Название | Geschichten aus dem Koffer |
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Автор произведения | Thomas Fuhrmann |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754923153 |
„Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Wenn man dich so reden hört, könnte man annehmen, jedenfalls würde ich das denken, und vermutlich der Großteil ebenfalls, ne, äh, dass du in der Jetztzeit leben würdest.“
„Das nehme ich mal als Kompliment.“ Der Engel warf seinen Schal schwungvoll über die Schulter und setzte sich aufrecht hin. „Natürlich habe ich mich zu meiner aktiven Zeit auf der Erde noch anders ausgedrückt. Ich bin aber lernfähig. Wenn ich gerade Pause habe, setze ich mich gern auf einen Schulhof, auf Spielplätze oder Skaterbahnen. Du glaubst gar nicht, was man da so alles hört. Unglaublich faszinierend! Solltest du auch mal hingehen.“ Nathanael wackelte mit dem Zeigefinger vor Thomas’ Gesicht hin und her, lächelte allerdings dabei. „Aber ich schweife ab. Wobei, eigentlich gar nicht, wenn ich es richtig bedenke. Thema: Zuhören. Das ist auch bei dir ein wichtiger Punkt.“ Nathanael blickte Thomas intensiv an. „Wobei, ich muss lobend erwähnen, dass du in den letzten Minuten deutlich weniger dazwischen gedacht hast. Das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu dem, was mir meine Kollegen berichtet haben.“
„Deine Kollegen? Was soll das heißen? Bist du, wenn ich das richtig verstehe, also nicht … äh … der erste Gast, der mich hier in der Nacht an meinem Bett aufsucht?“
„Ich kann dich beruhigen.“ Nathanael lächelte. „In der Nacht bin ich der Erste. Meine Kollegen waren alle tagsüber unterwegs. Und sie haben sich dir auch nicht zu erkennen gegeben. Das dürfen nur wir Engel für besondere Aufgaben. Es ist der letzte Versuch, einen Menschen auf den richtigen Weg zurückzubringen.“
„Und warum bist du, oder vielmehr, wie kommen, ich sag mal, deine Kollegen und du, ne, oder euer Oberboss, falls ihr so etwas habt, auf die Idee, äh …, dass ausgerechnet ich ein Kandidat sein sollte, der auf den rechten Weg, wie ihr so sagt, ne, zurückgebracht werden sollte? Habt ihr nicht gesehen, was ich …. Doch bestimmt, ihr seid ja allwissend!“, spottete Thomas. „Jedenfalls sagt man doch so, ne, über euch himmlische Wesen. So eines bist du doch, ne?“
„Na, na, na, kein Grund, sich hier über andere zu erheben!“ Nathanael erhob mahnend den Zeigefinger und wirkte längst nicht mehr so entspannt wie zu Beginn des Gesprächs. „Da sind wir genau bei deinem Punkt: Du glaubst, etwas Besseres zu sein. Nein!“, hob er die Hand, „jetzt hörst du mir erst einmal zu. Und zwar bitte kommentarlos. Deine Gedanken in abgehackten Sätzen sind echt anstrengend, wenn ich das mal ganz salopp so sagen darf.“ Der Engel seufzte. „Wo war ich? Ach ja, der Punkt, den ich nennen wollte: Du umgibst dich gern mit Menschen, denen du dich überlegen fühlst. Menschen, die nicht ihre gesamte Energie auf sich selber verwenden. Menschen, die auch mal auf ihren eigenen Vorteil verzichten und dadurch angreifbar werden. Dafür haben sie etwas, was dir komplett fehlt: Empathie, Mitgefühl, Nächstenliebe, Wärme. Das ist die eine Gruppe. Und dann sind da noch diejenigen, die sich von dir einen Vorteil erhoffen. Schleimer, Emporkriecher, Menschen wie du. Stets auf den eigenen Vorteil bedacht. Und dafür geht ihr über Leichen.“
Thomas richtete sich empört auf. „Das ist frech!“ Er schnappte nach Luft. „So eine ungeheuerliche Behauptung, ich würde, also, im Ernst, das kann doch nicht. Noch nie habe ich jemanden körperlich geschädigt. Geschweige denn, was du hier, ne, einfach so behauptest … Ich sorge für meine Mitarbeiter. Ich arbeite hart, dass es der Firma gut geht. Und geht es der Firma gut, ich muss sogar sagen, in den letzten Jahren haben wir uns exzellent aufgestellt, so dass man nicht mehr nur von gut, ne, reden kann, sondern eher in einer Weise, die beeindruckend ist. Das ist aber nur möglich, wenn man sich, ne, mit dem richtigen Wissen versorgt, ne. Das ist nicht in der Bildzeitung zu lesen. Das ist nur …“
„Stopp! Ich habe es verstanden. Du bist allwissend und großartig. Und nur du verstehst die Zusammenhänge des großen Ganzen. Aber“, Nathanael richtete sich auf, „was dabei auf der Strecke bleibt, das siehst du nicht. Und dafür bin ich heute hier.“
„Du bist also der Geist der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht?“ Thomas lachte höhnisch. „Reisen wir jetzt durch die Zeit und du zeigst mir auf verschiedenen Stationen meine, wie du so sagst, ne, Verfehlungen?“
„Auch wir sind inzwischen moderner geworden.“ Nathanael schien zu überlegen, ob er die letzten Äußerungen noch weiter kommentieren sollte, beließ es dann aber dabei. „Auch wir sind inzwischen im digitalen Zeitalter angekommen.“ Nathanael erhob sich und holte ein Pad aus seinem Koffer. „Wir reisen nicht in Zeittunneln mit verschiedenen Abzweigungen. Wir holen uns die Vergangenheit und Zukunft aufs Tablet.“
Der Engel schaltete das Pad ein, tippte darauf herum und ließ es dann sinken. „Bereit für deine Zukunft?“
Thomas lachte. „Auf jeden Fall. Wenn ich das jetzt schon sehe, was mich später so erwarten wird, in der Zukunft und so, dann kann ich mich ja, wie man so sagt, schon darauf freuen, ne. Vorfreude soll ja die schönste Freude sein. Was ich allerdings noch nie so ganz verstanden habe. So richtig schön ist es ja doch erst, wenn wirklich eintrifft, was man vorher erwartet hat, ne. Wenn man sieht, dass man richtig gelegen hat.“
Nathanael hob die Augenbrauen. „Ob du wirklich Grund hast, dich darauf zu freuen, da bin ich mir ja noch nicht so sicher. Aber sieh selbst: Deine Zukunft. So, wie sie sein wird, wenn du nichts änderst.“
Der Engel startete ein Video und hielt das Tablet so, dass auch Thomas einen guten Blick darauf hatte. Auf dem Bildschirm erschien ein prachtvolles Haus. Weiße Fassade, klare Architektur mit großen, dunklen Fenstern, umgeben von einem gepflegten Garten. Die Hecke war akkurat zurückgeschnitten, die kleinen Bäume hatten einen Winterschutz, und auf den Beeten lagen Tannenzweige.
„Dann wollen wir doch mal sehen, was du so machst“, kommentierte Nathanael. Das Video zoomte auf das Haus, die Tür sprang auf und der Betrachter befand sich im Wohnzimmer. Es war in schwarz-weiß gehalten. Edle Ledersofas standen U-förmig in der Fensterecke, davor ein weißer Glastisch, auf dem ein Adventsgesteck mit einer künstlichen Kerze stand. Nichts lag herum. Jeder Platz schien sorgsam ausgewählt. Selbst die Fernbedienung steckte ordentlich in einem Organisationshelfer, der an der Sofalehne befestigt war. Auf dem Platz daneben, direkt an der Ecke des Sofas mit Blick auf den Fernseher, saß ein Mann mit etwas zu langen grauen Haaren, Seitenscheitel und Hörgerät. Seine Schultern waren hingen nach vorn und bildeten einen leichten Buckel. Im Gegensatz dazu standen seine Füße, die in Filzpantoffeln steckten, exakt nebeneinander auf dem Fußboden.
Eine Frau kam ins Zimmer und zog sich im Gehen eine Jacke über. „Ich gehe jetzt. Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch, Herr Ernst.“
„Das bin ja tatsächlich ich“, flüsterte Thomas. „Das Haus gefällt mir. Das wirkt so, ich muss schon sagen, edel, ne, also, da könnte ich es wohl schlechter getroffen haben, wenn ich das so sehe.“
„Du kannst ruhig laut reden“, amüsierte sich der Engel. „Wie du vielleicht bemerkt hast, betrachten wir ein Video.“
Die Frau hatte inzwischen das Haus verlassen. Der alte Thomas saß auf dem Sofa und blickte in die Kerzenflamme.
„Ich kann das hier mal ein bisschen schneller laufen lassen“, stellte Nathanael fest und erhöhte die Abspielgeschwindigkeit. „Hier passiert in den nächsten Stunden nicht viel.“
Tatsächlich blieb der Mann in nahezu unveränderter Position sitzen. Mal beugte er sich vor, um einen Schluck aus dem Wasserglas zu nehmen, das vor ihm auf dem Tisch stand, mal griff er nach der Zeitung, die ebenfalls im Organizer steckte. Währenddessen wurde es draußen dunkel. Im Zimmer tauchte eine indirekte Beleuchtung den Raum in ein stimmungsvolles Licht.
„Das ist alles programmiert“, erklärte Nathanael, als er Thomas’ fragenden Blick bemerkte. „Du musst nichts mehr machen.“
„Das gefällt mir! Wenn ich überlege, wieviel Zeit man sparen kann, wenn man nicht mehr jedes Mal zum Lichtschalter gehen muss, wenn man das Licht ein- oder ausschalten will, ne, wenn ich bedenke, das sind am Tag, wenn ich es jetzt mal so überschlage, bestimmt, ach, wenn ich schon allein morgens denke, gerade im Winter, wenn es noch dunkel ist. Da fallen mir das Schlafzimmer, auf dem Weg ins Bad noch der Flur, dann die Küche und das Wohnzimmer ein. Wenn ich jedes Mal das Licht an-