Bonjour Motte!. HeikeHanna Gathmann

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Название Bonjour Motte!
Автор произведения HeikeHanna Gathmann
Жанр Языкознание
Серия 1
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748597612



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      2. „Wichtig wie ein Scheibe Brot“

      Ach, wie tut sie gut … so die Vorstellung von einer erfüllten Liebe. Was bedeutet, dass sie ihr Gegenüber, ihren Sehnsuchtsort gefunden hat. Sich nicht verstellt, den anderen überfordert oder gar benutzt. So vielfältig sich die Liebesverhältnisse und ihr Umfeld gestalten, so vielseitig sind die Erscheinungsformen der Zuneigung: Fatal und tief. Echt oder verlogen. Süss und vorgetäuscht. Leidenschaftlich und wild oder doch nur sich selbst meinend. Gross und nicht erwidert. Zärtlich oder käuflich. Vergangen und selbstlos. Obsessiv oder bevormundend. Im Spiegelbild des anderen suchen die eigenen Triebfedern nach einer Bestätigung. Das Gefühl der Liebe füllt innere Leere, kittet Selbstzweifel und schafft im Falle falscher oder zu hoher Erwartungen Streit oder Zwist. Im positiven Sinn stellt sie ein wahres Therapeutikum dar, im Negativen möglicherweise eine Schlechtwetterpille. Sie dauert ein ganzes Leben, manchmal nur einige Tage. Sie beginnt im Kinderhort und endet vor dem Scheidungsanwalt. Körperliche Lust verwandelt sich in Vertrautsein, Passion in Distanz oder Freundschaft. Sie scheitert als Klammeraffe und verprellt im Nymphomanengewand. Sie überwindet Kontinente und Vorurteile. Fällt auf einen Hund oder auf eine Katze. Sie ist so wichtig wie eine Scheibe Brot. Liebe beseelt. Verleiht Flügel. Kann Berge versetzen und den Magen füllen. Manchmal wird sie schlichtweg überschätzt, denn ein Portion Selbstliebe hat noch nie geschadet. Den Beweis, dass ein liebesunfähiger Mensch, keine guten Taten vollbringen kann, gibt es nicht. „Schätze deinen Nächsten!“, ist häufig Anstrengung genug.

      3. „Die vier Pfeifen meines Vaters“

      Mein Vater besass vier Pfeifen. Er paffte, was das Zeug hielt. Die angenagten Mundstücke und das dunkel eingefärbte Innere der Pfeiffenköpfe erzählen von seiner immensen Schaffenskraft, denn er hinterlies viel und nicht nur Rauchschwaden. Sogar ein kleines Schränken, in welchem er seine rauchenden Wegbegleiter aufbewahrte, wurde angeschafft. Es heisst, Pfeifenraucher seien gutmütige und nachdenkliche Wesen. Die reinsten Philosophen. Die sinkende Zahl der Tabakfans spricht dagegen für ein nicht zu bestreitendes oder anzweifelbares Gesundheitsbewusstsein. Die Logik von dem gesellschaftlichen Aussterben der Güte, dem Mitgefühl und dem besonnenen Handeln. Doch sie trifft auch im Falle meines Vaters nur teilweise zu. Zwar liess er am Abend alle Viere gerade sein und kraulte, entspannt auf dem Wohnzimmersofa liegend, seinen geliebten, schwarzen Pudel. Aber ein Wehe, es ereilte ihn die Ungeduld. Etwa, wenn nicht rechtzeitig eine Rechnung beglichen worden war. Dann half sein Pfeifchen, um ihn zu beruhigen. Oder wenn ihn trotz des Respektes, der ihm allerorts entgegengebracht wurde, eine kindliche Schüchternheit überkam. So beim Treffen der städtischen Honorationen, zu welchem er regelmässig eingeladen wurde. Dann griff der gute Mann zu einem hellbraun schimmernden Rauchutensil aus Feinschliff. Zu seinem besten Stück. „Irgendwann wird dich deine elende Schmökerei umbringen“, maulte meine Mutter, welche den Geruch der Tabakschwaden hasste. Nur sollte er an diesem Laster nicht sterben. Weise, vorsichtig in allen Geldanlagen hatte er es zu Etwas gebracht. Immerhin zählten vier schmucke Häuser sein Eigen. War der Geschäftsmann besonders guter Laune, wurde die französische Variante gezückt und entfacht. Es handelte sich um ein tiefschwarzes, elegantes Souvenir aus dem Urlaub in Südfrankreich. Der Duft, den sie hinterlass, war süsslich und fruchtig. Mein Vater wäre nicht der meine gewesen, hätte er nicht neben der Alltagspfeife noch eine zweite besessen, um jeweils die andere für eine Weile zu schonen.Grafik 2

      4. „Schritt halten“

      Der eine besitzt vierzig Paar, der andere nur vier. Wir laufen in ihnen durch unser Leben, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Ohne Schuhe kämen wir nicht meilenweit. In Leder, Fell, Bast, Kork, Holz, Gummi oder Polyethylen wird gelaufen, gestöckelt, gelatscht, gestiefelt und gewalkt. Auf dem Eis getanzt, der Ball gerollt oder ein Rekord gerannt. Im Grunde müsste jeder Tag der des heiligen Nikolaus sein, an welchem ein Schuh mit Konfekt als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung verschenkt wird. Doch zu viel Zuckerware macht krank. Ein hübscher Mokassin, ein mit Perlen verziertes, ledernes Modell, das den Hauch von wilder Freiheit und Naturverbundenheit versprach, gefiel mir just in der Schaufensterauslage. War dieses Alltagsding der intime Ausdruck der eigenen Identität, in welcher sich insgeheim die Frage verbirgt: Was ist dein Ziel? Einige Exemplare, die anlängsten entsorgt sind, schlimmstenfalls auf einer afrikanischen oder südasischen Müllkippe dümpeln, sind partout unvergesslich. Weisse, schicke Sonntagshalbschuhe der Zehnjährigen. Elegante, weinrote Winterstiefel mit Schnallen, mit welchen die Zwanzigjährige ihren besten Freund beeindruckte. Ein zerrissener Ballettschuh wurde wie eine Kostbarkeit in der Kommode verwahrt. Der profane, begehrte Artikel, der noch vor einhundert Jahren für viele Menschen kaum erschwinglich war, hat sich unverrückbar in die Sprache eingeschlichen. „Mir geht es gut. Nein, der Schuh drückt nicht!“, heisst es bis heute. Mit Entrüstung: „Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an!“ Dabei ist unbestreitbar, dass Schuhe die Füsse vor einer Verletzung schützen, wärmen, die Schritte und den Gehvorgang stabilisieren. Jeder möchte Schritt halten, sich mit seiner Auswahl von dem anderen unterscheiden. Oder wie ein französischer Sonnenkönig etwa mittels roter Absätze auf sich aufmerksam machen und hervorheben. Auch das Schuhhandwerk besitzt Historie. Die Schusterkunst unterschied in simpler Weise einst zwischen Schaft und Boden. Ihre Machart: Schneiden, Kleben, Nähen, Nageln. Das älteste Laufutensil wurde in Fort Rock, Oregon (USA) sichergestellt. Es handelt sich um zehntausend Jahre alte Bastschuhe von Paläoindianern. Sechstausend Jahre hat ein Lederschuh, Schnidejocher genannt, aus den Berner Alpen überdauert. Wer den Schnürsenkel, eine geniale Angelegenheit, erfand, bleibt im Dunkeln. Den verwickelten Bundschuhen von Moorleichen folgten die Schnabelschuhe der Aristrokraten. Dann das feste Schuhwerk der bürgerlichen Vernunft. Im Maßzuschnitt. Bestenfalls Blasen und Hühneraugen vermeidend. Aus den ollen Galoschen entstand das Phantasiedesign, verwirklicht in der industriellen Fabrikation. Sneaker, Slipper, Pumps, Turn- und Wanderschuhe. Mit und ohne Markennamen. Eine Idealanfertigung - weiss der Kenner - liegt vor, wenn eine fiktive, schnurgerade Linie durch das zweite Zehengrundgelenk des Trägers bis hin zur Mitte seiner Verse gezogen werden kann. Dann fällt er nicht aus den Pantoffeln. Oder: Umgekehrt wird ebenso ein Schuh daraus. Der sogar therapeutischen Nutzen hat, wenn Fetischgelüste, neurotische Ticks ihre friedliche Passion finden. Einschüchtern lassen sollte sich niemand mit seinen neuen Leisten. Falls er oder sie es wagen sollten, in den passenden Schuhen einer anderen Person weiterzulaufen. Einen weisen Rat gab dazu der amerikanische Sänger Elvis, der Schuhe über alles liebte: „Imagine You are standing in my shoes what a suprise it could be to see Me.“

      5. „Narben“

      Sie brennen sich in die Haut. Narben lassen sich retuschieren und übertünchen, doch die Verletzung liegt häufig tief in den Gedächtniszellen vergraben. Denn erlittene Schmerzen lassen sich nur selten ganz vergessen. Immer weisen sie in die Richtung eines unangenehmen Erlebnisses - etwa auf die Folgen eines Unfalles oder einer Gewalteinwirkung hin. Die mediale Nachrichtenflut ist vollgestopft mit Bildern der Opfer. Zum Beispiel mit denen von Bombenanschlägen. Der Schmerz wird sichtbar, aber ist er spür- und nachvollziehbar? Tagtägliches Leid, auch das von Schlachttieren, wird vorzugsweise verdrängt. Weil die Brutalität eines Gewaltaktes auf Dauer nicht auszuhalten ist. Sie wird gerne ins bewusste Abseits geschoben wie der eigene oder der mögliche, jedoch unvermeidbare Tod eines geliebten Menschen. Jeder weiss von gefährlichen Situationen: So die letzte Sekunde, bevor das Auto mit einem anderen zusammenkracht. Ein Schreckensmoment! Ein kenterndes Segelboot, in welchem Nichtschwimmer sitzen. Pech gehabt! Eine defekte Gasflasche, aus der der Inhalt entweicht. Bloss weg! Möglich ist ein Ausweichen, eine Vermeidung dieser lebensbedrohlichen Erfahrungen. Einen hundertprozentigen Schutz dagegen gibt es nicht. Gleichgültig, ob die Gewalteinwirkung mutwillig oder zufällig geschah. Das Strafrecht erklärt sie als physische Kraft zur Beseitigung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes. Der Nasenbeinbruch und die blauen Flecken einer verprügelten Person sind kein Kavaliersdelikt. Als >vis absoluta< kann Gewalt die Willenskraft