Название | WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN |
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Автор произведения | Martin Selle |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738042795 |
Das Ziel charakterisiert eine Person auf einen Schlag: der Mörder, der gute Cop, der Psychopath, der liebende Vater, der tollkühne Draufgänger, der listige Anwalt, der schrullige Detektiv, der ungeschickte Tölpel. Indem Sie Ihrer Figur ein Ziel geben, das sie aus einer starken Motivation heraus erreichen muss, erwecken Sie eine Romanfigur zum Leben.
Ich schlage Ihnen eine hilfreiche Übung vor: Fragen Sie Menschen im Gespräch immer dann, wenn sie Ihnen von einem Vorhaben, ihrem Wunsch, einem Ziel oder einer Absicht berichten, warum sie das tun wollen. Auf diese Weise entwickeln Sie ein feines Gespür für die Zusammenhänge von Zielen und Motiven, und Sie werden erkennen, wie stark ein Motiv sein muss, um einen Menschen zum Handeln anzutreiben. Achten Sie darauf, wo die Toleranzschwelle liegt, ab der eine Person sagt: ›Jetzt reicht es!‹, ›Ab hier reagiere ich.‹, ›Das lass ich nicht länger auf mir sitzen.‹, ›Das geht zu weit.‹ Zu Beginn Ihrer Geschichte sollte irgendetwas Ihren Helden motivieren, sein Ziel zu verfolgen. Jede Figur besitzt einen sogenannten Handlungsbogen:
1: Der Held erhält einen Beweggrund, ein Motiv, sein Ziel zu formulieren (der Familienvater schwört dem Mörder seiner Frau und Kinder Rache).
2: Der Held definiert aufgrund seines Motivs sein Ziel (Chester hat im Kasino Millionen verloren, er überfällt eine Bank, um nicht am Hungertuch nagen zu müssen).
3: Der Held handelt, um sein Ziel zu erreichen (Rocky Balboa trainiert wie besessen, um nach fünfzehn Runden im Ring noch auf den Beinen zu stehen).
4: Durch sein Handeln kommt es zum Konflikt mit dem Gegenspieler (der Mord ruft den Detektiv auf den Plan, um das Verbrechen aufzuklären).
Achten Sie darauf, dass keines dieser Kettenglieder fehlt, ansonsten ist sich der Leser unklar darüber, mit wem er sich verbünden soll und ob sich das überhaupt lohnt. Das Handeln verliert dann die Zielrichtung. Wenn der Leser nicht eindeutig weiß, warum Ihr Held tut, was er tut, dann verliert er schnell das Interesse an der Geschichte. Motivation ist das Dynamit, das Ihre Geschichte zu Beginn durch eine ›Explosion‹ in Fahrt bringt, den Held zum Handeln zwingt.
Sie können Motivation körperlich zum Ausdruck bringen (der Mord zwingt den Detektiv zur Aufklärung), im Dialog (eine Beleidigung oder die Mitteilung, dass jemand ermordet wurde) oder durch eine Situation zeigen (jemand liest die Stellenangebote in der Zeitung, während ihm der Postbote die nächste offene Rechnung ins Haus bringt).
Sehen wir uns ein Beispiel an:
Heute ist die Jacht explodiert.
Zum Glück waren wir gerade an Land und haben ein Picknick gemacht, sonst wären wir wohl alle mit in die Luft geflogen. So hat es nur Prinz Wesley erwischt.
Eigentlich war er überhaupt kein Prinz, sondern ein Riesenarschloch. Entschuldigung, ich weiß ja, dass man über Tote nichts Schlechtes sagen soll, aber er ist mir nun mal fürchterlich auf den Sack gegangen. …
… Ach ja: Ich habe vor, alles, was nach unserem Schiffbruch passiert, genauestens aufzuschreiben und es später als Basis für einen ›wahren‹ Abenteuerroman zu verwenden. So betrachtet wäre es natürlich von Vorteil, wenn wir nicht allzu schnell gerettet würden. Nur wenn wir länger hier auf der Insel bleiben, besteht die Hoffnung, dass sich ein paar dramatische Szenen abspielen. Eigentlich habe ich mein Notizbuch ja nur deshalb mit an Land gebracht, um an einer Kurzgeschichte zu arbeiten. Ich will nämlich gerne den Schreibwettbewerb auf dem College gewinnen. Daran sieht man, was für ein Optimist ich doch bin! Wer weiß, ob wir jemals wieder von dieser Insel kommen. …
Insider-Tipp: Sie sollten Motivation immer zeigen, nie erklären oder nur plump mitteilen und aussprechen. Am besten eignen sich körperliche Handlungen, um einen Helden zum Handeln zu zwingen. Eine Flucht zwingt zur Verfolgung, eine Schandtat zwingt zur Rache. Verzichten Sie hingegen auf Rückblenden, um die Motivation zu zeigen, das stoppt in den meisten Fällen die Handlung, weil der Leser dann das Motiv, den Handlungsgrund, nicht in der Gegenwart sucht, sondern in der Vergangenheit. Die Motivation Ihres Helden sollte nach Möglichkeit dem Jetzt entspringen. Wie machen Sie das? Ganz einfach: Bringen Sie Ihren Helden zu Beginn der Geschichte gleich in eine bedrängende Notlage, in eine üble Krisensituation. In solchen Momenten sind Menschen besonders offen und bereit, Dinge zu tun, die sie sonst vielleicht niemals tun würden. Und schon nimmt die Geschichte ihren Lauf.
Auch dafür ein Beispiel:
… Der muskelbepackte Gorilla schob die .38er über den Tisch. »Das Ding reißt ganz schöne Löcher in einen Brustkorb.«
Simon Cody saß David Lakota am Tisch gegenüber und betrachtete schweigend die Pistole. Er roch das frische Öl des Mechanismus und einen Hauch von schwefeligen Rückständen im Lauf.
»Wie hast du die Fingerabdrücke beseitigt, Simon? Einfach weggewischt? Handschuhe? Klingt doch alles zu einfach, oder?«
»Ihr habt den Falschen geschnappt, Dave.«
»Ja, klar. Wir Idioten von Security 1 schnappen immer die Falschen.«
»Diesmal …« Weiter kam Simon nicht mehr.
Lakota zog seine Beretta und drückte einfach ab.
Simon schrie auf. Die Kugel durchschlug seinen linken Oberschenkel, Blut spritzte, als er zu Boden fiel und sich krümmte. Er hörte, wie Lakota den Hahn erneut spannte.
»Spuck es einfach aus, Simon. Dann haben wir es endlich hinter uns. So oder so: Du verlässt diesen Raum in einem Leichensack.«
»Verdammtes Arschloch«, krächzte Simon. Das hätte Lakota nicht tun dürfen, nicht das.
(Student eines Tatort Schreibtisch-Autorenseminars von Martin Selle)
Natürlich muss das Ziel, das Sie Ihrer Figur mit auf den Weg geben, zur Handlung und zum Geschehen Ihrer Geschichte passen. Die Art und Weise, wie Ihre Figur das grundlegende Ziel, das Hauptziel erreichen will, ist ja die Story, die Sie erzählen. Wenn Ihr Held also die Gunst einer Frau gewinnen möchte, dann konzentriert sich all sein Handeln, das Sie beschreiben und veranschaulichen, darauf und nicht etwa auf sein Hobby, das Sammeln von Briefmarken. Das klingt logisch, stellt jedoch oft eine Fehlerquelle dar. Nur allzu leicht driftet man von der eigentlichen Geschichte ab in Nebensächlichkeiten.
Auch darauf sollten Sie achten: Lassen Sie Ihren Leser nicht einfach wissen, dass eine Figur ein Ziel erreichen wird, sagen wir, einen Mord begehen wird. Diese plumpe Mitteilung des Zieles durch fantasieloses Behaupten nimmt dem Leser die Chance, kreativ mitzudenken, sich Ziele selbst auszumalen. Besser ist es, Sie zeigen die Figur etwa dabei, wie sie eine Pistole – vermutlich die Tatwaffe – akribisch reinigt und auf perfekte Funktion kontrolliert. Sorgen Sie dafür, dass der Leser über das Ziel Ihres Helden spekulieren kann, ehe Sie ihm die Absicht knallhart vor Augen führen. Die Profis unter den Schriftstellern lassen das Ziel meistens anhand von kleineren Aktionen erahnen. Sie beschreiben das Wesen einer Figur somit Stück für Stück. So könnte zum Beispiel, während unser Mörder die Einzelteile seiner Waffe reinigt, ein Zeitungsbericht mit folgender Schlagzeile auf dem Tisch liegen: ›Serienmörder weiter auf freiem Fuß!‹ Auf diese Weise regen Sie den Leser zum aktiven Mitdenken an, ziehen ihn so in die Geschichte hinein.
Eine passable Möglichkeit, das wahre Ziel einer Person zu vermitteln, sind deren geheime Gedanken. Haben Sie sich nicht schon selbst einmal dabei ertappt, dass Sie etwas ganz anderes tun oder nach außen hin sagen als das, was Sie sich innerlich tatsächlich denken? Vielleicht in dieser Situation: Sie sitzen im Restaurant und bezahlen. Der Kellner fragt höflich, ob es gemundet hat.