Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich

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Название Reisen Band 1
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753132464



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      Gesammelte Schriften

      Friedrich Gerstäcker

      Reisen

      Band 1: Südamerika, Californien, die Südsee-Inseln

      Volks- und Familien-Ausgabe Band Fünf

      der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

      Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V.

      Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

      die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

      Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

      38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020

      1.

      Die Ausfahrt.

      An Bord des Talisman in der Weser - 18. März 1849. Es ist ein wunderliches, eigenthümliches Gefühl, an Bord eines Fahrzeuges, vor Beginn einer langen Seereise, noch im alten Vaterland fest vor Anker zu liegen, und diesem, während man die Reise selber noch gar nicht begonnen, den heimischen Boden noch nicht verlassen hat, doch auch eigentlich schon nicht mehr anzugehören. - Es ist ein wunderliches, aber auch recht fatales Gefühl und hält unsere Nerven in einer Abspannung, die uns zuletzt ordentlich den Zeitpunkt ersehnen läßt, vor dem es Manchem im Anfang wohl heimlich gebangt hatte - den Abschied von seiner Muttererde.

      Auf die Passagiere eines Auswandererschiffes macht das übrigens den verschiedenartigsten, wenn auch im Endresultat sich ziemlich gleich bleibenden Eindruck. Unthätig und mit langweiligen verdrossenen Gesichtern treiben sich die Meisten von ihnen bald an dem kaum fünfzig Schritt entfernten Land (wir liegen dicht vor Groß' Hotel in Brake), bald an Bord umher, und so ungemüthlich, so unbehaglich Alles am Ufer ist, ebenso jeder Bequemlichkeit und Ruhe trotzend ist es an Bord.

      Fortwährend treffen noch neue Passagiere mit einer Masse von Gepäck ein, als ob jeder Einzelne erwarte, die Arche /6/Noah zu eigener Disposition gestellt zu bekommen. – Alle Luken sind geöffnet, Kisten, Koffer, Bettsäcke, Körbe, Schachteln usw. stehen überall in Menge; kein Mensch findet was ihm selber gehört, Namen werden verwechselt und Koffer und Kasten waren es von Anfang an. Die Matrosen, die diesem gewohnten Treiben dabei mit der äußersten Gleichgültigkeit zuschauen, steigen in einer wahrhaft fabelhaften Gemüthsruhe über das wild umhergestreute Passagiergut hin und her. Sie treten Hut- und andere Schachteln in ganz unbestimmte Formen und Facons, hissen, was ihnen in den Wurf kommt, - manchmal nur durch das verzweifelte Zuspringen der Passagiere verhindert – in den untern Raum, um etwas mehr unter den Füßen weg zu bekommen, und kehren sich sonst an gar nichts. Die Zwischendecks- und auch Kajüten-Passagiere bekümmern sich dagegen um Alles. Jedes Collo wollen sie besehen und untersuchen, schreien über die Luken herüber und hinüber, und thun Alles was in ihren Kräften steht, die Verwirrung auf’s Aeußerste zu steigern.

      Nasses Wetter vermehrt natürlich das Unangenehme, ja Widerliche solchen Zustandes. Kein Wunder denn, daß Mancher voller Verzweiflung in das dunkle Chaos – in die Höhle des Zwischendecks, niederstarrt, aus der ihm ein warmer widerlicher Dunst entgegenquillt, und die ihm nicht fünf bis sechs Wochen wie auf einer Reise nach New-York, nein eben so viele Monate hindurch zum fast alleinigen Aufenthaltsort dienen soll. Wäre Tausenden von diesen ein solcher Blick verstattet gewesen, als sie noch zwischen „Auswandern“ und „Zuhausebleiben“ im Geiste schwankten, wie Viele, oh wie unendlich Viele würden nie in ihrem Leben ein Schiff betreten! Jetzt aber können sie natürlich nicht mehr zurück, und müssen nun auch, mit einem alten deutschen Sprüchwort, „ausessen, was sie sich vorher in aller Unschuld auf das Sorgfältigste eingebrockt hatten“.

      Was das Gepäck übrigens betrifft, so ordnet sich das, erst einmal ein paar Tage in See, gar bald von selber. – Ganz unglaubliche Quantitäten werden in die wirklich kleinsten Räumlichkeiten weggestaut, und Sachen und Gegenstände, an deren Unterbringen man bis dahin verzweifelte, bekommen /7/ einen Platz und scheinen vollkommen gut aufgehoben. Bisdahin aber heißt es „Geduld und Fügsamkeit“.

      Unsere Passagiere für Californien – denn der Talisman ist direct nach San Francisco bestimmt – bilden eine höchst eigenthümliche und wirklich interessante Masse. Es sind fast lauter junge kräftige Leute, die jenem abeneuerlichen Leben des neu entdeckten Eldorado mit so goldenen Träumen entgegengehen, wie sie nur je in Alchymist in seiner düstern Stunde geträumt hatte; aber keine einzige Frau – kein Kind ist zwischen ihnen. Die meisten, besonders die Zwischendecks-Passagiere, sind dazu, bei ihrer Ankunft an Bord, bis an die Zähne bewaffnet, manche auf wirklich komische Art. So kam gestern Einer vom Dampfboot auf den Talisman, mit einer Flinte, einem Spaten und – einem baumwollenen Regenschirm. „Mit dem Spaten willst Du wohl’s Gold ‘rauskriegen?“ frug ihn ein Matrose. „Ich wird’s doch nicht sollen mit den Händen ‘rauskrabbeln,“ antwortete ihm der Mann im höchsten Ernst.

      Spaten führen übrigens die Meisten bei sich; manche Dutzende davon – auch Massen von alten Säbeln, Pistolen, Dolchen, Bajonett-Flinten. Ueberhaupt kommen Waffen zum Vorschein, als ob eine Rüstkammer geplündert wäre, oder ein Antiquitätencabinet aufgestellt werden sollte.

      Eine Persönlichkeit darf ich jedoch hier nicht übergehen, denn sie hat nicht allein bei uns, sondern auch in ganz Bremen großes Aufsehen erregt. Es ist das ein Messerschmidt aus Magdeburg – hier jetzt nur kurzweg der Riese genannt, der ebenfalls nach Californien auswandern will. Der Leser denke sich eine wahre Herculesgestalt, von riesigem Körperbau mit krausem Bart, rothen Wangen und gutmüthigen klaren Augen – nur ein klein wenig zu bauchig, eine Figur also, die schon ohnedies durch ihren kolossalen Umfang aufgefallen wäre, nun auch noch nach folgender Art gekleidet: grüne Blouse, helle Beinkleider und weißen Turnerhut; um den Leib einen etwa fünf Zoll breiten weißen Ledergurt, und an diesem erstens einen wahrhaft riesigen Pallasch, der über die Steine klirrt, neben diesem einen Hirschfänger, der an der Stelle allerdings nur wie ein Messer aussieht, und neben dem /8/Hirschfänger noch einen gigantischen „Nickfänger" zum Zusammenklappen - ebenfalls etwa achtzehn Zoll lang. Außerdem trägt diese Titanengestalt einen Dolch mit Terzerolläufen daran, wie eine verhältnißmäßige Anzahl von Pistolen.

      Noch abenteuerlicher, ja fast komisch wird aber diese Persönlichkeit durch ihre Begleitung. Es sind das drei, hier „Trabanten" genannte, Individuen, die den mächtigen Führer in Diminutivform, wie die Lootsen den Haifisch, umschwimmen. Drei sehr kleine Männer, ebenfalls in grünen Blousen, Turnerhüten und mit dem weißen Gurt, also ganz wie junge Riesen, und nur statt des Pallasches mit sehr kurzen Messern oder Hirschfängern an der Seite. Der Riese war allem Anschein nach ein höchst gutmüthiger, ja fast gemüthlicher Mann - wie das meist alle großen, kräftigen Naturen sind. - Er ließ sich Pallasch und Messer von allen Leuten herausziehen und untersuchen, und glich in der That einem Kauffahrer, der Kanonen ohne Munition führt.

      An jenem Abend ging bei Brake das neue deutsche Kriegsdampfschiff Britannia unter dem Abfeuern der Landböller vor Anker - es war ein tüchtiges, stark und scharf gebautes und gewiß schnelles Boot, und was für Hoffnungen füllten damals unsere Brust, und w i e sind sie später getäuscht - verrathen worden!

      Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdasein zwischen Reisenden und Ansässigen Herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir „unter Segel gehen", oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Gerüchte über ausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Kanal vor der Aufkündigung des Waffenstillstandes erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemd finden sollte,) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können. - Doch der Erfolg wies sich besser aus, als /9/ wir gefürchtet. An dem Abend mußten wir zwar noch ein¬mal