BeTwin. Martha Kindermann

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Название BeTwin
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolar-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748590392



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die Ansprachen freundlich, aber bestimmt und ihr Beraterstab in der Lage, ihr unterstützend unter die Arme zu greifen. Das Bild, welches Präsidentin Jünger jetzt zeichnet, ist ein ganz anderes. Diese Frau ist zu Recht das Herz der Nation und es ist ein Jammer, einen solchen Glücksgriff nach sieben Jahren abzusägen, nur weil es die Gesetzgebung so vorschreibt. Bei uns zu Hause entbrennt in diesem Augenblick sicher wieder eine heftige Diskussion. Mama vergöttert unsere Anführerin und Papa steht auf Traditionen. ›Machthaber kommen nur auf dumme Ideen, wenn sie zu lange im Amt sind. Das hat uns die Geschichte gelehrt. Sieben ist eine bedeutende Zahl und genau die richtige Periode, um einer Führungsspitze Raum zum Entfalten zu geben, sie jedoch an unsere Gesetze zu binden.‹ Ich habe seinen Enthusiasmus nie verstanden.

      »Guckt hin, jetzt kommt Leben in die Bude.« Elvis rutscht wie ein kleiner Junger, der auf ein Erdbeereis wartet, auf seinem Sessel nach vorn und stützt die Unterarme erwartungsvoll auf seine Oberschenkel.

      »Frau Präsidentin, höre ich da einen leicht sarkastischen Unterton?« Ein winziger Mann in einem roten Anzug tritt nach vorn und lenkt die ›Rede ans Volk‹ in eine unterhaltsame Richtung.

      »Ich schieß mich weg!« Elvis krümmt sich vor lachen und muss schließlich seinen Mund eigenhändig zuhalten, um uns die Show nicht zu vermiesen.

      »Ach Ingmar, sei nicht zu Anfang schon so spitzzüngig. Ein wenig Ernsthaftigkeit zu demonstrieren kann nie schaden.« Der zweite Moderator mit nicht minder skurrilem Erscheinungsbild ergreift das Wort und sorgt bei Elvis erneut für abnormale Zuckungen.

      »Johns prächtige Haartolle macht mich stolz. Ich liebe diese beiden Komiker wirklich aus tiefstem Herzen.«

      »Woher soll man die kennen?« Tam hakt nach.

      »Im Ernst?« Elvis setzt einen erschütterten Blick auf. »Ingmar und John? John und Ingmar? Die Brüder Selten aus der Freitag Abend Latenightshow ›Selten dämlich‹

      »Psst!« Diesmal sorgt Fenja für die nötige Ruhe und sämtliche Augen heften sich erneut an die Präsentation auf der riesigen Leinwand.

      »Ist schon gut, Sie haben ja recht, Ingmar. Ich möchte den jungen Leuten ungern kunterbunte Seifenblasen ins Gesicht pusten, wenn doch auf der Hand liegt, dass diese im Schein der Kamera kein gutes Licht werfen.«

      »Frau Präsidentin, Sie sind ja ein richtiger Spaßvogel. Da Sie ab dem nächsten Jahr wieder etwas mehr Zeit haben, dürfen Sie sich gern die Freitagnacht frei halten und hin und wieder in unserer Show erscheinen.«

      »Danke für das Angebot, John, ich behalte es im Hinterkopf.« Der schlaksige Mann, um die vierzig, streicht sich mit einstudierter Hand durch das gegelte Haar und grinst die Dame über seine gigantischen Brillengläser hinweg charmant an.

      »Liebes Publikum vor den Fernsehern, Sie haben es alle gehört: Das Polarjahr wird für alle Beteiligten der Horror und für uns Zaungäste ein unterhaltsames Unterfangen. Am Ende kommen nur die Harten in den Garten, wie man so schön sagt, und ich kann es kaum erwarten, die ersten Eindrücke vom Auswahltest jetzt für uns zu öffnen. Ingmar, du bist an der Reihe.« Mit keckem Grinsen gibt er den Staffelstab an seinen Bruder weiter und flirtet dabei heftig mit der Kamera.

      »Und da ist er schon, der heiß begehrte und schon tausendfach intim berührte…« Ingmar fummelt übertrieben in seiner rechten Hosentasche herum und für einen kurzen Moment überlege ich, ob diese Sendung auch wirklich jugendfrei ist.

      »…gol-de-ne Drücker!« Ein circa zehn Zentimeter großer Fernsteuerungsstab kommt zum Vorschein und Centa Jünger klatscht den Gebrüdern Selten belustigt auf die Schultern.

      »Oh wow, ein großer Moment für mich, glauben Sie mir. In meiner Zeit als Eleve hatte ich wahnsinnige Panik vor diesem unschuldigen Ding. Jedes Mal war er für den Rausschmiss eines Kandidaten verantwortlich, um schlussendlich die Finalisten zu krönen. Darf ich?« Ingmar gibt den Drücker wie eine Reliquie an die Präsidentin ab und beäugt sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Er fühlt sich gar nicht so angsteinflößend an. Wollen wir doch einmal sehen, wer heute Abend als Erster oder Erste am Drücker ist. Film ab.«

      »Ingmar, ich glaube, wir können Feierabend machen, für den Unterhaltungsfaktor sorgt Madame schon ganz alleine.« John klemmt seinen kleinen Bruder unter den Arm und will gehen, als das Bild auf einem überdimensional großen Bildschirm zu flackern beginnt und Julius, der Pressemann, darauf erscheint.

      »Hallo, Ingmar? John? Könnt ihr mich hören?« Auf Stichwort bleibt John stehen und dreht Ingmars Hinterteil ins Bild. Dieser zappelt wie ein gerupftes Huhn, befreit sich aber nach einigen Mühen aus der Umklammerung.

      »Julius, du – hier – wirklich?« Ingmar zieht einen Geldschein aus der Sakkotasche und reicht ihn beleidigt seinem Bruder.

      »Tja, Julius, er hat unsere Wette verloren.«

      »Wette?«, fragt der junge Journalist.

      »Ingmar hat das Taschengeld des ganzen Monats darauf verwettet, dass du nach einem Tag schlappmachst und den erfahrenen Kollegen das Feld überlässt. Du weißt schon, die zickigen Mädchen, die überheblichen Jungs und der ständige Druck als junger Mensch den Fernsehbossen zu gefallen… Umso schöner, dass du noch da bist und deine kleine Sammlung mit uns teilst.« Oh ja, langsam kann es mal losgehen.

      »Danke für dein Vertrauen John. Ingmar, dir werde ich jetzt wohl beweisen müssen, wie wenig mich zickige Siebzehnjährige oder arrogante Machoteenager beeinflussen können. Frau Präsidentin, Sie sehen, nebenbei gesagt, heute Abend ganz zauberhaft aus.« Würg.

      »Ach Sie Charmeur, fangen Sie schon an.« Sie lächelt peinlich berührt in die Kamera und drückt anschließend überdeutlich den ›Gol-de-nen Drücker‹.

      Auf der Mattscheibe werden im Zeitraffer sämtliche Schulen des ganzen Landes eingeblendet und die Anzahl der Teilnehmer dazu notiert. Die Konkurrenz ist enorm, auch wenn mir das längst bewusst war und meine Nervosität steigt. Was, wenn Elsika mit ihrer Einschätzung völlig daneben lag und mein Interview dem Cutter zum Opfer gefallen ist. Nur die wahrlich spannenden Entdeckungen finden heute Abend Platz in der Show und erhalten die Chance, auch ohne passendes Testergebnis den Einzug in die Warte zu schaffen. Daumen drücken! Fenja greift meine Hand, um nicht an ihren Nägeln zu kauen, und im gleichen Moment stoppt das Bild, wird wie eine überflüssige Wand von Julius beiseitegeschoben und schafft Platz für seine Performance.

      »Wenn das mal kein cooler Effekt war. Leute, ich prophezeie euch, dass heute die beste Realityshow aller Zeiten startet und ihr beide ein Teil davon werden könnt.« Elvis halluziniert, obwohl wir nicht mal Alkohol auf dem Tisch stehen haben.

      Julius greift in ein überdimensionales Fischglas, welches aus dem Nichts aufgetaucht ist, zieht ein Foto heraus und schnipst es wie durch Zauberhand ins Sichtfeld. Nun wird ein todschicker Schulhof in Midden sichtbar und Julius steigt ins Foto, erhält ein Mikrofon vom Kameramann und lockt seinen ersten Interviewpartner zu sich heran. Ein unglaublich gutaussehender Kerl mit dunkler Surferfrisur, pechschwarzen Augen und einem Wahnsinnslächeln steht ihm nun gegenüber und genießt seinen ganz persönlichen Moment. Er trägt den Rucksack lässig über der Schulter und hat das rote T-Shirt mit V-Ausschnitt tief in die Jeans gesteckt, sodass wir das Spiel seiner stattlichen Bauchmuskeln darunter erahnen können.

      »Whoohoo!« Es purzelt Fenja einfach so aus dem Mund. Als Elvis ihr daraufhin einen verachtenden Blick zuwirft, macht sie sich kurzerhand ganz klein und sucht Schutz an meinem starken Arm. »Stimmt's, er ist eine Wucht, Roya.« Sichtlich nervös wischt sie die Hände an ihrem gepunkteten Rock ab. »Kile, diesen Namen werden wir wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.«

      »Natürlich Fenja, aber es ist nicht nett, deinen Freund damit zu konfrontieren«, flüstere ich ihr ins Ohr und unterdrücke ein Lachen in der Hoffnung, die beiden Jungs nicht noch mehr vor den Kopf zu stoßen.

      »Ach, der soll sich mal nicht so haben. Ich bin kein Hündchen an der kurzen Leine und darf doch wohl ein bisschen träumen.«

      Während wir dem Sunnyboy hinterhergeifern, erfreuen sich Tam und Elvis am folgenden Beitrag: Sly! Vor lauter Verblüffung springe