BeTwin. Martha Kindermann

Читать онлайн.
Название BeTwin
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolar-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748590392



Скачать книгу

und wie auf Händen getragen.

      Piep. Piep. Piep. Piep. Bitte, nimm mir nicht diesen kostbaren Moment der Sicherheit!

      Piep. Piep. Piep. Piep. Ich will nicht aufwachen. Ich kann nicht aufwachen.

      Piep. Piep. Piep. Piep. Ich spüre etwas Schweres auf meinem Bauch und etwas unangenehm drückendes an meinem linken Zeigefinger.

      Piep. Piep. Piep. Piep. Das Geräusch wird schneller und ich schrecke auf.

      »Tam?!« Ich reiße mir planlos den Pulsmesser vom Finger und ziehe die Beine schützend vor meinen Körper. »Scheiße, was machst du denn hier?« Völlig verpeilt reibt er sich die Augen und rückt mit seinem Stuhl einige Zentimeter zurück.

      »Es,…du,…Moreno hat gefragt und ich hab ja gesagt. Lass mich…«

      »Was soll er denn gefragt haben? Wo sind wir überhaupt?« Die Frage kann ich mir nach wenigen Sekunden selbst beantworten, als ich die Monitore und Schreibtische voller Mappen und Ordner wiedererkenne. Das Krankenhaus. Ich liege im Versteck der BePolaristen und Tam ist anscheinend zu meinem Wachhund erkoren worden. Ob in der Stellenbeschreibung vermerkt war, dass Händchenhalten oder Kopf auf dem Bauch der Klientin ablegen Teil der notwendigen Überwachung ist?

      »Frauen! Lass mich doch bitte ausreden, bevor du noch den Wachdienst herunterlockst.« Mit ernstem Gesicht rückt er vorsichtig näher und lässt sich mit einem Kopfnicken bestätigen, dass dieses Verhalten geduldet wird. »Du warst gestern Nacht total aufgelöst nach unserem Gespräch und ich wollte dich nicht allein hier unten lassen. Das war es auch schon. Keine Hintergedanken, kein Gegrabsche. Ich bin eingeschlafen. Das ist wohl mein einziges Vergehen.« Sofort bereue ich die Überreaktion. Meine Erinnerungen kehren in Fetzen zurück und es war ungerecht und verletzend von mir, ihn so anzufahren.

      »Entschuldige bitte, ich muss einen Teil der jüngsten Ereignisse wohl irgendwo im Hinterstübchen vergraben haben. Konnten die anderen ihre Särge unbeschadet verlassen?« Tam lehnt sich zurück und sieht mich etwas misstrauisch an.

      »Du erinnerst dich nicht mehr?«

      »Nur bruchstückhaft, sorry.«

      »Wir warteten noch zwei Stunden, bis Ceyda endlich die Kabinen öffnete und alle Kandidaten befreite. Sly und Taranee schafften es noch in der vorgegebenen Zeit aus ihrem Gefängnis. Ihre Boxen waren jedoch zu abgelegen, um mit uns Kontakt aufnehmen zu können.«

      »Und die anderen? Was ist mit Ebba, Berd…«

      »Lana und Kuno? Alle sind wohlauf und kurieren ihren Schock in den BePolarräumlichkeiten der jeweiligen Bezirke aus. Ihnen fehlte wohl der ›Antrieb‹, meinte Moreno.«

      »Hä, verstehe ich nicht?« Tam sieht mich eindringlich an auf der Suche nach einer versteckten Antwort.

      »Wirklich nicht, Roya?« Er glaubt mir nicht. »Du hast gekämpft, weil du einen Anker in dieser Welt hast. Du verfolgst ein Ziel, hast Menschen, die dir am Herzen liegen und einen Grund zurückzukehren. Moreno meint, wer nicht weiß, wofür er die Strapazen der Initiation auf sich nimmt, der ist hier fehl am Platze. Sie bekommen eine weitere Chance in einer simulierten, lebensbedrohlichen Situation. Wann und wo verrät uns natürlich keiner.« Toll, super, spitzen Idee. Stürze die Jugendlichen einen Abgrund hinunter und sieh zu, wer wieder herauffindet. ›Fragwürdige Methoden‹ – habe ich schon immer gesagt.

      Tam sitzt schweigend auf dem Stuhl und starrt auf seine Hände. Keine Ahnung, was er von mir erwartet. Ein Dankeschön? Ein paar nette Worte? Die Anspannung in der Luft ist so allgegenwärtig, dass mir heiß und kalt wird und meine Hände zu schwitzen beginnen. Eines weiß ich genau: Letzte Nacht habe ich diesem Jungen all mein Leid geklagt, mich nackt gemacht und meiner verwundeten Seele eine Tür geöffnet. Ihn und mich verbindet nichts mehr. Das Einzige, was ich ihm in den letzten Wochen entgegengebracht habe, war Verachtung, Misstrauen und Wut. Und doch sitzt er hier an meinem Bett und war für mich da. Ich fühle mich so elend und klein. Ich möchte nicht mit ihm befreundet sein – ich kann nicht mit ihm befreundet sein, aber er war da und ich stehe in seiner Schuld.

      Tristan

      »Er sieht überhaupt nicht aggressiv aus, findest du nicht?« Wie lange die ungebetenen Gäste schon in meinem Zimmer stehen, weiß ich nicht, aber der wohltuende Schlaf ist vorerst beendet.

      »Wir kennen ihn nicht, Fenja. Fang nicht an, mitleidig zu werden. Wahrscheinlich wacht er nie wieder auf. Und wenn, dann endet er eh auf der irren Station 7, wo er hergekommen ist.« Na, danke auch.

      »Elvis, du bist doch das Allerletzte!« Oh, oh, Spannung liegt in der Luft. Die beiden streiten sich und ich bin der Grund dafür? Wir sind uns bisher nur einmal begegnet und doch werde ich zum Mittelpunkt einer Beziehungskrise.

      »Glaub mir, irgendetwas an ihm macht mich traurig, nachdenklich, nun ja, betrübt – ach, ich finde nicht die richtigen Worte.«

      »Er tut dir leid und du würdest ihm Roya zu Liebe gern helfen?«

      »Natürlich, Blödi, sie ist meine beste Freundin. Tam ist nett und ihr seid dicke Kumpel, ich weiß. Doch hinter der Sache steckt noch mehr. Ich möchte meine Entscheidung revidieren und mich nicht mehr für eine Seite entscheiden müssen. Sobald Tristan die Augen aufschlägt, werden wir mehr wissen. Roya ist von seiner Unschuld so überzeugt, dass es mir beinahe das Herz zerreißt, sie nicht ernst zu nehmen.« Bitte Leute, könnt ihr zu Hause über mich und meinen Bruder philosophieren. Es ist schon scheiße genug, hier wie ein Untoter im Bett vor sich hinzusiechen, aber für dieses Gespräch braucht ihr mich doch wirklich nicht.

      »Es geht los! Elvis, steh auf!« Jetzt wird es doch noch interessant.

      »Wow, was soll das Empfangskomitee?« Roya, meine Retterin. Bitte scheuch die Labbertaschen aus dem Zimmer und nimm einfach meine Hand. Ich bin erst glücklich, wenn wir beide allein sind, auch wenn mich die Mühen der anderen natürlich rühren.

      »Schau mal!« Der Singsang in Fenjas Stimme verspricht etwas Verheißungsvolles.

      »Ein Brief, nein, 4 Briefe, und?«

      »Sieh auf den Kalender, Roya.« Tam, ich wusste doch, dass die Luft im Raum irgendwie modrig riecht. Verdammt, verschwinde! Ich möchte mich aufsetzen, ihn an seinem V-Ausschnitt nach draußen schleifen und mit voller Wucht die Tür zuknallen. Das ist nicht sonderlich kreativ, aber die bloße Vorstellung verschafft mir ein wenig Genugtuung. »1. Juni, klingelt da etwas?« Ach, spar dir deine honigsüße Stimme. Ich weiß genau, wie du sie in diesem Augenblick ansiehst. Lass es, Bruder, lass es!

      »Muss ich wohl zwischen Desinfektionsmittel und Gummihandschuhen irgendwie verdrängt haben. Wo habt ihr die eigentlich her?«

      »Tja, deine Eltern haben ihn mit dem Versprechen, dich im Anschluss sofort nach Haus zu bringen, bereitwillig rausgerückt.«

      »Ist doch auch egal, Mädels. Können wir die Dinger jetzt aufmachen? Fünfzig Prozent unserer Gruppe werden schließlich gleich Teil der Eleveninitiation sein.«

      »Elvis, das kannst du nicht…«

      »Doch, Roya, ich kann. Los, alle gleichzeitig, auf drei. Eins… Zwei…« Ratsch, Papier wird auseinandergerissen und Stille dominiert die nächsten Sekunden. Man, Leute, spannt mich nicht so auf die Folter. Ich bin des Lesens gerade nicht mächtig, also erzählt schon.

      »Nop.« Elvis ist raus, war zu erwarten. Er scheint nicht traurig darüber zu sein und drängt die anderen zur Eile. »Fenja?«

      »Nö, puh, Glück gehabt!« Sie küssen sich. Ernsthaft? Ihr seid raus aus dem Spiel und das ist Grund genug, sich vor meinen Augen – na ja, okay, nicht so ganz – abzuschlabbern?

      »Tam?« Elvis hält die Anspannung hoch.

      »Jo, man, ich bin dabei.« Abklatschen und verhaltene Jubelschreie aus Fenjas Mund folgen.

      Roya, hast du auch eine Antwort erhalten? Wie ich sie kenne, öffnet sie den Brief in absoluter Tiefenentspannung und