PLATON - Gesammelte Werke. Platon

Читать онлайн.
Название PLATON - Gesammelte Werke
Автор произведения Platon
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 4066338120939



Скачать книгу

erleidet und es nicht in Rechnung bringt. – Welches ist doch dieses, o Sokrates, sprach Kebes. – Daß nämlich jedes Menschen Seele, sobald sie über irgend etwas sich heftig erfreut oder betrübt, auch genötiget ist von demjenigen, womit ihr dieses begegnet zu glauben, es sei das wirksamste und das wahrste, da sich dies doch nicht so verhält. Und dies sind doch am meisten die sichtbaren Dinge, oder nicht? – Freilich. – In diesem Zustande also wird am meisten die Seele von dem Leibe gebunden. – Wie so? – Weil jegliche Lust und Unlust gleichsam einen Nagel hat und sie an den Leib annagelt und anheftet, und sie leibartig macht, wenn sie doch glaubt, daß das wahr sei, was auch der Leib dafür aussagt. Denn dadurch, daß sie gleiche Meinung hat mit dem Leibe und sich an dem nämlichen erfreut, wird sie, denke ich, genötigt, auch gleicher Sitte und gleicher Nahrung wie er teilhaftig zu werden, so daß sie nimmermehr rein in die Unterwelt kommen kann, sondern immer des Leibes voll von hinnen geht; daher sie auch bald wiederum in einen andern Leib fällt, und wie hineingesäet sich einwurzelt, und daher unteilhaftig bleibt des Umganges mit dem göttlichen und reinen und eingestaltigen. – Vollkommen wahr ist was du sagst, o Sokrates, sprach Kebes. – Dieser Ursachen wegen also, o Kebes, sind die wahrhaft lehrbegierigen sittsam und tapfer, und nicht weshalb die Leute sagen. Oder meinst du? – Nein, ich gewiß nicht. – Es geht (84) auch nicht anders als daß die Seele eines philosophischen Mannes so rechnet und nicht glauben kann, sie müsse sich zwar von der Philosophie erlösen lassen, nachdem diese sie aber erlöset, sich selbst wiederum der Lust und Unlust hingeben um sich wieder festbinden und die vorige Arbeit vergeblich machen zu lassen, als wolle sie das Gegenstück treiben zu der Penelope Weberei; sondern Ruhe von dem Allen sich verschaffend, der Vernunft folgend und immer darin verharrend, daß sie das wahre und göttliche und der Meinung nicht unterworfene anschaut und sich davon nährt, glaubt sie, so lange sie lebt, so leben zu müssen, nach dem Tode aber zu dem verwandten und eben solchen gelangt von allen menschlichen Übeln erlöst zu werden. Hat sie sich so genährt, so ist wohl kein Wunder, wenn sie nicht fürchtet, ob sie nicht doch nach solchen Bestrebungen bei der Trennung von dem Leibe zerrissen, von ich weiß nicht welchen Winden verweht und zerstäubt umkommen und nirgend mehr sein werde.

      Eine Stille entstand nun, nachdem Sokrates dieses gesagt, auf lange Zeit, und er selbst, Sokrates, war ganz in das Vorgetragene vertieft, wie man ihm ansehn konnte, und auch die meisten von uns. Kebes und Simmias aber sprachen ein weniges mit einander. Da sah sie Sokrates an, und fragte, Wie? euch dünkt doch nicht etwa das Gesagte noch mangelhaft gesagt zu sein? Denn es gibt wohl noch viel Bedenken und Einwendungen dabei, wenn einer es ganz genau durchnehmen will. Hattet ihr nun etwas anderes untereinander, so will ich nichts gesagt haben; wenn ihr aber noch hierüber zweifeltet, so tragt nur ja kein Bedenken, es entweder allein zu sagen und anzuführen, wenn ihr glaubt, daß es so besser werde vorgetragen werden, oder auch mich mit dazu zu nehmen, wenn ihr meinet mit mir besser zu fahren. – Da sagte Simmias, Ich will dir die Wahrheit sagen, Sokrates. Wir beide haben schon lange zweifelnd einander angestoßen und aufgemuntert zu fragen, weil wir zwar gern hören möchten, aber doch Bedenken tragen, dir Unruhe zu machen, daß es dir nicht etwa zuwider wäre bei dem jetzigen Unglück. – Als er dies hörte, sagte er mit sanftem Lächeln, O weh, Simmias! wahrlich gar schwer werde ich die übrigen Menschen überzeugen, daß ich das jetzige Geschick für kein Unglück halte, da ich nicht einmal euch überzeugen kann, sondern ihr fürchtet, ich möchte jetzt unbequemer sein als sonst im Leben. Und wie es scheint haltet ihr mich in der Wahrsagung für schlechter als die Schwäne, welche, wenn sie merken, daß sie sterben sollen, wie sie schon sonst immer gesungen haben, dann am meisten und (85) vorzüglich singen, weil sie sich freuen, daß sie zu dem Gotte gehen sollen, dessen Diener sie sind. Die Menschen aber wegen ihrer eigenen Furcht vor dem Tode lügen auch auf die Schwäne, und sagen, daß sie über den Tod jammernd aus Traurigkeit sängen, ohne zu bedenken, daß kein Vogel singt wenn ihn hungert oder friert oder ihm sonst irgend etwas fehlt, auch nicht einmal die Nachtigall selbst, oder die Schwalbe, und der Wiedehopf, von denen sie sagen, daß sie aus Unlust klagend singen; aber weder diese, glaube ich, singen aus Traurigkeit noch die Schwäne; sondern weil sie, meine ich, dem Apollon angehören, sind sie wahrsagerisch; und da sie das Gute in der Unterwelt voraus erkennen, so singen sie und sind fröhlich an jenem Tage, ausgezeichnet und mehr als sonst vorher. Ich halte aber auch mich dafür, ein Dienerschaftsgenoß der Schwäne zu sein, und demselben Gotte heilig, und nicht schlechter als sie das Wahrsagen zu haben von meinem Gebieter, also auch nicht unmutiger als sie aus dem Leben zu scheiden. Also deshalb mögt ihr immer sagen und fragen was ihr wollt, so lange die eilf Männer der Athener es gestatten. – Sehr schön, sagte Simmias; also will ich dir sagen, was für Zweifel ich habe, und dann auch dieser, wiefern er das Gesagte nicht annimmt. Denn ich denke über diese Dinge, o Sokrates, ohngefähr wie du, daß etwas sicheres davon zu wissen in diesem Leben entweder unmöglich ist oder doch gar schwer; aber was darüber gesagt wird nicht auf alle Weise zu prüfen, ohne eher abzulassen bis einer ganz ermüdet wäre vom Untersuchen nach allen Seiten, einen gar weichlichen Menschen verrät. Denn Eines muß man doch in diesen Dingen erreichen, entweder wie es damit steht lernen oder erfinden, oder wenn dies unmöglich ist, die beste und unwiderleglichste der menschlichen Meinungen darüber nehmen, und darauf wie auf einem Brette versuchen durch das Leben zu schwimmen, wenn einer nicht sicherer und gefahrloser kann auf einem festeren Fahrzeuge oder einer göttlichen Rede reisen. So will denn auch ich jetzt mich nicht schämen zu fragen, da ja auch du dasselbe sagst, und nicht hernach mir selbst Vorwürfe zu machen haben, daß ich jetzt nicht gesagt habe was ich denke. Mir nämlich, o Sokrates, sowohl wenn ich bei mir selbst als wenn ich mit diesem das Gesagte betrachte, erscheint es gar nicht gründlich genug. – Darauf sagte Sokrates, Vielleicht, o Freund, erscheint es dir ganz recht; aber sage nur, wiefern nicht gründlich. – Insofern, sprach er, als auch von der Stimmung und der Leier und den Saiten einer ganz auf dieselbe Weise reden könnte, daß nämlich die Stimmung etwas unsichtbares und unkörperliches und gar schönes und göttliches ist an der gestimmten Leier, die Leier selbst aber und die Saiten (86) Körper sind und körperliches und zusammengesetzt und irdisch und dem sterblichen verwandt. Wenn nun einer die Leier zerbräche oder die Saiten zerschnitte oder zerrisse, so könnte einer mit derselben Rede wie du durchführen, jene Stimmung müsse notwendig noch da sein und nicht untergegangen. Denn es wäre doch keine Möglichkeit, daß die Leier noch da sein sollte, nachdem die Saiten zerrissen wären, und die Saiten selbst, die doch dem sterblichen ähnlich sind, die Stimmung aber sollte untergegangen sein, die doch dem göttlichen und unsterblichen gleichartig und verwandt ist, und zwar noch vor dem sterblichen; sondern, würde er sagen, notwendig muß die Stimmung noch irgendwo sein, und eher werden die Hölzer verfaulen und die Saiten, als jener etwas begegnen wird. Nun aber glaube ich, o Sokrates, du selbst wirst auch dies schon erwogen haben, daß wir uns die Seele als so etwas vorzüglich vorstellen, wenn doch unser Leib eingespannt ist und zusammengehalten von warmem und kaltem, trocknem und feuchtem und dergleichen Dingen, daß unsere Seele die Mischung und Stimmung eben dieser Dinge sei, wenn sie schön und im rechten Verhältnis gegen einander gemischt sind. Ist nun die Seele eine Stimmung: so ist offenbar, daß wenn unser Leib unverhältnismäßig erschlafft oder angespannt wird von Krankheiten und andern Übeln, die Seele dann notwendig sogleich umkommt, obgleich sie das göttlichste ist, eben wie alle andern Stimmungen in Tönen und in allen Werken der Künstler, die Überreste eines jeden Leibes aber noch lange Zeit bleiben, bis sie verbrannt werden oder verwesen. Sieh nun zu, was wir gegen diese Rede sagen wollen, wenn jemand behauptet, daß die Seele als die Mischung alles zum Leibe gehörigen in dem was wir Tod nennen zuerst untergehe. – Da sah sich Sokrates um, wie er oftmals tat, und sagte lächelnd, Simmias hat ganz recht gesprochen. Wenn nun einer besseren Rat weiß als ich, warum antwortet er nicht? denn er hat die Sache gewiß gar nicht schlecht angegriffen. Doch mich dünkt, ehe wir antworten, müssen wir erst auch den Kebes hören, was der wieder unserer Rede Schuld gibt, damit wir Zeit gewinnen und uns beraten können, was wir sagen wollen, und dann, wenn wir ausgehört haben, ihnen entweder einräumen, wenn sie etwas ordentliches scheinen angestimmt zu haben, oder wenn nicht, dann schon unsere Rede verfechten. Also, sagte er, sprich, o Kebes, was denn dich beunruhiget hat, daß du nicht glauben kannst. – Ich will es also sagen, sprach Kebes. Mir scheint nämlich unsere Rede noch immer auf demselben Fleck zu sein, und an demselben Mangel, dessen wir schon vorher erwähnten, auch jetzt noch zu (87) leiden. Denn daß unsere Seele schon war, ehe sie in diese Gestalt kam, das will ich nicht zurücknehmen, daß es nicht sehr artig, und wenn es nicht anmaßend ist zu sagen, ganz befriedigend bewiesen wäre;