Название | Kapitalmarkt Compliance |
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Автор произведения | Karl Richter |
Жанр | Языкознание |
Серия | C.F. Müller Wirtschaftsrecht |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811447035 |
Die Gewährleistung der Vertraulichkeit ist weder in der MAR noch in den ESMA Leitlinien konkretisiert, lässt sich jedoch aus den Dokumentationspflichten gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055, die der Emittent während der Befreiungszeit zu erfüllen hat, herleiten.[113] Diese entsprechen dem bisherigen § 7 WpAIV. Der Emittent hat zur Gewährleistung der Vertraulichkeit während der Selbstbefreiung Vorkehrungen zum Schutz der Insiderinformation vor unbefugtem Zugang sowie zur unverzüglichen Bekanntgabe der Information für den Fall, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, zu treffen.[114]
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Bereits unter § 15b Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. war die an den Emittenten adressierte Verpflichtung, jede Person mit Zugang zu der Insiderinformation über die sich hieraus ergebenden insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen bei Pflichtverstößen aufzuklären, ebenfalls eine echte Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Selbstbefreiungsmöglichkeit. Dies wurde mit einer richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 3 a.F. WpHG begründet. Der Verordnungsgeber habe bei der Umsetzung der einschlägigen Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG in § 7 WpAIV die Übernahme dieser Voraussetzung aus der Richtlinie für überflüssig gehalten, weil § 15b Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. in Umsetzung von Art. 5 Abs. 5 der Durchführungsrichtlinie 2004/72/EG eine entsprechende Anordnung enthalte, deren Erfüllung dann auch dem Zwecke des § 15 Abs. 3 WpHG a.F. genüge.[115] Danach bestand selbst dann die vorgenannte Hinweispflicht, wenn der Adressat einer spezialgesetzlichen Vertraulichkeitsregelung unterliegt, wie z.B. Aufsichtsratsmitglieder[116] der strafbewehrten aktienrechtlichen Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit[117] mandatsbedingt erlangter Informationen.[118]
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Auch wenn weiterhin die Anforderung, alle Personen, die Zugang zur Insiderinformation haben, anerkennen zu lassen, welche Pflichten sich aus dem Zugang von Insiderinformationen ergeben und mit welchen Sanktionen zu rechnen ist (Art. 18 Abs. 2 MAR) nicht explizit im Zusammenhang mit der Selbstbefreiung geregelt ist, so folgt diese Regelung doch der allgemeinen Belehrungspflicht und ist damit Teil der Sicherstellung der Vertraulichkeit der Insiderinformation.[119]
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Vor dem Hintergrund der skizzierten Auffassung empfiehlt sich für Emittenten in der Praxis potenzielle Insider generell, z.B. durch arbeitsvertragliche Regelung, separate Anweisung und/oder einzelfallbezogen durch eine Vertraulichkeitserklärung, zur Verschwiegenheit zu verpflichten und über die sich aus der Kenntnis einer Insiderinformation ergebenden insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen bei Pflichtverstößen aufzuklären.
II. Umgang mit Gerüchten
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Insbesondere bei Sachverhalten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und an denen, wie z.B. bei der Durchführung des EBA Stresstests, eine Vielzahl auch externer Personen beteiligt ist, besteht die Gefahr, dass zwischenzeitlich Gerüchte zu der Insiderinformation, die Gegenstand der Selbstbefreiung ist, aufkommen. Dies kann dazu führen, dass die Selbstbefreiungsvoraussetzung „Wahrung der Vertraulichkeit“ entfällt.
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Werden während des Befreiungszeitraums Teile oder Details der Insiderinformation als Gerüchte öffentlich bekannt, so galt früher die Sphärentheorie der BaFin. Demnach war die Vertraulichkeit nur dann nicht mehr gewahrt, wenn das Gerücht aus der Sphäre des Emittenten stammte.[120] Nach Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 MAR ist nun eine Offenlegung der Insiderinformation notwendig, wenn ein hinreichend präzises Gerücht besteht. Dies gilt unabhängig davon in welcher Sphäre die Vertrauenslücke entstanden ist, da es nach Ansicht der ESMA zu zeitintensiv sei die Quelle des Informationslecks herauszufinden.[121] Hinreichend präzise ist ein Gerücht gem. BaFin, wenn die daraus abzuleitende Information darauf schließen lässt, dass ein Informationsleck entstanden ist, unabhängig von dessen Herkunft, so dass die Vertraulichkeit nicht länger gewahrt werden kann.[122] Willkürliche, diffuse Informationen, die einem Verbreiten von falschen oder irreführenden Informationen gleichkommen, in der Absicht den Emittenten richtigstellende Informationen zu entlocken, sind jedoch laut BaFin nicht als präzise anzusehen.[123]
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Während der Selbstbefreiungsphase hat der Emittent die Presseberichterstattung sowie den Börsenpreis und die Handelsvolumina zu überwachen, um Indizien für einen etwaigen Bruch der Vertraulichkeit zu identifizieren. In der Regel wird mit dieser Aufgabe die Kommunikations- und/oder die Compliance-Funktion beauftragt sein. Sollten sich Anhaltspunkte für einen Vertraulichkeitsbruch ergeben, muss der Emittent unverzüglich beurteilen, ob weiterhin die Selbstbefreiungsvoraussetzungen vorliegen. Der Emittent muss zudem wirksame Vorkehrungen treffen, um bei einem unplanmäßigen Wegfall der Selbstbefreiungsvoraussetzungen eine vorzeitige Ad-hoc-Veröffentlichung unverzüglich vornehmen zu können. Dies erfordert in der Praxis, dass der Emittent die Ad-hoc-Mitteilung inkl. Selbstbefreiungsmitteilung an die BaFin für den Fall einer vorzeitigen Veröffentlichung bereits weitgehend vorbereitet, um schnell reagieren zu könne, insbesondere bei zunehmender Verdichtung des Sachverhalts oder bei aufkommenden Gerüchten.[124]
1. Erfordernis einer Selbstbefreiungsentscheidung
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In Rechtsprechung und Literatur war bislang umstritten, ob es zu einer wirksamen Selbstbefreiung einer bewussten Entscheidung des Emittenten bedarf und wenn ja, welche Anforderungen an diese zu stellen sind.
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Diese höchst umstrittene Frage hat sich durch die mit der MAR geschaffenen Voraussetzungen erübrigt. Für den besonderen Befreiungsgrund des Art. 17 Abs. 5 MAR folgt dies schon daraus, dass das Kredit- bzw. Finanzinstitut die zuständige Behörde über die Absicht, diesen Selbstbefreiungsgrund zu nutzen informieren und deren Entscheidung abwarten muss.[125]
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Auch für den allgemeinen Aufschubgrund gibt es keinen anderen Interpretationsspielraum. Art. 17 Abs. 4 S. 1 MAR erlaubt – in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 2 MAD a.F. – den Aufschub „auf eigene Verantwortung“ des Emittenten. Diese Formulierung ist nicht als ein rein deklaratorischer Hinweis auf die Unabhängigkeit der Befreiung von der Zustimmung der Aufsichtsbehörde zu verstehen, wie teilweise für eine Befreiung kraft Gesetzes gem. § 15 Abs. 3 WpHG a.F. auf Grundlage von Art. 6 Abs. 2 MAD a.F. argumentiert wurde, da auch Art. 17 Abs. 5 MAR, der eine Zustimmung der Aufsichtsbehörde verlangt, diese Formulierung verwendet.[126]Weiterhin spricht auch die Formulierung des Art. 4 Abs. 1 Durchführungsverordnung 2016/1055 („Datum und Uhrzeit der der Entscheidung über den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“) für das Erfordernis einer Entscheidung, da Datum und Uhrzeit über den Aufschub nur vorhanden sein können, wenn hierüber auch eine aktive Entscheidung des Emittenten getroffen wurde.[127] Dafür spricht zudem der Final Report der ESMA, der einen Prozess verlangt, um u.a. eine Selbstbefreiungsentscheidung herbeizuführen.[128] Da auch die BaFin in der Vergangenheit, wie auch die überwiegende Meinung, eine bewusste Entscheidung forderte, wird es hier in der Praxis zu keiner Änderung kommen und eine Selbstbefreiungsentscheidung muss aktiv von dem Emittenten herbeigeführt werden.
2. Formale Anforderungen an die Selbstbefreiungsentscheidung
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Der Selbstbefreiungstatbestand selbst enthält keine formalen Anforderungen zur Art und Weise der Selbstbefreiung. Der ESMA Final Report verlangt allerdings, dass ein Prozess eingerichtet wird, um die Information hinsichtlich der Insiderrelevanz zu untersuchen und auch die Notwendigkeit eines Aufschubs zu eruieren.[129] Die Selbstbefreiungsentscheidung selbst, so die ESMA, sollte von einer eindeutig zu identifizierbaren Person beim Emittenten mit entsprechender Entscheidungsgewalt getroffen werden, als Beispiel wird ein Mitglied des Vorstands genannt.[130] Die BaFin geht davon aus,