Oliver Hell Todeshauch. Michael Wagner J.

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Название Oliver Hell Todeshauch
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия Oliver Hell
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738058314



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      »Sind das Federkiele?«, fragte sie Kirsch.

      »Ja, ich kenne so etwas auch nur aus dem Antiquariat. Wer schreibt denn heute noch mit Federkiel und Tinte?«

      »Benutzen das nicht Leute, die Kalligrafie betreiben?«

      »Weiß ich nicht, da gibt es spezielle Federn und Aufsätze, glaube ich.«

      Rosin sah sich weiter in dem Raum um. Die gleichen düsteren Vorhänge wie in den anderen Zimmern. Hier hat einer die Meterware Stoff gleich im Dutzend verarbeitet, dachte sie. Hinter den Schreibtisch standen zwei große Aktenschränke, akkurat gefüllt mit uniformen Ordnern. Die Hälfte der Ordner aus dem Schrank links neben dem Schreibtisch lag allerdings jetzt auf dem roten Teppich davor. Dieses Chaos wollte nicht zur allgemeinen Aufgeräumtheit der Wohnung passen. Nein, es sah sogar aus wie ein gewaltsamer Einbruch in den Frieden des Hauses. Ebenso wie der Tote, der hinter der schweren Eichentür lag.

      »Das dauert eine Weile, bis wir da durch sind und einen Einblick gewonnen haben«, sagte Kirsch mit herunterhängenden Mundwinkeln.

      »Geht es langsam an. Es hat keinen Zweck, wenn ihr euch beeilt und dann etwas überseht«, sagte Rosin, um ihren Kollegen zu beruhigen.

      »Das sag mal dem Wrobel, der will doch immer alles schon gestern haben«, antwortete der Tatortermittler, hob die Arme und ließ sie mutlos wieder sinken.

      »Alles wird gut, Julian, alles wird gut!«

      Kirsch schob die Unterlippe hervor und produzierte so etwas wie ein Lächeln.

      »Was ist eigentlich mit Sebastian? Wie geht es seiner Cousine? Habt ihr etwas gehört?«

      Rosin schüttelte den Kopf. Was sollte sie ihrem Kollegen antworten? Wo sie doch selbst nicht wusste, was in Klauks Kopf herumging.

      »Ich kann es dir nicht sagen, Julian, echt nicht.«

      Er sah ihr fest in die Augen. »Sag ihm, er soll keinen Scheiß machen. Wir brauchen ihn!«

      »Werde ich machen«, antwortete Rosin. Sie spürte, dass ihr Kollege ihr noch eine Frage stellen wollte, doch er verkniff es sich.

      »Wir halten euch mit dem hier auf dem Laufenden«, sagte er mit einem Kopfnicken zu dem Aktenchaos hin.

      »Danke«, antwortete Rosin, die keine Lust verspürte, die Aufgabe des Kollegen zu übernehmen.

      Als Rosin sich in ihren VW-Polo setzte, wurde der Metallsarg mit dem Toten in ein Fahrzeug der Gerichtsmedizin gehoben und nach Bonn in die Stiftsgasse gebracht. Dort würde Dr. Beisiegel mit der Leichenschau beginnen. Es hatten sich gottseidank keine Gaffer eingefunden, auch keine Reporter. Die wenigen Passanten, die vorbeigekommen waren, waren von den Streifenbeamten weitergewunken worden. In Gedanken versunken fuhr sie los. Sie stellte sich ihr Wochenende vor. Freitag, nach dem Aikido-Training, wollte sie mit einer Freundin durch die Gemeinde ziehen, eine neue Kneipe besuchen. Am Samstag wollte sie ausschlafen, sich dann mit den frischen Frühstücksbrötchen und einem Kaffee wieder ins Bett kuscheln. Nach einer Dusche würde sie dann vielleicht zu Christina Meinhold hinübergehen, wenn diese Zeit hatte und nicht wieder für ihre Zwischenprüfung lernen musste. Das hatte sie vorgehabt. Doch wie es jetzt aussah, würde das Wochenende nur eine trostlose Verlängerung der Arbeitswoche sein. Verhöre und Gespräche mit den Nachbarn und Angehörigen standen an. Ihre Wochenendplanung passte schlecht zu der alten Polizeiweisheit, dass die ersten Stunden einer Ermittlung immer die wichtigsten waren.

      Doch wohin sollten sie ermitteln? Dem ganzen Fall haftete schon jetzt eine Rätselhaftigkeit an und es schien ihr nur zwangsläufig so zu sein, dass sich die Ermittlungen in die Länge ziehen würden. Daher war es sehr wichtig, das direkte Umfeld des Täters zu durchleuchten. Verwandte und Nachbarn. Irgendwo keimte noch immer ein Fünkchen Hoffnung, neben der Arbeit an diesem Wochenende noch ein paar Stunden Privatsphäre herausschlagen zu können.

       *

      Eine Stunde später saßen sie gemeinsam im Besprechungsraum vor einer noch leeren Glaswand, auf der der Name Donatus Monzel stand. Darunter das Geburtsjahr und der Name des Waisenhauses. Hell hatte schon herausgefunden, dass dieses Waisenhaus Ende der neunziger Jahre geschlossen wurde.

      »Julian checkt die Telefondaten der letzten Tage und sie suchen nach lebenden Verwandten. Das ist schwierig, weil Donatus Monzel allem Anschein nach keinen Computer besaß. Alles scheint schriftlich festgehalten worden zu sein«, erläuterte Lea.

      Hell zog die Augenbrauen hoch.

      »Gibt es so etwas heute noch?«

      »Allem Anschein nach schon«, antwortete sie. »Sagen Sie mal, Chef, haben Sie Sebi erreicht oder mit Hansen gesprochen?«

      Hell schaute weg, als könne er sich dadurch vor einer Antwort drücken.

      »Hansen will sehen, was sie tun kann. Wir erhalten aber Unterstützung von einer anderen Abteilung«, sagte er in einem Tonfall, der nichts Gutes erahnen ließ.

      Rosin zog die Stirn kraus. »Nein, oder? Niemand aus Lessenichs Team?«

      Hell verzog den Mund nach rechts und anschließend nach links. »Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Wir bekommen Akuda als Unterstützung. So lange, bis Klauk wieder im Dienst ist.«

      »Akuda?«, fragte Rosin erstaunt. »Und was ist mit seiner eigenen Abteilung? Wie heißt das noch gleich ... ‚Sonderdezernat für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung‘!«

      »Eben nur so lange, bis Klauk wieder im Dienst ist«, sagte Hell erneut.

      »Ach ja, und wenn das noch einige Wochen dauert?«

      Hell hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich bin froh über jeden Mann!«

      Er stand auf und ging zur Kaffeemaschine hinüber.

      »Ich kann den Neuen noch nicht richtig einschätzen«, sagte Rosin nachdenklich.

      »Auch einen?«, rief Hell aus seinen Büro, Rosin nickte.

      »Er hat Klauk den Arsch gerettet und man hat ihn in Hamburg nicht mehr haben wollen, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat. Wohin sollte er besser passen als in unser Team?«

      Das Rumpeln des Mahlwerks gab Lea Zeit zum Nachdenken.

      Das Mahlwerk verstummte und stattdessen brummte die Maschine jetzt leise vor sich hin. »Ich bin kein Rassist, bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, aber ich kann in seinem Gesicht nichts lesen. Er trägt ein Pokerface und ist nicht durchschaubar in dem, was er sagt.«

      Hell erinnerte sich daran, dass er Akuda noch nicht vor ganz zwei Wochen für einen Spitzel des abgesetzten Staatsanwalts Überthür gehalten hatte. Dabei hatte er die ganze Zeit über Klauk observiert und ihm das Leben gerettet. Also konnte er kein übler Kerl sein. In dem Moment fiel ihm auf, dass er nicht wusste, welcher Staatsanwalt ihnen jetzt zugeordnet wurde.

      »Lea, weißt du, welcher Staatsanwalt mit dem Fall ‚Monzel‘ betraut ist?«

      Lea schüttelte den Kopf und nahm die Tasse entgegen, die Hell ihr reichte.

      »Der Fall ‚Donatus‘ gefällt mir besser. Aber nein, ich weiß nicht, wer zuständig ist, nachdem unser Quälgeist Überthür uns verlassen hat. Der war ja eine stete Konstante im Schlechten.«

      Hell lachte laut auf, dann drückte er auf den Knopf der Kaffeemaschine und betrachtete den Kaffee, der in seine Tasse floss.

      Eine Konstante im Schlechten!

      Lea hatte recht. Überthür war ein intriganter und hinterlistiger Mistkerl gewesen, aber auf seine Art durchschaubar. Wer ihnen aus dem meist überlasteten Pool der Staatsanwaltschaft jetzt zugelost wurde, war entweder ein Glücksfall oder exakt das Gegenteil. Die Bonner Staatsanwaltschaft war genau wie die Kriminalpolizei und jede normale Dienststelle total überlastet. Und über allen standen noch Kürzungen im Etat, mit der viele Kollegen hausieren gingen. Der neue Bonner Polizeichef wollte seine Zahlen schönen und bei seinem