So weit weg uns doch ganz nah. Eomée Wächter

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Название So weit weg uns doch ganz nah
Автор произведения Eomée Wächter
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783745098518



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Begebenheit packte ich beim Schopf und legte neben dem Sarg auf dem Tisch eine Vielzahl von Stiften mit der Aufforderung, Timos Sarg doch zu bemalen, ihn zu beschriften, ihm noch persönlich was mitzugeben auf seine letzte Reise. Der Sarg sah danach wunderschön bunt aus und ich denke, dass es eine gute Idee war, somit war jeder von seinen Freunden und Bekannten nochmal ganz nah mit ihm zusammen, ganz nah bei ihm, während sie malten und konnte auf ihre Weise von ihm Abschied nehmen. Es wurden Bilder davon gemacht, die ich bis heute nicht anschauen konnte ….

      Auf dem Tisch lagen noch Zettel aus, wer mochte, konnte ihm noch etwas schreiben oder etwas in die Glasschale legen, ein letztes Geschenk, letzte Worte an ihn gerichtet. All das wurde nach der Aussegnungsfeier mit in den Sarg gelegt und ging auf die Reise mit ihm zum Krematorium nach Coburg. Coburg ist die Stadt, wo meine Ahnen väterlicherseits herstammen.

      Diese Abschiedsfeier sollte nicht steif und traurig verlaufen, das hätte Timo niemals gewollt und gewünscht. Ich holte mir immer seine Energie, wenn ich Entscheidungen treffen wollte und fühlte dann die Zustimmung von ihm aus der geistigen Welt.

      Somit bat ich seine engsten Freunde, seine Lieblingsmusik aufzulegen, diese im Aussegnungssaal zu spielen, während die Menschen kamen und sich bei ihm verabschiedeten. Draußen gab es Kaffee und Wasser zum Trinken, seine Freunde sollten sich wohlfühlen, wenn sie ihn verabschieden müssen. All das wurde von dem Beerdigungsinstitut Baumüller bestens geplant und organisiert. Wunderbare Menschen, die Baumüllers, dafür danke ich Ihnen sehr. Lange Gespräche, Umarmungen, Tränen, Auswahl der Urne, Ablauf der Beerdigung und Aussegnung, alles haben Sie übernommen und harmonisch umgesetzt, immer im Hintergrund dezent dabei und dennoch da, wenn ich Sie brauchte. Ich danken Ihnen hier an dieser Stelle sehr.

      Da Timo durch einen Seitenaufprall (laut meiner Recherche durch viel zu hoher Geschwindigkeit des Zuges durch die Innenstadt fahrend durch den entstandenen Sog hineingezogen worden) starb und sein Körper zerstört wurde, hat man mir eindringlich empfohlen auch seitens der Kripo, ihn nicht mehr persönlich zu verabschieden, ihn anzusehen. Ich haderte mit dieser Entscheidung, ich wollte doch nochmal seinen Kopf streicheln, ihn auf die Wange küssen, ihn nochmal umarmen, meinen Jungen, mein Kind ….

      Verzweifelt kontaktierte ich Herrn Baumüller, brachte Timos Lieblingslederhose und sein karriertes Hemd sowie sein Foto mit und in der Aussegnungshalle stellte ich ihm drei Fragen mit der Bitte, sie nur kurz zu beantworten:

      1 Können Sie ihm seine Lederhose und Hemd anziehen? Antwort: nein, nur drauflegen

      2 Erkennen Sie Timo anhand dieses Fotos? Antwort: nein, nur schwer.

      3 Kann ich ihn sehen und mich von ihm verabschieden? Antwort: er schüttelte verneinend heftig den Kopf

      Mit Tränen in den Augen nahm er die Anziehsachen von Timo behutsam an und versprach mir, dass er sie so auflegen wird, dass man denken könnte, er hätte sie an. Ich weiß nicht mehr, wer mich dorthin gefahren hat und wie ich dann nach Hause kam; ich denke, dass Fabian immer in meiner Nähe war und mich beobachtete, schaute, dass ich durchhalte. Ich weiß nur noch, dass ich immer noch weinen konnte und immer noch Tränen kamen, die wie ein Wasserfall über meine Wangen liefen. Soviel kann man doch gar nicht weinen … oh doch, bis zur gänzlichen Erschöpfung und immer wieder ….

      Der Tag der Aussegnung, bis dahin war ich tapfer und irgendwie stark, konnte reden, organisieren und immer noch weinen … doch als ich vor der großen Tür stand zur Aussegnungshalle und Fabian sie öffnete, war es aus.

      Ich ging gestützt durch Robin und Fabian zum Sarg, der wunderschön dekoriert war mit gelben Blumen. Ich ging zu meinem Sohn Timo, um ihn zu verabschieden, ihm meine letzte Umarmung zu geben. Ich ging behutsam zum Sarg, er fühlte sich kalt an und ging an das Kopfende und umarmte den Sargdeckel. Ich musste einen Sargdeckel umarmen … meine Tränen liefen über den Sarg, ich nahm einen Stift und schrieb und malte auf den Sarg meine letzten Worte an ihn … wie grausam ist das Leben.

      Viele Menschen kamen, Freunde, Lehrer, Bekannte, Nachbarn … ich habe nicht viel in Erinnerung, das ist wohl so, wenn man ein Kind beerdigt. Es war schön dekoriert, Timos Lieblingsmusik spielte, viele saßen einfach nur da und betrachteten den Sarg, das große Bild, welches auch auf seiner Gedenkseite zu sehen ist, daneben. Jeder hat für sich Abschied genommen, hatte Zeit dafür, kein Bedrängnis, den ganzen Nachmittag. Die Baumüllers haben das so wunderschön arrangiert, mit Geduld und Liebe zu ihrer Arbeit, die ich niemals machen könnte.

      Kurze Zeit später fuhr Timo seine letzte Strecke nach Coburg zur Einäscherung und kam in einer weißen Urne verpackt wieder nach Erlangen. Dort bei den Baumüllers wurde sie in einem wunderschön geschmückten kleinen Raum abgestellt und wir konnten uns leise und so lang wir wollten, uns nochmal von ihm verabschieden. Die Urne hatte ungefähr das Geburtsgewicht von Timo: 3210 g.

      Am 22.11.13 kam der Tag, wo ich Timo abgeben musste, endgültig. Ich konnte ja kaum schlafen und ich wollte doch mit Timo noch soviel reden, ihm sagen, wie ich ihn liebe, was er für ein wunderbarer Sohn war. So entstand die Idee, dass ich ihm meine letzten Worte und Gedanken an seiner Beerdigung vorlese und schrieb zugleich nachts am PC meine Zeilen an ihn.

      Hier an dieser Stelle muss ich vermerken, dass ich immer wieder, Monate vor Timos Tod sogenannte Tagträume hatte und es auch einmal richtig träumte, immer den selben Traum: Ich stand in einer großen Kirche, viele Menschen versammelt, bis zum letzten Platz ausgefüllt, vorne am Rednerpult und las etwas. Ich sah eine Urne, es war eine Beerdigung, doch ich wusste nicht, von wem. Hätte ich doch nur einmal die vordersten Reihen näher betrachtet, dann hätte ich gesehen,dass du Timo nicht auf der Bank gesessen bist. Ich habe als Mutter dich verabschiedet in der Kirche in meinen Träumen. Das ist schrecklich, im Nachhinein zu erfahren, dass ich Signale von der geistigen Welt bekam und diese einfach nicht umsetzen konnte, wie das Nachtgedicht, Stunden vor deinem Tod. Hätte ich dich doch noch angerufen, hätte ich … hätte ich …

      Auch der 6. August 2013 war für mich ein schlimmer Tag. Ich erhielt einen Anruf von einem Freund von Timo, dass er im Krankenhaus sei. Sie campten am Brombachsee, viele Freunde, und Timo wurde von einer Wespe gestochen. Eine Schulfreundin, Clarissa, bemerkte, dass Timo sein Gesicht verzehrte und sogar weinte vor Schmerz und fragte nach. Sie reagierte sofort und rief den Krankenwagen an, Timo hatte einen anaphylaktischen Schock, der tödlich enden konnte. Doch er wurde gerettet und freute sich noch im Krankenhaus darüber, dass er im Trockenen lag, weil gerade an diesem Tag ein großer Sturm aufkam und die Zelte zerstörte. Auch habe ich gehört, dass sich fesche Schwestern dort um ihn gekümmert haben. Ja, das war mein Timo, ein Genießer und lebensbejahender junger Mensch.

      Doch seit diesem Tag hatte ich Angst um Timo, nervte ihn, dass er sich melden soll, wenn er wegfährt und sicher dort ankam. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, denn das war die Jahre zuvor nicht. Ich spürte, dass was „im Busch“ ist, dass ich Timo verlieren werde und schob es dem bevorstehenden langen Urlaub auf Neuseeland zu. 1,5 Jahre ohne Timo, weit weg … welche Mutter ist schon damit freiwillig einverstanden, sein Kind so weit weg zu wissen. Vielleicht ist es dieser anstehende Verlustschmerz, wenn ein Kind auf Reisen geht, eine lange Zeit … doch es wurde eine Reise ohne Wiederkehr … eine Reise in die geistige Welt.

      Am 22.11.13 um 13.30 Uhr fuhren wir zum Friedhof, stiegen aus und gingen langsam in Richtung Halle. Meine Beine wurden immer schwerer, das Atmen fiel schwer, mir war schwindelig. Immer wieder sagte ich mir, dass es doch nur ein Traum ist, aus dem ich bald erwachen werde …

      Viele Menschen waren da, sie passten alle nicht in die Halle, deswegen wurde die Tür weit geöffnet und auch dort ein Bild von Timo aufgestellt. Robin links und Fabian rechts von mir, mich und uns stützend, gingen wir hinein. Die helle Urne, umrahmt mit einer liegenden Acht aus Blumen gestaltet, rechts brannte eine Kerze. Daneben nochmal ein Bild von Timo.

      Die Rede des Pfarrers, mit dem ich einige Tage zuvor stundenlanges Gespräch hatte, der ihn konfirmierte, ihn auch kannte als Schüler im Religionsunterricht, war sehr lang. Timo hat in vielen Menschen einen tiefen Eindruck hinterlassen, so wohl auch beim Pfarrer. Ich bat ihn, mich an das Pult zu holen, damit ich meine letzten Worte als Mutter an meinen erstgeborenen Sohn Timo richten darf. Es war so weit, ich zitterte, hatte kaum noch Kraft aufzustehen und dennoch schaffte ich es, mich nach vorne zu bewegen, meinen Zettel aus