Peter Camenzind. Герман Гессе

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Название Peter Camenzind
Автор произведения Герман Гессе
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754176856



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       Peter Camenzind

       Hermann Hesse

      Inhaltsverzeichnis

       Peter Camenzind von Hermann Hesse

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

       VIII.

       Impressum

Peter Camenzind von Hermann Hesse

      Meinem Freund Ludwig Finckh

      Peter Camenzind

      Im Anfang war der Mythus. Wie der große Gott in den Seelen der Inder, Griechen und Germanen dichtete und nach Ausdruck rang, so dichtet er in jedes Kindes Seele täglich wieder.

      Wie der See und die Berge und die Bäche meiner Heimat hießen, wußte ich noch nicht. Aber ich sah die blaugrüne glatte Seebreite, mit kleinen Lichtern durchwirkt, in der Sonne liegen und im dichten Kranz um sie die jähen Berge, und in ihren höchsten Ritzen die blanken Schneescharten und kleinen, winzigen Wasserfälle, und an ihrem Fuß die schrägen, lichten Matten, mit Obstbäumen, Hütten und grauen Alpkühen besetzt. Und da meine arme, kleine Seele so leer und still und wartend lag, schrieben die Geister des Sees und der Berge ihre schönen kühnen Taten auf sie. Die starren Wände und Flühen sprachen trotzig und ehrfürchtig von Zeiten, deren Söhne sie sind und deren Wundmale sie tragen. Sie sprachen von damals, da die Erde barst und sich bog und aus ihrem gequälten Leibe in stöhnender Werdenot Gipfel und Grate hervortrieb. Felsberge drängten sich brüllend und krachend empor, bis sie ziellos vergipfelnd knickten, Zwillingsberge rangen in verzweifelter Not um Raum, bis einer siegte und stieg und den Bruder beiseite warf und zerbrach. Noch immer hingen von jenen Zeiten her da und dort hoch in den Schlüften abgebrochene Gipfel, weggedrängte und gespaltene Felsen, und in jeder Schneeschmelze führte der Wassersturz hausgroße Blöcke nieder, zersplitterte sie wie Glas oder rannte sie mit mächtigem Schlage tief in weiche Matten ein.

      Sie sagten immer dasselbe, diese Felsberge. Und es war leicht sie zu verstehen, wenn man ihre jähen Wände sah, Schicht um Schicht geknickt, verbogen, geborsten, jede voll von klaffenden Wunden. „Wir haben Schauerliches gelitten,“ sagten sie, „und wir leiden noch.“ Aber sie sagten es stolz, streng und verbissen, wie alte unverwüstliche Kriegsleute.

      Jawohl, Kriegsleute. Ich sah sie kämpfen, mit Wasser und Sturm, in den schauerlichen Vorfrühlingsnächten, wenn der erbitterte Föhn um ihre alten Häupter brüllte und wenn die Bachstürze frische, rohe Stücke aus ihren Flanken rissen. Sie standen mit trotzig gestemmten Wurzeln in diesen Nächten, finster, atemlos und verbissen, streckten dem Sturm die zerspaltenen Wetterwände und Hörner entgegen und spannten alle Kraft in trotzig geduckter Sammlung zusammen. Und bei jeder Wunde ließen sie das grausige Rollen der Wut und Angst vernehmen, und durch alle fernsten Rüfenen klang gebrochen und zornig ihr schreckliches Stöhnen wieder.

      Und ich sah Matten und Hänge und erdige Felsritzen mit Gräsern, Blumen, Farnen und Moosen bedeckt, denen die alte Volkssprache merkwürdige, ahnungsvolle Namen gegeben hatte. Sie lebten, Kinder und Enkel der Berge, farbig und harmlos an ihren Stätten. Ich befühlte sie, betrachtete sie, roch ihren Duft und lernte ihre Namen. Ernster und tiefer berührte mich der Anblick der Bäume. Ich sah jeden von ihnen sein abgesondertes Leben führen, seine besondere Form und Krone bilden und seinen eigenartigen Schatten werfen. Sie schienen mir, als Einsiedler und Kämpfer, den Bergen näher verwandt, denn jeder von ihnen, zumal die höher am Berge stehenden, hatte seinen stillen, zähen Kampf um Bestand und Wachstum, mit Wind, Wetter und Gestein. Jeder hatte seine Last zu tragen und sich festzuklammern, und davon trug jeder seine eigene Gestalt und besondere Wunden. Es gab Föhren, denen der Sturm nur auf einer einzigen Seite Äste zu haben erlaubte, und solche, deren rote Stämme sich wie Schlangen um überhängende Felsen gebogen hatten, sodaß Baum und Fels eins das andere an sich drückte und erhielt. Sie sahen mich wie kriegerische Männer an und erweckten Scheu und Ehrfurcht in meinem Herzen.

      Unsere Männer und Frauen aber glichen ihnen, waren hart, streng gefaltet und wenig redend, die besten am wenigsten. Daher lernte ich die Menschen gleich Bäumen oder Felsen anschauen, mir Gedanken über sie zu machen und sie nicht weniger zu ehren und nicht mehr zu lieben als die stillen Föhren.

      Unser Dörflein Nimikon liegt auf einer dreieckigen, zwischen zwei Bergvorsprünge geklemmten schrägen Fläche am See. Ein Weg führt nach dem nahen Kloster, ein zweiter nach einem viereinhalb Stunden entfernten Nachbarort, die übrigen am See gelegenen Dörfer erreicht man zu Wasser. Unsere Häuser sind im alten Holzstil erbaut und haben kein bestimmtes Alter, es kommen fast niemals Neubauten vor und die alten Häuslein werden je nach Bedürfnis stückweise repariert, dies Jahr die Diele, ein andermal ein Stück am Dach, und mancher halbe Balken und manche Latte, die früher einmal etwa zur Stubenwand gehört haben, findet man jetzt als Sparren im Dach und wenn sie auch dazu nimmer dienen und doch noch zu gut zum Verbrennen sind, so kommen sie das nächste mal beim Flicken des Stalls oder Heubodens oder als Querlatte an der Haustüre zur Verwendung. Ähnlich ist es mit den darin Wohnenden selber; jeder spielt so lang er kann seine Rolle mit, tritt dann zögernd in den Kreis der Unbrauchbaren und taucht schließlich ins Dunkel unter, ohne daß viel Aufsehens davon gemacht würde. Wer nach jahrelanger Fremde zu uns heimkehrt, findet nichts verändert, als daß ein paar alte Dächer erneuert und ein paar neuere alt geworden sind; die Greise von ehemals sind zwar dahin, aber es sind andere Greise da, welche die gleichen Hütten bewohnen, die gleichen Namen tragen, dasselbe dunkelhaarige Kindervolk bewachen und an Gesicht und Gebahren sich von den indessen Weggestorbenen kaum unterscheiden.

      Unsrer Gemeinde mangelte eine häufigere Zufuhr frischen Blutes und Lebens von außen her. Die Bewohner, ein leidlich rüstiges Geschlecht, sind fast alle untereinander aufs engste verschwägert und reichlich drei Viertel tragen den Namen Camenzind. Er füllt die Seiten des Kirchenbuchs und steht auf den Kirchhofkreuzen, prangt an den Häusern in Ölfarbe oder in derber Schnitzarbeit und ist auf den Wagen des Fuhrhalters, auf den Stalleimern und auf den Seebooten zu lesen. Auch über meines Vaters Haustür stand gemalt: „Dieses Haus haben gebauen Jost und Franziska Camenzind,“ doch ging das nicht meinen Vater, sondern dessen Ahn, meinen Urgroßvater an; und wenn ich auch vermutlich einmal sterben werde ohne Kinder dazulassen, so weiß ich doch, daß wieder ein Camenzind das alte Nest besiedeln wird, wenn anders es bis dorthin noch steht und ein Dach über hat.

      Ungeachtet der scheinbaren Eintönigkeit gab es dennoch in unsrer Bürgerschaft Böse und Gute, Vornehme und Geringe, Mächtige und Niedrige und neben manchen Klugen eine ergötzliche kleine Sammlung von Narren, die Kretins gar nicht mitgerechnet. Es war wie überall ein kleines Abbild der großen Welt und da Große und Kleine, Schlaumeier und Narren unlöslich untereinander verwandt und vervettert waren, traten sich strenger Hochmut und bornierter Leichtsinn oft genug unter demselben Dach auf die Zehen, so daß unser Leben für die Tiefe und Komik des Menschlichen hinreichenden Raum bot. Nur lag ein ewiger Schleier von verheimlichter oder unbewußter Bedrücktheit darüber. Das Abhängigsein von den Naturmächten und die Kümmerlichkeit eines arbeitsvollen Daseins hatten im Verlauf der Zeiten unsrem ohnehin alternden Geschlecht eine Neigung zum Tiefsinn eingegeben, der zu den scharfen, schroffen Gesichtern zwar nicht übel paßte, sonst aber keinerlei