Название | Kira und das Känguru |
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Автор произведения | Miriam Frankovic |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737514040 |
„Niemand ist unsterblich“, belehrte ich ihn.
„Albert schon. Hat er mir jedenfalls erzählt.“
„Wenn er reden kann, wieso sagt er dann nichts?“, fragte ich. „Weil er zum Beispiel seit ein paar hundert Jahren nicht mehr geredet hat und sich erst einmal wieder dran gewöhnen muss.“ Ich hockte mich neben Cangoo und starrte nun ebenfalls den leeren Stuhl an. „Ich sehe keinen Albert.“
„Du musst genau hingucken.“ Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und machte Stielaugen. Kein Albert weit und breit. Cangoo wedelte ungeduldig mit seinem buschigen Schwanz und beförderte eine Obstschale vom Tisch. Apfelsinen und Äpfel rollten auf den Boden. „Siehst du nicht, wie er leuchtet?“ Ich kniff meine Augen zusammen und sah plötzlich eine Art rosa Hülle in der Größe einer mittelgroßen Dschungelpflanze vor mir. Aber das konnte ich mir auch genauso gut nur einbilden. „Du meinst, Albert steckt unter dieser Hülle?“
„Er kann verschiedene Gestalten annehmen“, erklärte mir Cangoo. „Im Moment ist er unsichtbar. Dich kennt er noch nicht. Logisch, dass er sich da erst einmal bedeckt hält.“
„Und seit wann kennst du ihn?“
„Seit heute Morgen um zehn vor fünf. Da wollte er im Internet zwei Kabel zusammenlöten. Die Dinger sind in Flammen aufgegangen. Und auf der Feuerwolke ist er aus dem Computer in dein Zimmer geschleudert worden.“
„Warum bitten wir ihn nicht, mit uns zusammen zu frühstücken? Albert hat doch sicher Hunger.“ Cangoo schüttelte den Kopf. „Albert ernährt sich zum Beispiel nur von geistigen Dingen. Von Literatur.“
„Albert liest?“ Cangoo nickte nachdenklich. „Meistens philo... philo...“ Der Rest ging in einem unverständlichen Kauderwelsch unter. Mein Vater, der wieder reinkam und den Anfang des Gesprächs mitbekommen hatte, sagte: „Du meinst, er liest philosophische Bücher?“ Cangoos' Gesicht erhellte sich. „Genau.“
„Und was soll das sein?“, fragte ich stirnrunzelnd.
„Irgendetwas ziemlich Kompliziertes. Frag ihn am besten selbst“, meinte Cangoo.
„Warum heißt der Mensch Mensch?“, erklang plötzlich ein dünnes Stimmchen von dem leeren Stuhl.
„Keine Ahnung“, gab ich zurück. „Weil ihn irgendjemand mal so genannt hat.“
„Wann ist ein Tier ein Tier? Wieso haben wir ein Gehirn zum Nachdenken? Wieso denken wir manchmal so einen Blödsinn? Und warum kann ein Känguru hüpfen?“, fragte die Stimme wieder. „Das sind ziemlich schwierige Fragen“, erwiderte mein Vater und stellte seine Kaffeetasse, meinen Tee und einen Eimer heißen Kakao für Cangoo auf den Tisch. „Nein. Das ist Philosophie“, antwortete das Stimmchen.
„Mir egal. Willst du auch ein Brötchen?“, fragte Cangoo die Hülle, die unruhig in der Luft hin- und herschwebte. Wieder ertönte die Stimme. „Ich habe keinen Hunger. Ich habe heute Morgen schon fünf Bücher gegessen und bin pappsatt.“
„Kann ich mir vorstellen“, warf mein Vater trocken ein und schlug die Zeitung wieder auf. „Wie ist es, wenn man ewig lebt?“, fragte ich Albert.
„Total langweilig“, antwortete er. „Tagaus, tagein dasselbe. Ohne Ende.“ Die Stimme klang so betrübt, dass mir vor lauter Mitgefühl fast die Tränen kamen. „Vielleicht werden Gespenster einfach nur viel älter als wir und sterben erst mit tausend oder so“, flüsterte ich Cangoo nachdenklich zu. Der blickte die Hülle fragend an. „Wann stirbst du denn so zum Beispiel?“, fragte er neugierig. „Gar nicht“, sagte das Stimmchen. „Ich bin eine Art Seele ohne Körper.“ Ich nickte. Geschichten über unsterbliche Seelen hatte ich schon in meinen Indianerbüchern gelesen, auch wenn ich nicht genau kapierte, was damit gemeint war. „Hattest du denn früher einen Körper, als du noch jung warst?“ Wieder flatterte die Hülle unruhig auf und ab. „Früher war ich Baumeister von Beruf, dann Hofnarr am Königshof, später Weber und dann Opernsängerin in Mailand. Die anderen Sachen habe ich im Lauf der Zeit vergessen.“ Cangoo, der sich nie lange auf ein Gespräch konzentrieren konnte, sprang auf, hoppelte in die Küche und kam kurz darauf mit einem Berg übereinandergestapelter und mit Erdbeermarmelade bestrichener Pfannkuchen zurück. „Ich glaube, Albert ist nicht der Freund, auf den ich gewartet habe“, wisperte er mir kauend zu. „Das kann man