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Kapitän Hans Borgward:

       Am 11.4.1944 begann Hans seine seemännische Laufbahn als Schiffsjunge auf dem Schulschiff „GROSSHERZOGIN ELISABETH“, das der Seemannsschule Finkenwerder zur Verfügung stand. In vier Monaten wurde ihm mit dem damals üblichen militärischen Drill das seemännische Grundwissen eingebläut. „Wir schliefen mit etwa 60 Mann in einem Raum in Hängematten. Geweckt wurde mittels Flötens mit einer Trillerpfeife. Morgens beim Wecken fingen bereits die ersten Schikanen an. Jede Hängematte musste am Fußende mit einem Slipsteek versehen sein. Wer nicht sofort aus der Matte war, dem wurde der Slipsteek gezogen, und er fiel aus 1,5 m Höhe auf den Fußboden. Die Ausbilder zogen immer erst bei einigen Schiffsjungen den Slipsteek, bevor sie flöteten. Es war eine harte Schule mit viel Schikane, aber ich zehre noch heute von den Grundverhaltensmustern, zu denen wir damals erzogen wurden. Vor dem Landgang am Sonntag wurden wir streng kontrolliert. Es wurden ja mindestens acht Mann für Reinigungsarbeiten an Bord benötigt. Die suchte man sich bei den Landgangskontrollen heraus: Wessen Schuhsohlensteg nicht einwandfrei sauber war, war für den Landgang ausgeschlossen. Wenn alle Schuhstege sauber waren, fand man bestimmt Leute, deren Zahnbürste Mängel aufwies. Die benötigten 8 Mann fielen immer durchs Sieb.

      Nach den vier Monaten in Finkenwerder wechselte ich auf das in der Flensburger Förde liegende Schulschiff „PADUA“ (die heute unter russischer Flagge segelnde „KRUSENSTRERN“). Es war nicht leicht, auf diesem Schulschiff einen Platz zu bekommen, aber mein Onkel war dort Kapitän, und diese Beziehungen halfen mir. Zum Ausbildungsprogramm gehörten auch Lerninhalte militärischen Charakters, z.B. Lichtmorsen und Ausbildung an der Vierlingsflak. Wenn die angloamerikanischen Bomberverbände über uns hinwegzogen, mussten wir Munition für die Flak schleppen. Nach 8 Monaten bestand ich im Herbst 1944 an Bord der PADUA die Leichtmatrosen-Prüfung und meldete mich sofort freiwillig auf einen Dampfer.“

      Also gab es doch die vorgeschriebene Ausbildung für angehende Seeleute, allerdings militärisch straff ausgerichtet mit gewissen Hintergedanken. Die damalige Reichsregierung hatte entsprechend qualifizierte Ausbildungszentren für den seemännischen Nachwuchs an Nord- und Ostseeküste eingerichtet und die vorgeschulten Schiffsjungen in die verbliebene Nord- und Ostseefahrt vermittelt.

      Nach 1945 wurden diese pädagogischen Aufgaben zur Ausbildung des Nachwuchses stark vernachlässigt, besonders in der Küstenschifffahrt. Dafür hatte man in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch keine Zeit und kein Geld und die meisten Küstenschiffer vermutlich auch kein großes pädagogisches Feeling für die Ausbildung des Nachwuchses in der Nord- und Ostseefahrt.

      Ein Blick über den Tellerrand zu unseren britischen Nachbarn kann auch nicht schaden. Ich möchte behaupten, die absolut beste Ausbildung für den seemännischen Nachwuchs auf Segelschiffen wurde in U.K., also in Großbritannien, praktiziert.

      In „YOUNG SEAMAN’s MANUAL and RIGGER’s GUIDE”, herausgegeben von CAPTAIN C. BURNEY, R.N., C.B., F.R.G.S, Superintendent of Greenwich Hospital Schools, erschienen im KEGAN PAUL, TRENCH, TRÜBNER Verlag, London 1901, wird ein Nachschlagwerk vorgestellt, welches wahrscheinlich schon ein Jahrhundert lang zur Standartausrüstung für die Royal Navy und die Mercantile Marine gehört und die gesamte Palette der Seemannschaft auf Segelschiffen bis ins kleinste Detail abhandelte. Es würde Monate dauern, um den komplexen Inhalt zu studieren und zu verinnerlichen.

      Meine ersten Schritte an Bord eines schwimmenden Untersatzes

      Nachdem ich im März 1951 aus der Volksschule entlassen worden war, ging es zunächst darum, dass mein Vater mir seine schriftliche Einwilligung zur Seefahrt gab. Seine Vorurteile konnte ich in einem andauernden Gespräch inhaltlich ungefähr so abfedern: „Zum einen fahre ich nicht nach Halchter zur Gerda, da ich keine Lust auf Landwirtschaft und Kuhstallausmisten habe“, worauf mein Vater konterte: „Aber die Landwirte sind schon immer gut durch die mageren Jahre gekommen.“ Als er noch der große Oberzahlmeister von Führers Gnaden war, wollte er mich in Paris Kunst studieren lassen. Doch jetzt, wo der Führer ihn in Stich gelassen hatte, sollte ich mein künstlerisches Talent im Kuhstall eines Gutshofs verbraten! Verrückt! Egal, er merkte, dass er mir nicht mit seinen Drohungen und schon gar nicht mit der Landwirtschaft imponieren konnte. Außerdem bestand für mich die Chance, dass ich aus dem verdammten Steckrüben- und Kohlsuppen-Speiseplan meiner Mutter ausbrechen und dem Chef eventuell Tabakwaren von Bord mitbringen konnte. Also, die erste Hürde war geschafft. Jetzt ging es darum, eine vernünftige Arbeitsbekleidung für den zukünftigen Seemann zu organisieren. Da ich immer noch die Fischkutterkarriere im Kopf hatte, brauchte ich nun in erster Linie „wullen Ünnertüüg“, warme wollene Unterwäsche aus Mako, denn die war entscheidend beim Arbeiten an Deck, um auch bei Kälte und Nässe gesund durch den Winter zu kommen. Da die Fischerei auch bei schlechtem Wetter stattfindet und man dabei öfters nass wird, war es wichtig, Wollklamotten auf dem Körper zu tragen. Aber die waren teuer, jedenfalls für einen arbeitslosen Vater. Dazu kam kräftige Oberbekleidung (wullen Obertüüg), z. B. zwei Buscherumps (Arbeitskittel), wullen Pullover, wullen Strümp, gleich mehrere Paare, wullen Fischerbüx, die ingelnschleddern Büx, eine Arbeitshose aus Baumwollstoff, Hultpantinen (Holzpantinen) und Eultüüg, früher geöltes Leinenzeug, wie es mein Vater noch als Leichtmatrose und Matrose getragen hatte, nach dem letzten Krieg gab es bereits schon Gummijacken und die Gummiüberhosen und die dazugehörigen Gummistebel, also Gummistiefel mit Rosshaarsocken. Man konnte den Einkauf beim Seemannsausrüster anschreiben lassen und in Raten abbezahlen. Wir taten das auch, weil wir keine andere Wahl hatten. Nur den Zampel (Seesack) konnte mein Vater von sich aus beisteuern, denn den hatte er aus britischer Gefangenschaft gratis mitbekommen.

      Als nächstes war das Seefahrtbuch fällig.

      Doch dieses gab es nur auf Vorlage der väterlichen Einwilligung, und, wenn der Vertrauensarzt der Seeberufsgenossenschaft in Cuxhaven grünes Licht gab. Ersteres konnte ich dem Beamten der Heuerstelle übergeben.

      Der Vertrauensarzt unterzog mich einer kritischen Untersuchung, wobei der Farbunterscheidungstest eine wichtige Rolle für die spätere Laufbahn an Bord darstellte. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden im Gesundheitspass eingetragen und an die SeeBG nach Hamburg übermittelt. Aus dem Gesundheitspass konnte man entnehmen, ob man für den Decks- oder den Maschinendienst qualifiziert war. Mein Vertrauensarzt hielt mich für die Deckslaufbahn tauglich. Ich durfte also an Deck und später in weiter, weiter Ferne vielleicht als Nautiker auf der Brücke den Wachdienst ausführen.

      Wieder war eine Hürde genommen und am 6. April 1951 wurde mir in Cuxhaven vom Seemannsamt das Seefahrtbuch mit der Nummer 243/51 ausgehändigt

      Mein erstes Seefahrtsbuch, ausgestellt am 6. April 1951 vom Seemannsamt in Cuxhaven.

      Die letzte Hürde war der fehlende schwimmende Untersatz. Der Zufall wollte es, dass der Hochseekutter „DOGGERBANK“, HF 400 zu diesem Zeitpunkt gerade im Hafen vor der Drehbrücke am Bunkerkai lag. HF 400 hatte Getriebeschaden. Ich machte mich also auf und besuchte den Schipper Jan Külper, den ich noch von unserer Begegnung im Sommer 1950 kannte. Ich begrüßte ihn ehrfurchtsvoll, und er konnte sich auch noch an den Jungen, der das „Vater Unser“ durch die Backen blasen konnte, erinnern. Und dann fragte ich mit stockendem Atem, ob die Chance noch bestehen würde, bei ihm an Bord anzumustern. Tja, viel gab es an Bord nicht zu tun, denn sie lagen an der Kaimauer und warteten auf Ersatzteile des Getriebeherstellers. Dann, als der Bestmann noch dazu gekommen war, beschnackten sie die Frage, „neuer Moses an Bord oder nicht“, denn der alte hatte vorher gerade abgemustert. Nach einiger Zeit einigten sie sich und gaben mir ihr Einverständnis, dass ich anmustern könne. Dieser Moment war für mich umwerfend. Am nächsten Morgen nahm ich meinen Zampel (Seesack) und schleppte ihn von der Gorch-Fock-Straße bis zur Drehbrücke im Alten Hafen, wo die meisten Kutter Gasöl bei der Firma Glüsing bunkerten. Der Bestmann führte mich nach vorn unter die Back, damit ich den Zampel auspacken und die Koje beziehen konnte.