Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers. Helge Hanerth

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Название Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers
Автор произведения Helge Hanerth
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783847612360



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Spaniens zu sein. Dies war ein wirklich gelungenes Wochenende.

      Eine Idee entsteht: Das Trinkprojekt

      Nach der Landung in Deutschland empfing mich eine nette Dame mit Rollstuhl direkt an der Flugzeugtür. Irgendwie hatte ich mir die Frau anders vorgestellt, vielleicht so ähnlich wie früher die Helferinnen der Bahnhofsmissionen. Die hatten immer so einen rührend, fürsorglichen Blick mit einer erfahrenen Strenge in der Stirn. Meine Helferin war da anders. Sie war jung, hübsch und handelte bemüht hilfsbereit, ohne auch die kleinste Höflichkeit zu vernachlässigen. Einen Moment wollte ich sie fragen, ob sie BWL studiert habe. Ich ließ es lieber bleiben. Mir schien, es würde den eingespielten Ablauf stören. Sowieso ging mich das nichts an.

      Für den Weg vom Flughafen nach Hause nahm ich normalerweise die S-Bahn. Diesmal bat ich, mich zum Taxistand zu rollern. Was anderes schien in ihrer Routine aber auch nicht geplant gewesen zu sein. Vor meinem Haus angekommen, schaffte ich es mit Mühe auf Krücken die Haustür zu erreichen. Erst jetzt merkte ich, dass unser Aufgang eine kleine Steigung hatte. Als sich der Taxifahrer verabschiedet hatte, schloss ich schnell die Tür und sank auf den Flur. ‚Na‘, dachte ich: ‚Da kommt wohl eine ganz neue Art von Herausforderung auf mich zu‘.

      Ich wollte sicher genesen, dass hatte ich mir von Anfang an vorgenommen. Ich hatte also einen Gang zurückzuschalten und mir für die nächste Zeit einen anderen Takt anzugewöhnen. Schwierig konnte es doch nicht sein meinen Antrieb zu zügeln, dazu war die Einschränkung durch die kaputten Beine zu massiv. Ich konnte ja eh kaum etwas machen. Ich entschied mich, es positiv zu sehen. So lernte ich in den nächsten Wochen durch die Einschränkungen den Wert meiner sonst gesunden Beine zum ersten Mal so richtig zu schätzen. Das motivierte, sie zu hegen und zu pflegen. Ich wollte doch nicht, dass sie mir auf Dauer den Dienst verweigerten. Solche Gehgipse, wie ich sie trug, wurden eigentlich erst angefertigt, wenn der Heilungsprozess fortgeschritten war. Mir war klar, dass es jetzt noch gefährlich war meine Beine zu belasten. Deswegen bewegte ich mich nur kriechend und blieb im Erdgeschoss. Ich wusste was ich meinen Beinen schuldig war und benutzte die Krücken nur zum kurzfristigen Stehen.

      Kurz vor Mitternacht kam der Sohn eines Bekannten. Pascal suchte einen Job, weil er sich für die Projektwoche seiner Oberstufe ein teures Auslandsprojekt ausgesucht hatte, das seine Eltern nicht voll bezahlen wollten. Das wusste ich von seinem Vater. Noch in Spanien hatte ich deswegen die Idee ihn anzurufen und zu fragen, ob er den Job als Pfleger übernehmen würde. Er hatte zugesagt.

      Pascal stellte sich mir als persönlicher <Zivi> vor.

      „Okay“, sagte ich zu ihm: „Dann hau mal rein Zivi.“

      Mein <Zivi> holte mir aus den oberen Etagen all die Dinge, die ich brauchte, um die nächsten Wochen ein Leben ausschließlich im Erdgeschoss führen zu können. Aus dem Keller brachte er mir mein uraltes Skateboard, das ich zu letzt bei einem Möbeltransport eingesetzt hatte. Das sollte meine Mobilität erheblich erhöhen. Auf dem Sofa im Wohnzimmer baute er ein Bett. Zum Schluss gab ich ihm eine Einkaufsliste. Die bestand hauptsächlich aus Fertiggerichten und Obst. Als er gegangen war, rutschte ich zum Gäste-WC neben der Haustür. Es dauerte lange, bis ich mit meiner Körperwäsche an dem kleinen Becken fertig war. Danach legte ich mich ins Sofa-Bett und schaltete den Fernseher ein. Es war das erste Mal seit Monaten.

      Am nächsten Morgen musste ich zum Arzt. Ich brauchte eine Krankmeldung für den Arbeitgeber. Der Arzt hatte aber noch so viel mehr mit mir vor. Was immer er vorschlug, ich lehnte ab. Ich bestand darauf, die Genesungsphase komplett auf dem Erdgeschoss meines Hauses zu verbringen. Selbst einen Rollstuhl lehnte ich ab. Ich hatte schon am letzten Abend festgestellt, dass ich mich gut auf einen Stuhl hochziehen konnte. Ich war sehr stolz darauf, weil ich bemerkt hatte, wie schwer das eigentlich war. Klasse, dachte ich, so hat sich Jahrzehnte langes Schwimmtraining für die Muskulatur der Oberarme ausbezahlt.

      „Wie, nicht jeder kann sich so mit den Oberarmen hochziehen?“, reagierte ich auf einen Einwand meines Hausarztes: „Dann kann ich das wohl wegen des vielen Schmetterlingsschwimmens. Ich werde unbedingt das Training später fortsetzen.“

      Ich erklärte meinem Arzt, dass ich ihm sehr dankbar sei für seine Bemühungen. Ich fühlte mich gut bei ihm aufgehoben, immer schon. Aber ich falle Leuten nicht gerne zur Last, selbst wenn die das nicht so empfinden. Schon als Kind habe ich mich bei höherem Fieber in mein Bett zurückgezogen. Ich fand es sogar lästig, wenn meine Mutter kam, um nach mir zu sehen. Wenn ich krank bin, dann geht es mir nicht gut. Als Kind brauchte ich dann einfach nur meine Ruhe, um zu genesen und jetzt brauchte ich eben nur etwas Zeit, bis ich wieder auf die Beine komme. Hilfe und Anteilnahme arten mir zu oft in zusätzlicher Belastung statt Entlastung aus. Ich würde mich schon melden, wenn ich wirklich Hilfe brauchte. Einen klappbaren Leihrollstuhl akzeptierte ich dann doch noch, immerhin war er gebraucht.

      Vor der Praxis holte mich mein <Zivi> ab. Meinen Einkauf hatte Pascal schon besorgt. Wir holten noch bei einem Altenwohnheim den Rollstuhl ab und fuhren nach Hause. Den Einkauf packte Pascal in den Kühlschrank. Bevor er ging, gab er mir seine Handynummer mit dem Hinweis, das ich ihn jederzeit anrufen könne, wenn ich was brauche. Mit einem stattlichen Trinkgeld machte er sich davon.

      So, jetzt konnte mein Alltag in Gips beginnen. Sechs Wochen waren doch wirklich keine lange Zeit. Zuerst rollte ich auf dem Skateboard zum Sekretär im Wohnzimmer. Mal setzte ich mich darauf, mal legte ich mich drauf. Die optimale Technik musste ich noch finden. Dem Rollstuhl schenkte ich nur einen verächtlichen Blick. Noch immer stand er zusammengeklappt im Flur. Das sollte auch erst mal so bleiben. Das Skateboard war mein Rollstuhl der Wahl.

      Ich wählte mich ins Intranet meiner Firma ein und schaute mir die aktuellen Umsatzdaten für meine Produkte an. Dann machte ich die genaueste Marktanalyse, die ich je angefertigt habe. Als ich auf die Uhr schaute, war es gerade sechzehn Uhr geworden. Da ich gegenüber meinem Hausarzt mit meinen Oberarmmuskeln angegeben hatte, entschied ich mich für Krafttraining als nächsten Tagesordnungspunkt. Mir vielen eine Menge Übungen ein, die auch ohne Beine gut funktionierten. Das Hanteltraining war problemlos. Auch Liegestütze funktionierten mit hängenden Beinen gut, wenn ich einige Kissen auf Beckenhöhe platzierte. Nach einer guten Stunde fühlte ich Lust auf mehr. Ich entschied, dass es vernünftiger war, es nicht zu übertreiben. Angesichts mangelnder Beschäftigungsalternativen schaltete ich den Fernseher ein. Es wurde ein langer und langweiliger Abend.

      Am nächsten Morgen begann ich mit Hanteltraining. Dann schaute ich im Intranet, was sich so für die Firma erledigen ließ. Ich arbeitete bis halbzwei und schob dann eine Pizza in den Ofen. Danach war der Tag wieder gelaufen. Sollte ich jetzt wieder fernsehen? Nein, bitte nicht. Mir fiel ein, dass ich mein Geburtstagsgeschenk noch nicht gelesen hatte. John Gribbins <Auf der Suche nach Schrödingers Katze> (Gribbin, John: „Auf der Suche nach Schrödingers Katze“, Piper Verlag 2010) lag noch in gelöstes, lose eingeschlagenes Geschenkpapier im Regal. Zwei Stunden lang fühlte ich mich gut unterhalten. Dann brauchte ich eine Abwechslung. Nach der Realität der Quantenphysik, versuchte ich es dann doch wieder mit der virtuellen Realität des Fernsehers. Zehn Minuten später habe ich ausgeschaltet. Das Programm war nicht zu ertragen, <no food for thought> oder wie ich auf Deutsch auch gerne behaupte: <Nix fürs Hirn>. Auf der Suche nach Alternativen entschied ich mich für eine Grundreinigung des Bodens. Das war immerhin eine sinnvolle Tätigkeit. Mit einer Bürste schrubbte ich jede Fliese einzeln. Während ich Gelassenheit in meiner monotonen Arbeit nach der Art eines Sisiphos fand (Vgl. Camus, Albert und Wroblewsky, Vincent von: „Der Mythos des Sisyphos“, Rowohlt Verlag 2000), kamen mir andere Gedanken. Mir wurde klar, dass sechs Wochen sehr lang werden können, wenn man keine Aufgabe hat.

      Was könnte ich gegen Monotonie und Langeweile in so einem großen Zeitfenster tun? Spontan fiel mir trinken ein. Ich war dem Gedanken nicht wirklich abgeneigt. Wieso auch? Es wäre ein Notfall. Der zeitliche Rahmen wäre begrenzt. Meine Frau dürfte es auch nicht verletzen, denn die war ja gar nicht da. Sorgen um eine mögliche Alkoholfahrt machte ich mir auch nicht. Zum einen mag ich nicht betrunken autofahren und zum andern kann ich mit meinen eingegipsten Beinen nicht autofahren und außerdem hatte Pascal mein Auto. Er war auch für meine Versorgung mit Lebensmitteln zuständig. Ich hatte seine Handynummer.