Die Gewalt des Sommers. Gunter Preuß

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Название Die Gewalt des Sommers
Автор произведения Gunter Preuß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783742780126



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sprang auf, stellte sich hinters Steuerrad, drehte daran, wandte sich zu ihm um und sagte: „Du gehst mir aus dem Weg. Beim Volleyball spielst du mich nicht mehr an. Und überhaupt.“

      „He“, sagte sie leise und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. „Eine Frau fühlt so was doch.“

      Boris spürte die Stelle, wo Ulli ihn berührte, heiß werden. Die Hitze erfasste seinen ganzen Körper, ballte sich hinter der Stirn. Ihm wurde es in sich selbst zu eng.

      Sie lehnte sich an ihn und raunte: „Weißt du, ich mag dich. Und du? Magst du mich auch?“

      Er stieß sie zurück, wuchtete die Tür auf, rannte übers Deck und klammerte sich an der Reling fest. Ihm war, als wäre er auf hoher See und um ihn wütete ein Sturm. Er wünschte sich, dass eine Welle ihn über Bord werfen sollte. Es wäre leicht, sich sinken zu lassen, bis auf den Grund, und nie wieder aufzutauchen. Dann würde er wissen, was wirklich war und was nicht.

      Sie stand vor dem Ruderhaus und rief: „Aber was ist denn? Geht´s dir nicht gut?“

      Der Kutter krängte leicht und begann schwerfällig zu schaukeln. Das Boddenwasser kräuselte sich, sein stumpfes Grau wurde von silbernem Glanz abgedeckt. Wind war aufgekommen und kroch kühl unter die Haut. Der Himmel zeigte eine tiefe Kluft, seine eben noch dichte Decke zerriss in bunte Fetzen, die flink auseinandertrieben.

      Boris fand wieder Platz in sich und sagte: „Lass mich einfach in Ruhe. Bitte.“

      Nichts war zu hören, dann sah er die Möwen in der Luft und hörte ihr „Kjau, Giejä“ und das raue „Haha agag“. Als er an ihr vorbeiging, hörte er sie sagen: „Du bist ja dumm. Weißt du, wie dumm du bist?“

      Ihre Stimme klang nicht böse, auch nicht verletzt, nur überrascht. Er hätte ihr gern was gesagt, das sie beide verstehen konnten. Aber da gab es nichts zu sagen. Er musste nur weitergehen.

      11.

      Vor dem Lager fing Ralle ihn ab. Der dicke Junge hampelte aufgeregt herum, seine Backen zitterten, er stotterte: „Mensch, Alter, wo warst du denn? Ali ist stinksauer. Du weißt doch, dass du aus diesem Knast nicht ohne Erlaubnis rauskommst.“

      Boris nickte nur und ging zum Zelt. Ralle begleitete ihn schnaufend. Er blieb zurück, als Ali geradewegs auf Boris zukam.

      „Müssen reden, jetzt.“

      Boris zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. Er bereute, dass er losgegangen war. Dass er dem Mädchen begegnet war. Dass er zu wenig an den Kampf gedacht hatte. Er bereute einfach alles, was Ali verärgerte. Wie er Ali so durch den Waldgürtel auf dem Fuß folgte, kam ihm das Bild eines Hundes in den Sinn.

      Ali war am Klippenrand stehen geblieben. Er schwieg, sah aufs Meer, das von einer Brise aus West gekräuselt wurde. Der Himmel hellte innerhalb weniger Sekunden auf, ohne dass die Sonne zum Vorschein kam. Ali drehte sich abrupt um, sah Boris in die Augen, dass er den Blick senkte.

      „Enttäuscht, bin ich. Dachte, hättest begriffen, dachte ich.“

      Die Worte und auch ihr Klang erschienen Boris knapper und kantiger denn je. Er wollte sprechen, Besserung beteuern, eine Erklärung abgeben, aber die Scham über sein Versagen verschlug ihm die Sprache. Der Pionierleiter wusste ohnehin alles, er wusste über die Jungen und Mädchen besser Bescheid, als sie selbst. Boris musste eben auf das hören, was Ali sagte, seinem Gesicht und seinem Körper ansehen, was sie ausdrückten.

      „Kann auch anders“, sagte Ali. „Mach doch, was du willst, los doch.“

      „Nein!“

      Boris spannte alle Muskeln gegen das Zittern in sich an. Was hatte Ralle ihm von Matuschke erzählt, der nicht mehr boxen wollte? Ali hatte vor ihm ausgespuckt und war auf seinem Rennrad davongefahren. Ali würde sich nie nach einem Verräter umschauen. Das durfte Boris nie passieren.

      Er hob die rechte Hand wie zum Schwur und sagte: „Ich werde alles tun, Ali. Alles.“

      „So.“ Der Pionierleiter sah ihn abschätzig an. „Nicht bei der Sache, bist nicht. Mal hü, mal hott, wie ein Weib, eben. Weißt nicht, was ist.“

      „Doch, Ali, ich weiß es. Ich werde siegen. Ich haue Kalinke weg.“

      Ali winkte verächtlich ab. „Geht nicht um Kalinke. Geht nicht um dich. Nicht um mich. Geht um die Sache, geht es. Um Leben oder Tod. Amboss oder Hammer sein. Mit dem Dickbauch in der Sonne pennen, ist nicht. Nicht rumziehen, mit Ulrike Blau, schon gar nicht.“

      „Ich weiß“, beteuerte Boris. „Ich zieh nicht mit ihr herum. Sie war nur – plötzlich da.“

      „Ist das Problem, ist es“, sagte Ali. „Frauen. Sind immer plötzlich da. Was dann, was?“

      Ali trat dicht an Boris heran, ließ seinen Blick über ihn gehen, als suchte er etwas. Es hatte den Anschein, diesmal sei er um eine Antwort verlegen. Ja, er suchte selbst danach. Auch Boris wollte eine Antwort. Gerade jetzt brauchte er sie. Sekundenlang blickten sie einander fragend an.

      Ein Ruck ging durch Alis Körper, er legte Boris eine Hand auf die Schulter. Für einen Moment war es, als wollte er ihn an sich ziehen. Doch dann wandte er sich ab. Sie gingen nebeneinander zum Zeltplatz zurück. Ali sprach, als hätte er etwas nachzuholen, vom bevorstehenden Boxkampf, fragte nach Boris´ Befinden und erklärte noch einmal die bevorzugte Schlagkombination. Er ermahnte ihn, seine längere Reichweite zu nutzen. Mit dem Jab sollte er Kalinke auf Distanz halten und Punkte sammeln. Auf einen Knock-out sollte er erst gar nicht hoffen, Kalinke könnte eine Menge einstecken. Boris müsste mit Herz, vor allem aber mit Köpfchen boxen.

      „Die Bretter küssen, kann jeder mal“, sagte der Trainer. „Siegt, der Luft hat. Hast Puste, wie ein Pferd, hast du.“

      „Ja“, sagte Boris inbrünstig. „Ja, Ali.“

      Nun brannte er für den Kampf, endlich, er war bereit, alles zu geben, auch sein Leben. Im Grunde war alles kinderleicht: Er musste siegen. Ali war nicht nur sein Pionierleiter und Trainer, er war sein Freund, sein großer Bruder. Wenn Ali ihn nicht fallen ließ, war alles in Ordnung. Boris´ Pflicht war es, Alis ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen.

      „Du stehst doch auf meiner Seite, Ali?“

      „Halte zu dir“, antwortete Ali fest. „Wie zu Kalinke. Trainiere euch, beide. Ist nur gerecht.“

      „Geht das denn, Ali?“

      „Muss.“

      „Ich meine – soll man sich denn nicht entscheiden?“ Kaum hörbar fügte er hinzu: „Für jemand – einen Menschen, dem man alles gibt?“

      Die Muskeln in Alis magerem Gesicht arbeiteten. Zwischen den schmalen Augenbrauen war eine Kerbe, die Boris noch nie gesehen hatte. Konnte es sein, dass Ali mit etwas nicht fertig wurde?

      Boris kam außer Tritt, er atmete befreit auf, als der Trainer gewohnt sicher sagte: „Ganz ruhig. Keiner kommt zu kurz. Hab´s im Griff, hab ich.“

      Zurück im Zeltlager sagte Ali: „Ordentlichen Schluck jetzt, trink mal. Hau dich aufs Ohr, ein Weilchen. Dann leichte Gymnastik. Nicht nervös werden, kein Grund.“

      „Ja, Ali. Ja.“

      Als Boris ins Zelt schlüpfen wollte, hielt der Trainer ihn zurück. Er deutete einen Leberhaken an und sagte freundschaftlich: „Kriegen wir hin.“ Rückhaltlos fügte er hinzu: „Heißt: Sauber bleiben. Verstehst.“

      „Verstehe, Ali“, beeilte sich Boris zu versichern. „Du kannst dich auf mich verlassen. Mein Pionierehrenwort. Ich gelobe es.“

      12.

      Das Zelt war leer, es roch nach abgestandener Luft, die Sachen waren klamm. Boris streckte sich auf seinen Schlafdecken aus, rollte sich dann auf die Seite, zog die Beine an und drückte die Stirn auf die Knie. Es kostete Überwindung, die Augen