Название | Geschichte meines Lebens |
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Автор произведения | George Sand |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754183267 |
Wir werden also bei jedem Schritte still stehen und jeden Gesichtspunkt in's Auge fassen. Hier ist mir eine Wahrheit klar geworden: nämlich daß der Götzendienst der Familie falsch und gefährlich ist, aber daß Achtung und Einigkeit in der Familie nothwendig sind. Im Alterthum spielte die Familie eine große Rolle — aber dann überschätzte sie ihre Bedeutung; der Adel übertrug sich wie ein Privilegium und die Edelleute des Mittelalters hatten eine so hohe Meinung von ihrer Abstammung, daß sie die ehrwürdigen Familien der Patriarchen verachtet haben würden, wäre ihr Andenken nicht durch die Religion geheiligt. Die Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts erschütterten den Kultus des Adels, die Revolution warf ihn nieder; aber auch das fromme Ideal der Familie wurde in dieser Zerstörung fortgerissen und das Volk, das unter erblichen Bedrückungen gelitten hatte, das Volk, das die Wappen verlachte, begann sich allein für den „Sohn seiner Thaten“ zu halten. Das Volk irrte sich, denn es hat seine Ahnen so gut wie die Könige. Jede Familie hat ihren Adel, ihren Ruhm, ihre Würden: die Arbeit, den Muth, die Tugend oder die Klugheit. Jeder Mensch, der mit irgend welcher natürlichen Auszeichnung begabt ist, verdankt sie einem der Männer, die vor ihm lebten oder einer der Frauen, von denen er abstammt. Jeder Abkömmling irgend welcher Linie hätte also Vorbilder aus der Geschichte seiner Familie zu befolgen, wenn er in die Vergangenheit zurückschauen könnte; auch würde er dort Manches sehen, was er zu vermeiden hätte. Die berühmten Geschlechter geben Beispiel davon — und so wäre es keine üble Lehre für das Kind, wenn es aus dem Munde seiner Amme die alten Traditionen der Familie hörte, die einst den Unterricht des Edelmanns ausmachten.
Ihr Handwerker, die ihr anfangt Alles zu verstehen, ihr Bauern, die ihr anfangt lesen zu lernen, vergeßt doch Eure Todten nicht mehr. Uebertragt das Leben Eurer Väter auf Eure Söhne; macht Euch Titel und Wappen, wenn Ihr wollt, aber macht sie Euch Alle! Die Mauerkelle, die Hacke oder das Gartenmesser sind ebenso schöne Attribute als das Jagdhorn, der Thurm oder die Glocke. Ihr könnt Euch dies Vergnügen machen, wenn es Euch zusagt — Kaufleute und Geldwechsler machen es sich auch.
Aber Ihr seid ernster als diese Leute. — Nun wohl, so möge sich ein Jeder unter Euch bemühen, die guten Thaten und die nützlichen Arbeiten seiner Vorfahren kennen zu lernen und vor Vergessenheit zu bewahren. Und dann handelt danach, daß Eure Nachkommen Euch die nämliche Ehre erweisen. Vergessenheit ist ein geistloses Ungeheuer, das nur zu viele Generationen verschlungen hat. Wie viele Helden bleiben auf ewig unbekannt, weil sie nicht genug hinterließen, ein Grabmal zu errichten! Wie manches Licht ging der Geschichte verloren, weil der Adel die einzige Fackel und die einzige Geschichte der vergangenen Jahrhunderte zu sein begehrte! Entzieht Euch der Vergessenheit, Ihr Alle, die Ihr mehr im Sinne tragt, als die begrenzte Kenntniß der Gegenwart. Schreibt Eure Geschichte, Ihr Alle, die Ihr das Leben verstanden und Euer Herz ergründet habt — aus diesem Grunde schreibe ich auch die meinige, wie das, was ich von meinen Eltern erzählen werde.
Friedrich August, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, war der größte Wüstling seiner Zeit. Es ist gerade keine seltne Ehre, etwas von seinem Blute in den Adern zu haben, denn er hatte, wie man behauptet, einige hundert Bastarde. Von der schönen Aurora von Königsmark, der großen, gewandten Kokette, vor welcher Karl XII. zurückwich, so daß sie sich an Furchtbarkeit einer Armee überlegen glauben konnte *), hatte er einen Sohn, der ihn an Adel bei weitem übertraf, obwohl er nie mehr war, als Marschall von Frankreich. Es war Moritz von Sachsen, der Sieger von Fontenay; er war gutmüthig und tapfer wie sein Vater und nicht weniger unsittlich; aber er war geschickter in der Kriegskunst, war glücklicher in seinen Unternehmungen und wurde besser unterstützt.
*) [Diese Anekdote ist ziemlich sonderbar; Voltaire erzählt sie folgendermaßen in seiner Geschichte Karl's XII.: „August zog es vor, die harten Gesetze seines Siegers, als die seiner Unterthanen zu empfangen. Er entschloß sich, den König von Schweden um Frieden zu bitten und wollte einen geheimen Vertrag mit ihm abschließen; aber dieser Schritt mußte dem Senat verborgen bleiben, den er als einen noch unerbittlichern Feind betrachtete. Die Sache war äußerst schwierig und er übertrug sie der Gräfin Königsmark, einer Schwedin, von hoher Geburt, mit welcher er damals ein Verhältniß hatte. Es ist dieselbe, deren Bruder durch seinen unglücklichen Tod bekannt wurde und deren Sohn die französischen Heere mit so viel Erfolg und Ruhm befehligte. Diese in der ganzen Welt durch Geist und Schönheit berühmte Frau war mehr als jeder Minister dazu geeignet, eine Unterhandlung zum Ziele zu führen. Da sie überdies in den Staaten Karl's XII. begütert war und lange an seinem Hofe gelebt hatte, fehlte es ihr nicht an glaubwürdigen Vorwänden diesen Fürsten aufzusuchen. Sie ging also nach Lithauen in das Lager der Schweden und wendete sich zuerst an den Grafen Piper, der ihr leichtsinnigerweise eine Audienz bei seinem Gebieter versprach. Unter den Vollkommenheiten, welche die Gräfin zu einer der liebenswürdigsten Frauen Euro pa's machten, besaß sie das wunderbare Talent, die Sprachen verschiedener Länder, die sie nie gesehen hatte, mit einer Zartheit zu sprechen. als wenn sie dort geboren wäre. Sie unterhielt sich zuweilen auch damit, französische Verse zu machen — und man würde geglaubt haben, daß ihre Verfasserin in Versailles lebte.
Sie dichtete einige für Karl XII., welche die Geschichte nicht verschweigen darf; nachdem sie alle Götter des Heidenthums eingeführt hatte, die verschiedene Tugenden des Königs priesen, schloß sie mit den Worten.
„Enfin chacun des dieux discourant à sa gloire Le plaçait par avance au temple de Mémoire: Mais Vénus et Bacchus n'en dirent pas un mot.“
Auf einen Mann wie der König von Schweden blieben so viel Geist und Liebenswürdigkeit wirkungslos. Er weigerte sich beharrlich, die Gräfin zu sehen, und so ergriff sie endlich das Mittel, ihm bei einem seiner häufigen Spazierritte zu begegnen. Sie traf ihn wirklich eines Tages auf einem sehr schmalen Wege und stieg aus dem Wagen, sobald sie ihn erblickte. Der König grüßte sie, ohne ein Wort zu sagen, drehte sein Pferd um und ritt augenblicklich von dannen, so daß die Gräfin von Königsmark von ihrer Reise nur die Genugthuung mitbrachte, sich für das einzige Wesen zu halten, vor welchem der König von Schweden Furcht empfand.“]
Aurora von Königsmark wurde auf ihre alten Tage Stiftsdame einer protestantischen Abtei — derselben Abtei von Quedlinburg, deren Aebtissin später die Prinzessin Amalie von Preußen war, die Schwester Friedrich's des Großen und die Geliebte des berühmten und unglücklichen Baron Trenk. Die Königsmark starb in dieser Abtei und wurde daselbst beigesetzt. — Und vor einigen Jahren berichteten deutsche Zeitungen, daß man bei Nachgrabungen in den Gräbern der Stiftskirche zu Quedlinburg die einbalsamirten, vollständig erhaltenen Ueberreste der Aebtissin Aurora aufgefunden habe, gehüllt in ein mit Edelsteinen verziertes Brokatkleid und in einen mit Marderpelz gefütterten Mantel von rothem Sammet. Nun habe ich aber auch in meinem Zimmer, auf dem Lande, ein Bild der Dame aus ihrer Jugendzeit, das von einer strahlenden Schönheit der Farben ist. Man sieht sogar, daß sie sich geschminkt hat, um zu dem Bilde zu sitzen. Sie ist sehr brünett, was unsern Erwartungen von einer nordischen Schönheit nicht entspricht. Ihre kohlschwarzen Haare sind am Hinterkopfe mit Rubinnadeln aufgesteckt; ihre glatte, freie Stirn hat nichts Bescheidenes; dicke, harte Flechten fallen auf ihren Busen und sie trägt das mit Edelsteinen bedeckte Brokatkleid und den mit Pelz besetzten Mantel von rothem Sammet, womit sie auch in ihrem Sarge bekleidet ist. Ich gestehe, daß mir diese kühne, lächelnde Schönheit nicht gefällt, und daß mir, seit der Ausgrabung, das Bild sogar einige Furcht einflößt, wenn es mich Abends mit seinen glänzenden Augen anschaut. Es ist mir dann, als ob sie mir sagte: „Mit welchen närrischen Dingen beschwerst Du Dein armes Gehirn, ausgearteter Sprößling meines stolzen Geschlechts? Mit welcher Gleichheitschimäre erfüllst Du Deine Träume? Die Liebe ist nicht, wie Du sie glaubst; die Menschen werden niemals sein, wie Du hoffst. Sie sind dazu geschaffen, durch ihre Könige, durch die Frauen und durch sich selbst betrogen zu werden.“
Neben ihr hängt das Bild ihres Sohnes, Moritz von Sachsen; ein schönes Pastellgemälde von Latour. Er hat einen glänzenden Harnisch, gepudertes Haar und ein schönes, gutes Gesicht, das immer zu sagen scheint: „Vorwärts, mit wirbelnden Trommeln und brennenden Lunten.“ Auch kommt es ihm gewiß nicht darauf an, französisch zu lernen, um seine Aufnahme in die Akademie zu rechtfertigen. Er gleicht seiner Mutter, aber er ist blond, seine Haut ist zart, seine blauen Augen haben mehr Sanftmuth und sein Lächeln