Medizinische Grundlagen der Heilpädagogik. Thomas Hülshoff

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Название Medizinische Grundlagen der Heilpädagogik
Автор произведения Thomas Hülshoff
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846358351



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im Rollenspiel, im Umgang mit Kasperle u. a. Puppen, in Zeichnungen, in den Reaktionen auf vorgelesene Geschichten und in vielen anderen kindgemäßen und kindadäquaten Interaktionen können Kinder ihre Nöte, ihre Ängste und ihr Erleben von Krankheit und Gesundung viel besser ausdrücken als in rein verbalen Gesprächen. Dies zu berücksichtigen ist eine wichtige Aufgabe begleitender Heilpädagogik.

      Krankheitsgruppen

      Natürlich bestehen große Unterschiede, ob ein Kind vorübergehend an einer zwar heftigen, letztlich aber harmlosen Kinderkrankheit wie z. B. den Masern erkrankt oder eine lebensbedrohliche Leukämie aufweist. Es ist hier nicht der Ort, jedes einzelne Krankheitsbild, das im Kindesalter auftreten könnte, dezidiert zu besprechen: Dazu wird auf die weiter unten angeführte Fachliteratur verwiesen. Stattdessen soll ein erster Überblick über mögliche Krankheitsgruppen gegeben werden, der den Studierenden eine erste Orientierung bietet.

      Akut bedrohliche Krankheiten: Akut bedrohliche Krankheiten können (anders als häufig bei Erwachsenen) im Kindesalter sehr plötzlich und akut auftreten und häufig genug ebenso schnell wieder verschwinden. Beispiele hierfür sind die Austrocknung (Exsikkose) und der Pseudo-Croup.

       Exsikkose

      Die Austrocknung (Exsikkose) kann schon nach ein bis zwei Tagen heftigen Erbrechens, Nahrungsverweigerung, Flüssigkeitsverlust durch Fieber und Schwitzen sowie wässrige Durchfälle auftreten. So können Säuglinge, die mehrere Tage diese Symptome aufweisen, 10% ihres Körpergewichts verlieren, was sie in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt (Erwachsene würden Vergleichbares gar nicht mehr überleben können). Säuglinge mit eingefallenen Augen, trockener Haut, trockener Zunge, der Unfähigkeit, zu speicheln oder Tränen zu produzieren, sind also hochgradig gefährdet und gehören sofort in die Klinik. Dort lässt man ihnen eine Flüssigkeitssondierung oder eine Infusionsbehandlung zuteil werden, und oft sind sie schon nach wenigen Stunden oder einigen Tagen wieder völlig gesund. Anderenfalls allerdings sind schwere Hirnschädigung oder sogar der Tod durch Austrocknung möglich.

       Pseudo-Croup

      Ebenso ist der Pseudo-Croup als ein solcher kindlicher Notfall zu werten. Hierbei handelt es sich um eine akute entzündliche Erkrankung des Kehlkopfes und der Bronchialschleimhaut, die mit Schleimhautanschwellung, Sekretbildung und akuter Luftnot einhergeht. Typische Symptome des Pseudo-Croups sind Luftnot, inspiratorischer Stridor (also Schwierigkeiten beim Einatmen, oft mit „juchzenden“ Geräuschen), ein Anstieg der Pulsfrequenz, ein charakteristisch-bellender Husten sowie die Angst der Kinder, zu ersticken. Die Behandlung muss sofort erfolgen, da eine Zunahme der Symptome (man unterscheidet vier Stadien des Pseudo-Croups) im vierten Stadium zu Erstickung führen kann. Die Grundprinzipien der Sofortmaßnahme sind Beruhigung, feuchte und kalte Luft und ggf. – falls vorhanden – Kortison in öliger Suspension, das in den Enddarm eingeführt wird und innerhalb von Minuten wirkt.

      Der Pseudo-Croup ist im Kindergartenalter besonders häufig anzutreffen, weil die zuführenden Luftwege hinsichtlich ihres Querschnitts in diesem Alter relativ klein sind und (für Erwachsene harmlose) Infekte der oberen Luftwege mit den damit verbundenen Schleimhautschwellungen aufgrund der anatomischen Verhältnisse sehr schnell zu einer Verengung der Luftwege führen: Jenseits des sechsten bis siebten Lebensjahres tritt der Pseudo-Croup relativ selten auf. Manche Kinder sind durch ihre anatomischen Verhältnisse und ihre konstitutionell bedingte Infektanfälligkeit sowie aufgrund ihres Lebensalters besonders croup-anfällig. Deshalb soll nicht verschwiegen werden, dass auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen: Insbesondere Smog- und Inversionslagen führen zu einer stärkeren Belastung der Atemwege und vermutlich auch deswegen zu einer stärkeren Gefährdung durch Pseudo-Croup.

      Infektiöse Kinderkrankheiten: Eine nächste Gruppe von Kinderkrankheiten besteht in Infekten der oberen Luftwege, so genannten Common-Cold-Krankheiten, sowie den infektiösen „Kinderkrankheiten“. Letztere können in erster Annäherung in virale und bakterielle Krankheiten eingeteilt werden.

       bakterielleKrankheiten

      Bakterielle Krankheiten werden von Bakterien, einzelligen Lebewesen, hervorgerufen. Da Bakterien sich fortpflanzen und einen Stoffwechsel aufweisen, sind sie – anders als Viren – prinzipiell durch chemische Substanzen „zu vergiften“ (Anti-Biotikum: gegen das bakterielle Leben gerichtet). Bakterielle Erkrankungen – und nur sie – können also prinzipiell durch Antibiotika behandelt werden.

       virale Krankheiten

      Demgegenüber sind Viren im Grunde nichts anderes als Erbsubstanzen, eingehüllt in Eiweißhüllen, die auf Wirtszellen angewiesen sind und sich nicht von alleine verstoffwechseln und fortpflanzen können. Ihre medikamentöse Behandlung ist deswegen so schwierig, weil es nur selten gelingt, einen Virus zu schädigen, die Wirtszelle aber nicht.

      Folgende Krankheiten werden von Viren hervorgerufen (und sind deswegen prinzipiell nicht mit Antibiotika zu behandeln): Masern, Röteln, Windpocken, Gürtelrose und Mumps. Von Bakterien werden u. a. Tuberkulose, Scharlach, Keuchhusten, Tetanus und Salmonellen hervorgerufen.

      Eine infektiöse Kinderkrankheit (Infektionskrankheit) entsteht, wenn Infektionserreger – Viren oder Bakterien – durch eine Eintrittspforte in den Körper gelangen. Solche Eintrittspforten können der Nasen-Rachen-Raum sein, wenn via Tröpfcheninfektion, insbesondere durch Husten, die Erreger weiterverbreitet werden. Aber auch von der „Hand in den Mund“ können Bakterien in den Magen-Darm-Trakt geraten. Durch den Darm ausgeschieden und durch unzureichende Handhygiene weiterverbreitet, können sie über Spielzeug oder Nahrungsmittel in den Mund geraten und somit weitere Kinder infizieren. Auch die verletzte Haut ist eine potenzielle Eintrittspforte.

       Inkubation

      Unter der Inkubationszeit versteht man die Zeit, in der sich die Keime im Körper vermehren, ohne bereits Krankheitssymptome auszulösen. Oft sind die Kinder in dieser Zeit schon ansteckend, obwohl sie noch keine Krankheitszeichen zeigen – dies führt dann dazu, dass sich ganze Kindergartenkohorten infizieren.

      ■Erste unspezifische Krankheitszeichen zeigen sich in der Prodromalphase, in der die Kinder oft uncharakteristisch Fieber, Husten, Schnupfen oder Durchfall aufweisen und allgemein matt und apathisch wirken. All dies sind unspezifische Krankheitsabwehrzeichen: Durch das Fieber wird z. B. die Körpertemperatur so erhöht, dass Bakterien an weiterer Ausbreitung und Vermehrung gehindert werden. Durch die Schleimhautschwellung und das Ausstoßen von Sekret soll die Keimzahl ebenso vermindert werden wie durch Erbrechen oder Durchfall. Mattigkeit und Erschöpfung sind Reaktionen des Körpers, der der Schonung um seiner Regeneration Willen bedarf.

      ■Spezifische Krankheitszeichen treten in der Manifestationsphase auf: Hier haben wir dann die beispielsweise für Masern oder Windpocken typischen Krankheitszeichen, die eine Diagnose und damit Prognose ermöglichen.

       Immunreaktionen

      Schließlich wird sich das Immunsystem des Körpers so weit mit den als Antigenen wirkenden Krankheitskeimen befassen, dass zunächst unspezifische, später spezifische Antikörper gebildet werden. Diese immunologische Abwehr führt zum einen dazu, dass Krankheitskeime umflossen und phagozytiert, also verdaut, zum anderen durch das Bombardement von körpereigenen Abwehrstoffen koaguliert, also verklumpt, werden. Jedenfalls lernt das Immunsystem, mit fremden Krankheitserregern umzugehen – ein Vorgang, den wir als „Immunisierung“ oder „Feiung“ bezeichnen. Bei einer späteren Auseinandersetzung mit denselben Keimen hat das Immunsystem gelernt, gegen Keime spezifisch vorzugehen, so dass eine Krankheit ausbleibt. Krankheiten mit lebenslanger Immunisierung sind beispielsweise die Masern, Krankheiten mit nur sehr geringfügiger Immunisierung die Grippe-Epidemien. In letzterem Falle verändern sich die Erreger so häufig, dass eine Krankheitserkennung oft nur über Monate oder höchstens Jahre möglich ist.

       Impfung

      Dem Prinzip der Immunisierung liegen auch die Impfschemata zugrunde. Unter aktiver Impfung verstehen wir die Kontamination