustes Hände zitterten ein wenig, und er war rot, denn er litt an diesem Abend an heftigen Kopfschmerzen.
Aus Höflichkeit kehrten einige Leute in den Salon zurück, um noch einen Augenblick Platz zu nehmen. Man hatte gegessen, man konnte aufbrechen. Als man Verdier suchte, war er bereits fortgegangen; und mißmutig nahmen mehrere junge Mädchen nur das verschwommene Bild seines Rückens mit. Ohne auf Octave zu warten, entfernte sich Campardon mit dem Doktor, den er auf dem Treppenabsatz noch zurückhielt, um ihn zu fragen, ob wirklich keine Hoffnung mehr bestehe. Während des Tees war die eine Lampe ausgegangen und verbreitete nun einen Geruch nach ranzigem öl; und die andere Lampe, deren Docht blakte, erhellte den Raum mit einem so schauerlichen Schein, daß sich sogar Vabres trotz der Liebenswürdigkeiten erhoben, mit denen Frau Josserand sie überhäufte. Octave war ihnen in die Diele vorausgegangen, wo er eine Überraschung erlebte: Trublot, der seinen Hut nahm, war auf einmal verschwunden. Er konnte sich nur über den zur Küche führenden Gang aus dem Staub gemacht haben.
»Nanu, wo steckt er denn? Er benutzt den Dienstbotenaufgang!« murmelte der junge Mann. Aber er grübelte über dieses Vorkommnis nicht weiter nach.
Valérie war da und suchte nach einem Halstuch aus Crêpe de Chine. Die beiden Brüder, Théophile und Auguste, gingen hinab, ohne sich um sie zu kümmern.
Da Octave das Halstuch gefunden hatte, gab er es ihr nun mit der entzückten Miene, mit der er die hübschen Kundinnen im »Paradies der Damen« zu bedienen pflegte. Sie schaute ihn an, und er war überzeugt, daß ihre Augen Flammen gesprüht, als sie fest in seine Augen geschaut hatten.
»Sie sind zu liebenswürdig, mein Herr«, sagte sie einfach.
Frau Juzeur, die zuletzt aufbrach, umhüllte sie beide mit einem zärtlichen und diskreten Lächeln.
Und als Octave ganz erhitzt wieder in seinem kalten Zimmer angelangt war, betrachtete er sich einen Augenblick im Spiegel: Wahrhaftig, er konnte das Ding riskieren!
Unterdessen raste Frau Josserand stumm, wie von einem Gewittersturm fortgerissen, durch die öde Wohnung. Sie hatte ungestüm das Klavier zugeklappt, die letzte Lampe ausgelöscht; dann war sie ins Eßzimmer hinübergegangen und hatte begonnen, mit so kräftigem Atem die Kerzen auszublasen, daß die Hängelampe dabei erbebte. Der Anblick der kahlgegessenen Tafel mit ihrem wüsten Durcheinander von leeren Tellern und Tassen brachte sie noch mehr zur Raserei; und sie ging umher, warf fürchterliche Blicke auf ihre Tochter Hortense, die seelenruhig dasaß und das verbrannte Kopfende der Brioche aufaß.
»Du ärgerst dir ja schon wieder die Galle an den Hals, Mama«, sagte Hortense. »Es klappt also nicht? Ich bin jedenfalls zufrieden. Er kauft ihr Hemden, damit sie endlich geht.«
Die Mutter zuckte die Achseln.
»Was? Du meinst, das beweise nichts? Also gut, steuere du dein Schifflein, wie ich das meine steuere ... Na, das ist ja eine Brioche, die sich was darauf einbilden kann, so schlecht zu sein! Da darf man wirklich nicht zimperlich sein, um so ein Dreckzeug hinunterzuschlingen.«
Herr Josserand, der nach den Abendgesellschaften seiner Frau immer wie zerschlagen war, gönnte sich auf einem Stuhl etwas Erholung; aber er bekam Angst vor einem Zusammenstoß, er fürchtete, seine Frau könnte ihn bei ihrem wütenden Gerenne mit fortreißen; und er trat zu Bachelard und Gueulin, die Hortense gegenüber am Tisch saßen. Der Onkel hatte beim Erwachen ein Fläschchen Rum entdeckt. Er leerte es, wobei er voller Bitterkeit wieder auf die zwanzig Francs zurückkam.
»Es ist nicht wegen des Geldes«, sagte er immer wieder zu seinem Neffen, »sondern wegen der Art und Weise ... Du weißt ja, wie ich zu den Frauen bin: mein Hemd würde ich ihnen geben, aber ich will nicht, daß sie es verlangen ... Sobald sie was verlangen, wurmt es mich, und ich rücke keinen roten Heller für sie raus.« Und als ihn seine Schwester an seine Versprechungen erinnern wollte, sagte er: »Sei still, Eléonore! Ich weiß, was ich für die Kleine tun muß ... Aber, siehst du, Frauen, die was verlangen, die gehen über meine Kräfte. So eine habe ich nie lange behalten können, nicht wahr, Gueulin? Und außerdem zeigt man wirklich so wenig Rücksichtnahme! Léon hat nicht einmal geruht, mir zum Namenstag Glück zu wünschen.«
Mit verkrampften Fäusten nahm Frau Josserand ihre Wanderung wieder auf. Richtig, da war ja auch noch Léon, der immer Versprechungen machte und sie wie die anderen im Stich zu lassen pflegte. Auch so einer, der keinen Abend geopfert hätte, um seine Schwestern unter die Haube zu bringen! Soeben hatte sie einen Petit Four entdeckt, der hinter die eine Vase gefallen war, und sie verschloß ihn in eine Schublade, da brachte Berthe, die hinausgegangen war, um Saturnin zu befreien, diesen mit zurück. Sie beschwichtigte ihn, während er verstört mit mißtrauischen Augen fieberhaft in den Ecken herumstöberte wie ein Hund, der lange eingesperrt gewesen ist.
»Ist der aber dumm!« sagte Berthe. »Er glaubt, man hätte mich eben unter die Haube gebracht. Und nun sucht er den Ehemann! Wahrhaftig, mein armer Saturnin, da kannst du lange suchen ... Wo ich dir doch sage, daß es schiefgegangen ist! Du weißt genau, daß es immer schiefgeht.«
Da explodierte Frau Josserand.
»Oh, ich schwöre euch, diesmal geht es nicht schief, und wenn ich selber ihm die Pfote festbinden müßte! Einer ist da, der für die anderen büßen wird ... Ja, ja, mein lieber Josserand, du kannst mich noch so sehr mustern und dabei aussehen, als ob du nicht verstehst: die Hochzeit findet statt, und zwar ohne dich, wenn es dir nicht paßt ... Hörst du, Berthe, den da brauchst du nur aufzulesen!«
Saturnin schien nicht zu verstehen. Er schaute unter den Tisch. Das junge Mädchen deutete mit einem Wink auf ihn; aber Frau Josserand machte eine Gebärde, als wolle sie erklären, daß man ihn schon verschwinden lassen werde. Und Berthe murmelte: »Du meinst also tatsächlich Herrn Vabre? Na, mir ist es gleich ... Daß man mir allerdings kein belegtes Brötchen aufgehoben hat ...!«