Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

Читать онлайн.
Название Der Weg nach Afrika - Teil4
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783753189550



Скачать книгу

zur Bank eine hübsche, junge Frau gewesen war, der er nachher, weil sie die Explosion überlebte, das rechte Bein abschneiden musste. Da sagten beide Patres aus einem Munde: "das ist ja furchtbar.” Er sprach von den vielen Operationen, als sich keiner schonte, weil die Not der Meister war, die weder ein Nörgeln noch ein Zaudern erlaubte, die Ärzte und Schwestern zu einem Team zusammenschweisste.

      Als er dann vom Stromausfall sprach, nachdem der letzte Verletzte aus dem 'theatre' gefahren wurde, weil das Hauptkabel beschädigt war, da fiel es den Patres schwer, ein Wort zu sagen, weil sie an ein Wunder da nicht glauben wollten. Das Mittagsglöckchen läutete zum Essen, und die Patres luden Dr. Ferdinand zum Mittagessen ein. Ein Pater sprach das Gebet vor dem Essen, in dem er der Toten und Verletzten, ihrer Familien und der Waisenkinder gedachte und den lieben Gott mit ganz einfachen Worten um seine verspätete Barmherzigkeit bat. Zu lang wollte er sein Gebet nicht machen, und so blieben die Obdachlosen und Hungernden diesmal unerwähnt. Nach dem "Amen" schlug jeder der Patres sein Kreuz auf die Brust. Im Einnehmen der Stühle wünschten sie einander und Dr. Ferdinand einen guten Appetit. Mit dem schärferen Messer war das zarte Schweinekotelett mühelos zu schneiden. Die gedämpften Kartoffeln hatten ihre Form behalten, sie waren weder wässrig noch versalzen. Der Salat war köstlich zubereitet, und der Zitronensaft war hausgemacht. Da liess sich gut essen unter dem verglasten Foto der freundlich auf den Tisch blickenden Muttergottes an der Wand, und Dr. Ferdinand genoss das Essen, das sich von der Hospitalkost so sehr unterschied. Die Patres wussten es offenbar besser, als sie sagten, dass das Ende des Apartheidregimes greifbar nahe sei, und die Menschen voll hinter der Swapo ständen. Dr. Ferdinand wollte es gerne glauben, doch nannte er den schwarzen Freitag einen barbarischen Schlag gegen die Menschen, der einen tiefen Krater auf dem letzten Wegstück gerissen hatte.

      "Wer konnte dahinter stecken?", fragte er über den Tisch. Die Antwort kam spontan: "die Swapo tut so etwas nicht." Auch die Patres hatten es erfahren, dass da wenige Minuten vor der Explosion schwarze Männer eine Kiste in der Bank abgestellt hätten, was im Gedränge der Menschen unbeachtet blieb. Sie sagten, dass es schwarze Männer nicht nur bei der Swapo, sondern auch bei der Koevoet (Brecheisen) gäbe, die weiterhin ihre nächtlichen Patrouillen mit den 'Casspirs' fuhren und hin und wieder Männer aus den Dörfern mitnähmen. Sie fügten hinzu, dass es schwer sein würde, die Schuldigen ausfindig zu machen. Nach dem kurzen Dankgebet zeigten die Patres das vergrösserte, neu ausbetonierte und blau gestrichene Schwimmbecken, das neben dem Patreshaus hinter hohen Mauern geschützt lag, zu dem sie durch eine schmale Aussentür gingen, die zu verschliessen war. Hinter der hohen Grenzmauer hatte sich das breite, gebogene Flussbett des Cuvelai zu einem See gestaut, über dem das grelle Sonnenlicht gleisste. Sie zeigten den Garten, in dem das Gemüse stand mit den grossen Salat- und Kohlköpfen, die Stangenbohnen, die die Zweimeterhöhengrenze überstiegen, wo der Boden dunkelerdig war und täglich aus den verlegten Leitungsrohren bewässert wurde. Die Gänse, bei denen es Junge gab, stolzierten durch ihren kleinen Garten an zwei Schildkröten vorbei. Sie hatten ihren kleinen Teich für sich, in den sie die Köpfe tauchten und nach dem Auftauchen mit den Schwingen hin und herschlugen. Daneben stand das grosse Vogelhaus mit den afrikanisch bunten Vögeln, die da munter dazwischenzwitscherten. Dann kam der Hühnerstall mit den Eiergelegen und den Durchgängen zu den zwei grossen, hoch eingezäunten Aussengehegen, getrennt nach jung und alt, wo einigen Hähnen der Kamm schwoll, wenn es die Hennen nicht wollten, oder das Jungvolk ihnen lästig wurde. Schliesslich machten sie den zwei Schweineställen die Aufwartung, von denen der eine durch halbhohe Trennmauern in Abteilungen für die Säue, die tragend waren und jene, die geworfen hatten, unterteilt waren, wo die Frischlinge mit der rosanen Haut vor den Zitzen der vollen Milchleisten lagen und an ihnen sogen, dabei mit den Vorderpfötchen gegen das Gesäuge der Mutter traten, um da noch mehr herauszusaugen. In den beiden letzten Abteilungen waren die Eber, erst der jüngere, der erregt grunzend und unruhig mit den Füssen in seiner Stallung auf der Stelle trat, weil er es kürzlich zum Vater brachte, und schliesslich der Stammeber, ein Riesenkerl, der da ausgestreckt lag, weil er das Ruhealter erreicht und als Vater genug Gutes geleistet hat. Er hatte ausgedient. Die Patres sprachen ihm weitere Vaterschaften ab und den nächsten Schlachttermin zu, weil es der Sohn beim Besteigen der Säue nicht weniger leidenschaftlich als der Vater machte und dabei gute Resultate erzielte. Im anderen, dem Kommunenstall, wurden die Ein- bis Vierjährigen gehalten, die durch grössere Durchgänge zum Schweinehof ausliefen und für den regelmässigen Fleischvorrat sorgten. Für den Schlachttermin hielten die Patres einen Revolver bereit, den sie, wenn es soweit war, eigenhändig dem Schwein ins Genick drückten und ihm den Gnadenschuss von hinten gaben. Sie sprachen aus Erfahrung, dass bei diesem Schuss, bei dem alles sehr schnell ginge, das Schwein erst gar nicht zu leiden hätte. Die Ställe waren von hervorragender Sauberkeit, dass man eigentlich nicht von einem Schweinestall sprechen sollte. Die Schweine der Kommune wurden täglich abgespritzt, wie ihre Stallung auch. Die Schweine bekamen eine hochwertiges, vitaminreiches Futter, wozu gestampfte Blätter vom Feigenkaktus aus dem davorliegenden Kaktusgarten als Zwischenspeise kamen, was ihnen dem wohligen Grunzen nach zu schmecken schien.

      Hier war das Biotop in Ordnung, ein Mikrokosmos war auf der Mission im unheilvollen Makrokosmos heil versteckt. Es war die Leistung der Patres und der fleissigen Nonnen, die kein Aufheben davon machten, was aber anzuerkennen war. Ein Stück Frieden lag in dieser Mission eingezäunt im Durcheinander des Krieges. Dr. Ferdinand verabschiedete sich, und die Patres begleiteten ihn zum Auto. Sie gaben ihm die Worte mit: "Gott wird es schon recht machen", und "kommen Sie bald wieder!"

      Beim Wegfahren waren einige ältere Schwestern, denen das Pensionsalter anzusehen war, auf dem Wege zur kleinen Kapelle gegenüber dem Patreshaus, um ihr Gebet zu verrichten. Ihre leicht nach vorn gebeugten Rücken konnte Dr. Ferdinand im Rückspiegel sehen, bevor er die Mission hinter dem offenen Tor verliess und in die erste Rechtskurve vor dem kleinen Hospital fuhr, um nach dreissig Metern die Linkskurve vor der kleinen Missionsschule zu nehmen. Die Räder des Frontantriebs wühlten sich in den aufgeworfenen Sand neben den eingefahrenen, breiten 'Casspir'-Spuren. Er fühlte sich nach den Stunden seines Dortseins erleichtert und erholt. Er sah, wie alte Männer mit kurzen Stöcken in der Hand mal auf der linken, mal auf der rechten Strassenseite einige magere Rinder vor sich hertrieben, alte Frauen schmale Äste von toten Bäumen brachen, das Holz zusammenlasen, mit jungen Palmblättern zusammenbanden, die Bündel auf den Kopf luden und sie davontrugen. Andere Frauen, einige mit kleinen Kindern auf ihre Rücken gebunden, und Mädchen trugen Eimer mit Wasser und Schüsseln mit Maiskolben und andern Feldfrüchten auf den Köpfen, ohne dass sie beim Gehen verrutschten. Das Auto schlingerte über die Fahrspuren nach beiden Seiten durch den lockeren Sand, und die Räder schlugen einige Male in die ausgefahrenen Schlaglöcher. Den Wasserturm mit der aufgesetzten MG-Stellung liess er nun rechts vom Wege liegen und dankte dem Schutzengel von damals, dass er ihn in eine dichte Sandwolke gesteckt und so vor dem Erschiessen gerettet hatte. Nach der langen Rechtskurve fuhr er an der Strassensiedlung angolanischer Flüchtlinge mit den erbärmlichen, zusammengestückten Hütten aus verdelltem Blech, verwittertem Sperrholz und verbogenen Pappen mit den herabhängenden bunten Tuchfetzen vor den Eingängen, was 'Angola' genannt wurde, vorbei, wo Schweine des mageren Formats die Strasse nach beiden Seiten überquerten, und Kinder mit dünnen Armen und Beinen in armseliger Bekleidung, die ganz kleinen nackt, am Strassenrand standen und weiter grosse Augen machten, als wären es dieselben, an denen er auf seiner Hinfahrt zur Mission vorbeigefahren war. Auf der geteerten Strasse bog er links ein und nach zwei Kilometern nach rechts. Da verliess er die Teerstrasse, und die Räder schlugen einige Male in tiefe Schlaglöcher, weil sie einfach nicht zu umfahren waren. An der Sperrschranke neben dem instandgesetzten Wasserturm mit der MG-Doppelstellung auf dem Dach wies er sich mit dem zerknitterten 'Permit'-Papier aus, während die Wachhabenden von den Seiten und von unten den Wagen unter die Lupe nahmen und dabei den Kofferraum bis zum Ersatzrad durchsuchten. Die Sonne senkte sich dem Horizont zu, als er die Wohnstelle erreichte. Er öffnete das Tor, fuhr das Auto auf seinen Platz, schob das Tor wieder zu und drückte den Riegel ins Schloss zurück.

      Aus: Tote ohne Begräbnis – (Sartre: ‘Morts sans sépulture’)

      Dr. Ferdinand hatte den üppigen Gemüsegarten, den Auslauf für die Gänse mit dem kleinen Teich, den beiden Schildkröten im Sand, den vollen Hühnergehegen mit den wenigen Hähnen, denen der Kamm schwoll, wenn es die Hennen