Название | Schule – quo vadis? |
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Автор произведения | Peter Maier |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752956931 |
8.
Persönlichkeitsentwicklung braucht Zeit. Daher müssen Wissens- und Kompetenzvermittlung einerseits und Charakterbildung und Werteerziehung der Jugendlichen andererseits auch in Zukunft gleichwertige Bildungsziele in der Schule bleiben.
9.
Die Forschungsergebnisse des Neuseeländers John Hattie in seinem Werk „Visible Learning“ stellen eine wohltuende Orientierung im gegenwärtigen bildungspolitischen Dschungel dar. Durch die sogenannten Hattie-Faktoren wird offensichtlich, welche Einflüsse die verschiedenen Reformmaßnahmen auf den Lernerfolg der Schüler wirklich haben.
10.
Die Klarheit der Lehrperson, sowie die Lehrer-Schüler-Beziehung stehen im Ranking der Hattie-Faktoren ganz oben. Das Unterrichtsprinzip „Erziehung durch Beziehung“ hat auch in einer globalisierten und digitalisierten Welt seine Bedeutung nicht verloren.
Kapitel 2: Zum Lehrer berufen – ein persönlicher Erfahrungsbericht
Das vorhergehende Kapitel wollte aufzeigen, dass der Lehrerberuf auch in einer modernen, technisierten, digitalisierten und kompetenzorientierten Schullandschaft seine Bedeutung und Rollenzuschreibung nicht verloren hat – im Gegenteil. Man kann neue Schulstrukturen schaffen, moderne Medien einsetzen, die Unterrichtsräume gut ausstatten und die Schulleitung effizienter gestalten. Ohne den Lehrer geht aber gar nichts, denn besonders für die Schüler in der Pubertät, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung hin zum Erwachsenwerden, wird neben einem kompetenten Fachmann vor allem ein Mensch gebraucht, der mitfühlen, empfinden, steuern, sich abgrenzen, motivieren, anregen und helfen kann. Der Lehrer als zugewandter Mensch, Pädagoge und Mentor wird auch in Zukunft bedeutsam sein.
Auf die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler kommt es an
Um die Diskussion bezüglich des Lehrerberufs versachlichen zu können, müssen grundsätzlich drei Ebenen unterschieden werden, die für einen Pädagogen von entscheidender Bedeutung sind und auf denen er wirkt:
Seine fachliche Bildung erhält der Lehrer durch sein Studium an der Universität. Wie in Kapitel 1 näher ausgeführt, gibt es diesbezüglich jedoch bereits einen Dissens in der heutigen Bildungsdiskussion. Fachliches Wissen, das der Lehrer den Schülern vermitteln soll, wird immer mehr durch bloße Kompetenzen ersetzt. Eine Mogelpackung, wie ich persönlich meine. Es braucht auch in Zukunft Fachwissen und entsprechende Kompetenzen gleichermaßen. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. Auf keinen Fall darf aber auf fachliche Grundlagen verzichtet werden.
In der Seminarausbildung lernen die Studienreferendare dann, wie sie Fachwissen und Kompetenzen an den Mann bringen, das heißt den Schülern vermitteln sollen. Um Didaktik und Methodik geht es also. Auf dieser zweiten Ebene aber tobt seit etwa 15 Jahren ein richtiger Glaubenskrieg – ganz über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Vermeintliche Bildungsexperten aus der Wirtschaft oder aus Bildungsinstituten, sowie sich fortschrittlich fühlende Schulen wollen glauben machen, dass schulischer Erfolg wesentlich von der von ihnen gerade propagierten neuen Lern- oder Organisationsmethode abhinge. Reine Tablet-Klassen, nur noch Gruppenunterricht oder das Lehrerraum-Prinzip könnten hier als Beispiele genannt werden. Solche Methoden oder Strukturänderungen können tatsächlich interessante Anregungen bringen, die Ansicht aber, es sei „die“ Lösungsmethode für die Schulprobleme schlechthin, ist Illusion, wie auch die Hattie-Studie überzeugend aufzeigt.
Bei der ganzen heißgelaufenen Diskussion wird jedoch eine dritte Ebene zunehmend als selbstverständlich vorausgesetzt, immer mehr vernachlässigt oder ganz übersehen. Ja, ich habe den begründeten Eindruck, dass diese bei Bildungsreformen gar nicht mehr vorkommt: die emotionale Ebene. Unsere Schüler am Gymnasium sind mehrheitlich in der Pubertät. Nicht selten werden sie von extremen Gefühlen hin- und hergerissen. Bei nicht wenigen gibt es zudem große familiäre Probleme, viele vermissen Vater oder Mutter, weil sich die Eltern getrennt haben oder weil ein Elternteil, meist der Vater, fast vollkommen von seinen beruflichen Aufgaben absorbiert wird. Den Jugendlichen geht es daher oft in erster Linie um die Beziehung zum Lehrer, nicht um die Aufnahme von fachlichem Wissen oder dem Einüben von Kompetenzen. Wir Pädagogen haben die wichtige Aufgabe, durch unsere Präsenz, Kommunikations- und Empathiefähigkeit, die uns anvertrauten Schüler bei ihrer Persönlichkeits-, Charakter- und Wertebildung zu begleiten. Wir müssen ihnen vor allem hinsichtlich dieser Ebene Vorbild sein, ihnen in der Pubertät Orientierung geben und ihnen auf ihrem inneren Weg zu sich selbst gleichsam als „Reibungsfläche“ zur Verfügung stehen.
Gerade diese letzte Ebene, deren Bedeutung für die Entwicklung der Schüler gar nicht hoch genug einzuschätzen ist, kann kaum gemessen, wenig evaluiert, gar nicht digitalisiert und nur sehr schlecht von Schulleitungen bewertet werden. Die Beziehungsebene zwischen Lehrer und Schülern wird auch in Zukunft „analog“ bleiben. Dies bedeutet aber nicht, dass sie dann unwichtig geworden wäre. Ganz im Gegenteil. Dieses Buch möchte sich genau dieser Seite widmen, die immer mehr verloren zu gehen scheint: der Beziehungs- und Vertrauensebene. Sie ist mir persönlich ein echtes Herzensanliegen. Daher trägt dieses Buch den Untertitel „Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens“.
Wenn Jugendliche sich während ihrer Schulzeit im Pubertätsprozess vom Kind zum Erwachsenen entwickeln wollen, wenn ihre Initiation gut verlaufen und erfolgreich sein soll, dann muss zu Recht vom Lehrer gefordert werden, dass auch er selbst sich seiner Persönlichkeitsentwicklung immer wieder stellt. Darum möchte ich dieses zweite Kapitel meinem eigenen Werdegang, sowie einigen wesentlichen persönlichen Erfahrungen in diesem Beruf widmen, der für mich im Laufe der Jahre immer mehr zu einer echten Berufung geworden ist.
Obwohl mir vollkommen bewusst ist, dass persönliche Erlebnisse nicht objektivierbar und nicht eins zu eins auf andere Lehrkräfte oder Lernsituationen übertragbar sind, bin ich von der Überzeugung geleitet, dass im Einzelnen, im Exemplarischen, zugleich viel vom Ganzen stecken kann. Daher glaube ich, dass es in diesem Buch über Schule, Lehrer und Schüler Sinn macht, ganz persönliche und für mich wesentliche Stationen auf meinem eigenen Weg zum Lehrerberuf und auch einige außergewöhnliche, authentische Situationen als Pädagoge im Klassenzimmer zu beschreiben und zu reflektieren.
Welche Einstellung zum Beruf und zu den Schülern, welche Fähigkeiten und Kompetenzen des Lehrers sind notwendig, um einen guten Unterricht bieten zu können? Worauf kommt es beim Unterrichten wirklich an? Am Exemplarischen kann sichtbar werden, worum es beim Unterrichten in der Tiefe geht. Die Essenzen meiner Erfahrungen sollen gerade jungen Lehrern Mut machen. Daher werde ich versuchen, all die persönlichen Erfahrungen und konkreten Unterrichtssituationen immer wieder dem Ganzen zuzuordnen: Schule – quo vadis? Lehrer – quo vadis? Schüler – quo vadis?
(1) Warum ich Lehrer wurde
Schüler auf dem Land
Geboren bin ich 1954 in einem kleinen Marktflecken in Ostbayern mit damals ca. 800 Einwohnern. Mein Vater hatte sich zum Ziel gesetzt, praktisch aus dem Nichts einen großen Bauernhof zu schaffen und damit den lange gehegten Wunsch einer Reihe von Vorfahren zu erfüllen. Mein Leben schien damit vorgezeichnet zu sein: Als Erstgeborener sollte ich einmal diesen Hof übernehmen, der aus Sicht meines Vaters einen nicht zu überbietenden archaischen Wert darstellte. Mit Feld und Vieh war man jemand, man wurde im Dorf anerkannt, man hatte eine vermeintlich sichere Existenz, man konnte zu Wohlstand und Ansehen kommen.
Daher fuhr mir der Schreck ziemlich in die Glieder, als mich mein Volksschullehrer an einem Vormittag im Mai 1965 unvermittelt fragte, ob ich im kommenden Schuljahr auf das Gymnasium gehen wolle. Denn der Anmeldetermin laufe bereits in drei Tagen ab. Gymnasium? Das nächste lag 31 Kilometer entfernt in der Kreisstadt des Nachbarlandkreises – eine völlig fremde und ferne Welt für mich, der noch nie wirklich aus seinem Dorf hinausgekommen war. Nie hatte ich auch nur im Traum daran gedacht, auf eine höhere Schule zu gehen. Ich wollte doch Landwirt werden wie mein Vater.