Der Ruf aus Kanada. Rudolf Obrea

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Название Der Ruf aus Kanada
Автор произведения Rudolf Obrea
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783847620402



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auf dem Sofa Platz nahmen. Abgesehen von dem Altersunterschied bemerkte Sven eine unterschiedliche Erwartungshaltung der beiden Damen. Frau Weber, die Jüngere, schien in ihm einen interessanten Mann entdeckt zu haben, dessen Aufmerksamkeit sie mit der geraden Haltung ihres schlanken, weiblich ausgeprägten Körpers auf sich zu ziehen suchte. Sie beobachtete ihn mit ihren durch das Lächeln in die Breite gezogenen, dunklen Augen, die sie zusammen mit ihrem wohlgeformten , oval-runden Gesicht und den zu einem Bubikopf frisierten, dunklen Haaren ebenfalls sehr attraktiv erscheinen ließen. Die Mutter dagegen wirkte skeptisch neutral, mehr darauf ausgerichtet, eine unangenehme Nachricht von ihrem ehemaligen Schwiegersohn zu bekommen. Ihre rundliche, kleine Statur zeigte Bodenständigkeit, betont von einem schwarzen Rock und einer weißer Bluse, überdeckt von einer dunkelblauen Stoffjacke. Das faltige, ovale Gesicht mit kurzer Nase ließ nur bei den großen grauen Augen, die wie bei der Tochter auseinandergezogen waren, eine Gutmütigkeit erkennen, die sie nicht ganz verbergen konnte.

      Sven entschied sich, zunächst das Stichwort, dass ihm Frau Weber beim Eintreten gegeben hatte, aufzugreifen und erklärte: „Den Kanadier können sie noch vergessen. Ich binerst drei Monate dort gewesen und arbeite dort im Auftrag einer deutschen Firma, für die ich eine Baustelle im Norden der Provinz Ontario beaufsichtigen soll. Für die Vorbereitungen und die Besprechungen mit den einheimischen Unterlieferanten sowie unserem kanadischen Firmenvertreter wohne ich zunächst in Toronto und lernte in diesem Zusammenhang auch ihren Mann, Herrn Weber, kennen. Da ich bis vor einem halben Jahr noch bei einer Hamburger Exportfirma beschäftigt war und nur für Kurzaufenthalte ins Ausland geschickt wurde, kann ich nur die Definition als Bergedorfer für mich in Anspruch nehmen und besten- falls auf das Gelingen meines komplett neuen Anfangs in Kanada hoffen.“

      Mit dieser kurzen Schilderung seiner augenblicklichen Situation gelang ihm, das Bild des Exoten von sich abzuschütteln und die anfänglichen Bedenken von Frau Niehaus weitgehend zu zerstreuen. Sie besann sich auf die Pflichten einer Gastgeberin, stand auf und sagte: „Ich mache uns jetzt einen Kaffee, bei dem wir besser plaudern können.“ Als sie gegangen war, sah ihn Frau Weber intensiv an und wollte wissen.: „Was sagt denn ihre Familie zu ihrer Veränderung?“ „Ich habe nur meine Eltern und einen jüngeren Bruder, der noch bei ihnen in Bergedorf wohnt. Selbst meine Mutter erkennt, dass ich langsam flügge werde und mein Bruder hält mich für einen Außenseiter, mit dem er nichts anfangen kann.“

      Nachdenklich antwortete sie: „Auch ich bin ein Außenseiter, zwar nicht wie sie mit ihren Zukunftsplänen sondern mit meiner Vergangenheit. Mein Mann hat ihnen sicherlich von unserem Aufenthalt in Teheran erzählt. Wir hatten uns während der zehn Jahre, die wir dort wohnten, sehr gut eingelebt und uns einen festen Freundeskreis, besonders bei den Ausländern in unserer Umgebung, geschaffen. Nach der Revolution verlor mein Mann einen Großteil seiner Kunden. Wir mussten alles aufgeben und nach Deutschland zurückkehren. Hier glaubten wir als Deutsche an einen schnellen Neubeginn. Er misslang, weil wir die notwendige Neuanpassung, besonders bei den kleinen Dingen des Alltags, nicht beachteten und deshalb unser Benehmen nicht mehr den hiesigen Gepflogenheiten entsprach. Unsere neuen Nachbarn in Wedel beobachteten uns neugierig, entschuldigten sich aber bereits größtenteils mit verschiedenen Terminschwierigkeiten, als wir sie, wie in Teheran üblich, zum näheren Kennenlernen auf ein Bier einluden. Diejenigen, die kamen, interessierten sich anfangs für unsere ausländischen Erlebnisse, verglichen diese mit den Momentaufnahmen bei ihren Urlaubsreisen und verabschiedeten sich mit dem Eindruck, dass ihnen ihre Reiseführer ein besseres Bild von dem jeweilig besuchten Land vermittelten. Wir blieben ein fremder Störfaktor, den sie duldeten und mit der, uns verloren gegangenen norddeutschen Zurückhaltung, auf Distanz hielten. Mein Mann fand schnell neue Kontakte bei seinen Berufskollegen in seiner Bonner Firma und meine beiden Töchter bleiben im Internat, das zu ihrer zweiten Heimat geworden ist. Übrig bleibt der eingangs erwähnte Außenseiter, der hier vor ihnen sitzt.“

      Sven, der nicht gleich mit seinem Stolz auf die gerade gewonnene Freiheit des Außenseiters eine passende Antwort auf diese andersartige negative Definition fand, wurde von der Mutter erlöst, die in diesem Moment mit dem Kaffee aus der Küche zurückkam und besorgt fragte: „Hat Sabine ihnen eine ihrer familiären Schauergeschichten erzählt?“ „Nein, das nicht! Wir stellten lediglich fest, dass wir beide Außenseiter sind und diese Rolle unterschiedlich definieren.“ Sie verstand nicht gleich, was er meinte, erkannte aber an seinem Blick auf ihre Tochter, dass die beiden sich auf geheime Weise attraktiv und anziehend empfanden. Sie schenkte den Kaffee ein, servierte dazu Butterkuchen und gewann damit Svens Zuneigung mit dessen Leibspeise. Er revanchierte sich, indem er von seinen neuen schwäbischen Freunden berichtete und mit bewusster Überzeichnung der bekannten schwäbischen Eigenschaften seine Zuhörerinnen zum Lachen brachte. Frau Weber kommentierte schließlich den Redeeifer ihres Besuchers und sagte treffend:

      „Sie entwickeln sich zu einem bunten Falter, der ohne Argwohn überall herumflattert. Jeder schaut ihm gerne zu und bleibt bewundernd stehen. Der Falter beobachtet den Zuschauer scheinbar ungerührt, fliegt aber geschickt davon, sobald er den meist tödlichen Griff nach ihm bemerkt.“

      „Sie bringen einen schönen Vergleich.“ entgegnete Sven anerkennend. Mir fehlt aber die Erwähnung der Leichtigkeit, mit der der Falter scheinbar ziellos durch die Luft schwebt. Ähnlich treibt mich die Neugier zu meinem Wanderleben, um dabei andere Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens kennen zu lernen und zwischen diesen diejenige auszuwählen, die mir am besten gefällt.“ Frau Weber ließ an ihrer auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit erkennen, dass sie der bunte Anblick des Falters besonders faszinierte, weil seine Suche nach Veränderung sicherlich imstande wäre, vielleicht auch sie wieder von ihrem momentanen Trübsinn zu befreien. Beide hätten sich jetzt ohne die Mutter noch mehr zu sagen gehabt. Sven aber blieb zurückhaltend, um die sich wider Erwarten auftuende Zuneigung bei der ersten Begegnung nicht gleich wieder zu gefährden. Er stand deshalb auf, entschuldigte sich für sein langes Bleiben und verabschiedete sich mit einem herzlichen Dankeschön für die unverhofft gewährte Gastfreundschaft. Beim Gang zur Wohnungstür legte er schnell noch den Umschlag von Herrn Weber heimlich auf den Garderobenschrank und lud seine neue Bekannte zu einen Segeltörn auf der Alster ein. Der Vorschlag wurde gern angenommen.

      Der Besuch der beiden Frauen hatte einen unerwarteten Verlauf genommen. Bei der Heimfahrt dachte Sven nicht mehr daran, seine alten Freunde auf ein Bier einzuladen, sondern stieg am Dammtorbahnhof aus, um bei einem Spaziergang durch die Anlagen entlang der Außenalster seine von Frau Weber verursachte Erregung und seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Sie war eine stolze, ansehnliche Frau, die ihn nicht nur wegen ihrer äußerlichen Erscheinung anzog. Sie beeindruckte ihn auch mit ihrer Persönlichkeit, die von ihrem Leben im Ausland geprägt war. Sicherlich würde sie sich gegenüber seinen Zukunftsplänen aufgeschlossen zeigen, wenn es ihm gelänge, sie von ihrer momentanen Bedrückung zu befreien und ihre Vitalität mit seiner Begeisterung für neue, spontane Erlebnisse wieder zu beleben. Erfüllt von diesen Vorstellungen fuhr er nach Bergedorf zurück, überraschte seine Familie mit unerwartet guter Laune und freute sich auf die verabredete Segelpartie.

      Sonne und Wind versprachen ein gutes Wochenende und blieben Sven wohlgesonnen, als er voller Erwartung auf das Wiedersehen mit Frau Weber in die Innenstadt von Hamburg fuhr, am Hauptbahnhof ausstieg und zum Bootsverleih von „Captain Prüsse“an der Außenalster gegenüber dem Hotel Atlantic ging. Von seiner Unruhe getrieben, kam er zu früh und fand noch genügend Zeit, den Helfer, der gerade am Steg ein paar Boote klarmachte, zu begrüßen. „Morgen Paul! Kennst du mich noch?“ Der so angesprochene hob den Kopf, ließ unter dem Schirm seiner Mütze einen prüfenden, staunenden Blick erkennen und antwortete trocken: „ Morgen Sven! Nett, dich auch mal wieder zu sehen. Kommen deine Kumpels auch noch? Hoffentlich hast du das Segeln, das wir dir beigebracht haben, noch nicht verlernt.“ Eingedenk seiner letzten Tour auf dem Ontariosee und gleichzeitig beruhigt, daß er auch hier noch erkannt wurde, entgegnete er: „Meine Kumpels kommen heute nicht. An ihrer Stelle erwarte ich eine Begleiterin für eine kleine Spazierfahrt.“ „Dafür empfehle ich dir die H-Jolle da drüben. Sie ist besser geeignet als die Piraten und unsere Rennziege, mit der ihr früher den Surfern den Wind weggenommen habt, damit sie kenterten.“ Sven musste lachen, wollte aber nicht an die alten Streiche erinnert werden und stimmte deshalb Pauls Bootswahl zu.

      Als er die Leinen zurechtlegte, sah er, dass Frau Weber angekommen war und sich