Der Geruch von Heimat. Mona Checinski

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Название Der Geruch von Heimat
Автор произведения Mona Checinski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847658276



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Lebensgefühl erwachsen konnte.

      Heute, rückblickend betrachtet, jedoch die beste Entscheidung. Mein Herz und vor allem meine Seele blühten auf – auch wenn ich nach kurzer Zeit für 1 ½ Jahre Kunde des Job-Centers wurde. Eine sehr einprägsame Zeit. Harz IV Kunde zu sein stand der Unterdrückung und Kontrolle meiner italienischen Familie in nichts nach.

      Mich wieder zu finden, als Mensch und vor allem als Frau, nahm gut zehn Jahre in Anspruch. Eine Zeit im Freiflug. Es gab keinen familiären Heimathafen mütterlicherseits und auch väterlicherseits nicht. Beide waren regelrecht nicht existent. Das Warum erkläre ich später ausführlicher. Es gab keinen Heimatort zu dem ich hätte zurückziehen können oder wollen. Es gab nach der Scheidung auch keinen Mädchennamen, den man hätte wieder annehmen können. Denn Nomen est Omen und ich wollte den Namen meines Stief- und später Adoptiv-Vaters keinesfalls wieder annehmen. Dieser nämlich galt leider nach meiner Adoption im zarten Alter von 10 Jahren gesetzlich als so genannter „Mädchenname“.

      Was blieb also? Wer bin ich? Wo ist Heimat?

      Ich wünsche eine bewegte und vergnügliche Lesezeit mit meinen Erinnerungen, einer Mischung aus interkulturellen Geschichten, humoristische Lebenseinlagen, kritischen und persönlichen Ansichten. Sie nehmen teil an der Zeitgeschichte in Deutschland zwischen 1966 bis heute; geschrieben von einem Kriegsenkel, um den von Frau Susanne Bode(*1) geprägten Begriff zu nutzen. Es ist meine Reise auf der Suche nach dem Geruch von Heimat.

      (*1) Autorin u.a. von „Kriegskinder“ sowie „Kriegsenkel“, www.sabine-bode-koeln.de

      Manchmal ist ein Anfang ohne Zauber

      Distanziert betrachtet

      (0-6 Jahre – 1966 - 1973)

      Man schreibt das Jahr 1966. Eine deutsche Frau wird schwanger von einem spanischen Gastarbeiter. Das, so ist man geneigt zu glauben, ergibt wohl nichts, was so schrecklich interessant wäre, um darüber zu schreiben. Auf den ersten Blick sicher nicht, denn so oder so ähnlich ist es seinerzeit vielen Frauen ergangen. Allerweltsgeschehen sozusagen.

      Das Kind erblickt das Licht der Welt. Erster Schwierigkeitsgrad für den neuen Erdenbürger im beginnenden Spiel des Lebens: Man schreibt nicht das Jahr 1980 oder gar 2013, nein, es sind die wilden aber immer noch schrecklich verklemmten 60er Jahre im Nachkriegsdeutschland des vergangenen Jahrhunderts.

      Zu jener Zeit war es eben nicht normal, sich mit einem Ausländer einzulassen und gar noch von diesem ein Kind zu bekommen. Und dann noch einer aus ärmlichen Verhältnissen. Die Gastarbeiter eben. Die kamen in jenen Jahren zuhauf aus den südlichen Armenhäusern Europas nach Deutschland. Dem nämlich fehlte es nach verlorenem Krieg auch an Arbeitskräften. Wieso „auch“? Ja nun, es fehlte dem armen Deutschland auch an sozialer Kompetenz. Ausländer zwar als Arbeitskräfte willkommen zu heißen, damit der Wirtschaftsaufschwung auch bezwungen werden konnte, sie ansonsten als Menschen zweiter Klasse einzustufen, das lässt meines Erachtens auf einen gewissen Mangel an sozialer Kompetenz schon schließen. Vielleicht war es auch nur Unwissenheit oder Unsicherheit?

      Der zweite Schwierigkeitsgrad, der sich nun dem neuen Erdenbürger entgegenstellte, war der Umstand, dass besagte deutsche Frau nicht mit dem Ausländervater verheiratet war und auch nicht beabsichtigte, die Beziehung weiterzuführen. Also, ein uneheliches Kind.

      Diesen seinerzeit in Massen auftretenden „Problemen“ wurde man in Deutschland aber sehr gut Herr – wie man gewissen Problemen schon knapp 25 Jahr zuvor Herr wurde: Internierung. Man steckte uneheliche Kinder (sehr gehäuft von Ausländervätern) einfach in eigens dafür eingerichtete Heime, den sogenannten Säuglingsheimen. Dort waren sie erst mal weg vom Fenster. Der eingangs erwähnten deutschen Frau erging es ebenso. Das Jugendamt, nun Vormundschaft innehabend, legte ihr mehr als Nahe, ihr sechs Wochen altes Baby in ein solches Heim zu geben. Im Grunde gab es keine andere Möglichkeit. Damals waren Erziehungszeit oder Ähnliches noch nicht en vogue. Und leider gab es in ihrem Falle auch keine eigene Familienstruktur von der sie in dieser Situation aufgefangen wurde. In einem solchen Heim, so meinten Staatsbedienstete, wäre das Kind „gut“ versorgt und Frau konnte in Ruhe weiterhin arbeiten gehen. Allerdings hatte Frau damit auch keinen Einfluß mehr auf ihr Kind. Alle Macht über Gedeih und Verderb desselben oblag für die kommenden Jahre nun einzig und alleine dem Staate.

      Nach gut drei Jahren wurde es der Mutter gestattet, ihr Kind wieder in eigene Obhut nehmen zu können oder es in weiterführenden Kinderheimen aufzubewahren. Die Frau entschied sich für das Kind. So bekam sie also ihr Mädchen nach drei Jahren Heimaufenthalt wieder zurück.

      Mancher wird schon Zeilen zuvor nach dem Vater gefragt haben. Zu Recht. Hier lag es an der Mutter, dass aus der klassischen Vater-Mutter-Kind Konstellation nichts wurde. Der Vater sah sich zwar gemäß seiner südländischen Erziehung in der Pflicht, die geschwängerte Frau auch zu heiraten. Allerdings war die Mutter nicht gewillt, sich auf eine fremde Kultur dauerhaft einzulassen. Vermutlich spielte auch seine „niedere“ Herkunft, also Gastarbeiterstand, eine nicht zu verachtende Rolle. Heute wäre die Entscheidung gegen den Kindsvater und für ein alleiniges Erziehen des Kindes kein allzu großes Problem mehr. Säuglingsheime wie zu jener Zeit sind zum großen Glück abgeschafft. Eine alleinstehende Mutter kann heute zumindest die ersten Lebensjahre ihr Kind selbst erziehen und ihm vor allem die Zuwendung geben, die ein Kind benötigt.

      Leider ist heute für viele Frauen das Mutterdasein lange schon nicht mehr an erster Stelle. Geld, Karriere, Emanzipation und ein von vielen Seiten fehlgeleitetes Frauenbild haben das Dasein als Mutter in ein ungünstiges Licht gerückt. Nicht nur die Gesellschaft, auch der Staat fördert diese bedenkenswerte Entwicklung. Kein Wunder, daß aus Kindergärten Kindertagesstätten werden und neuerdings sogar stolz auf 24h-Kitas verwiesen wird. Statt vorwärts machen wir wieder rückwärts. Nestwärme, Familienbande, Werte…nix da!

      Nun also zurück in die Zeit der 60er Jahre. Die deutsche Frau bekam ihr Kind wieder, in eigene Verantwortung sozusagen. Sie zog von Westfalen nach Baden-Württemberg und erhielt dort auch gleich eine seinerzeit gut bezahlte Stellung im Schreibbüro des Verwaltungsapparates eines großen schwäbischen Autoherstellers in Untertürkheim. Um ihrer Arbeit wie gewohnt nachgehen zu können, kam das Kind zu einer Tagesmutter. Nach gut zwei Jahren Kind morgens in aller Frühe hingeschleppt und abends wieder abgeholt, zudem dem Gerede der Leute ausgesetzt, hatte die Frau es satt. „Hast du denn keinen Vater?“ bekam das Mädchen oft zu hören. Mit ihren fünf Jahren war die Kleine ob solcher Anfragen schlichtweg überfordert und die Mutter im Grunde auch. Also, ein Vater musste her. Natürlich ein potenter; sonst hätte sie ja den Gastarbeiter heiraten können.

      Und so schneite ein Schwabe mit Häusle in die kleine zweier WG. Oder besser gesagt, die beiden schneiten bei ihm ein. Denn schließlich hatte er ja ein Haus und war zudem sehr gewillt, die beiden Damen aufzunehmen, um endlich eine Familie zu gründen. Sein eigener Versuch in dieser Richtung war bislang fehlgeschlagen. Seine erste Frau starb – kinderlos – an Krebs. Geheiratet hat die Preußin den Schwaben 1972.

      Und siehe da, es wurde ruhiger mit dem Gequatsche der Leute. Auch die Mutter wurde ruhiger, schließlich war ja jetzt eine Basis geschaffen, die ihre Außenseitersituation als Alleinerziehende beendet hatte.

      Allerdings ging die Mutter weiterhin arbeiten, schließlich hatte sie eine recht passabel bezahlte Stellung. Das Mädchen wurde weiterhin untergebracht. Neue Tagseltern.

      Kurz nach der Heirat wurde die Mutter schwanger und 1973 kam ein Schwesterchen auf die Welt. Das war doch wenigstens ein kleiner Glücksfall für das Mädchen, denn die Mutter entschied sich nun, zuhause zu bleiben und die Arbeit an den Nagel zu hängen. Endlich und zum ersten mal nach über sechs Jahren erlebte das Mädchen seine Mutter so wie es sich das schon immer gewünscht hatte.

      Ruhe und vor allem menschliche Nähe kehrten ein.

      Zum Säuglingsheim

      Zustände – Erinnerung? - Folgen

      Erst in den vergangen Jahren habe ich mich aufgemacht und mich mit dem