Название | Ein schönerer Schluss |
---|---|
Автор произведения | Bekim Sejranović |
Жанр | Языкознание |
Серия | Transfer Bibliothek |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990371299 |
– Ich ziehe sofort meine Axt, um sie mit dem flachen Stück zu erschlagen, aber ich konnte nicht. Du hast mir nichts getan, also tue ich dir auch nichts.
Er passte auf unser Anwesen auf, wenn wir nicht da waren, und oft half er Großvater und beriet ihn in vielen Dingen: wann die Pflaumen spritzen, wie sie gegen die Nager schützen, wann sie düngen, wann sie pflücken und wie Sliwowitz brennen.
Von den Karawlachen sagte er, das seien gute und ehrliche Leute, die er immer höflich grüße, und sie wünschten ihm einen „guten Tag“ oder ein „merhaba, Hausvater“, und er ihnen genauso zurück.
– Aber – gab er Großvater noch den Rat – ladet sie nicht zu euch ein, auf einen Kaffee oder zum Essen, sie könnten sich daran gewöhnen, und ihr hättet keine Ruhe mehr vor ihnen. Den ganzen Tag werden sie bei euch um die Hütte herum sitzen, sage ich euch.
Die Karawlachinnen saßen wirklich oft unterhalb der Hütte, wo der Bach fließt. Dieses Bächlein fließt durch unseren Acker und mündet in den Fluss, der sich zum Dorf hin schlängelt. Im Sommer, wenn Dürre herrschte, konnte sogar der Fluss trockenfallen, aber unser kleiner Bach führte immer Wasser. Er hieß bei uns „lebendiges Wasser“ und man konnte davon ohne Abkochen trinken. Großvater hatte ein Metallrohr angebracht, und so sah es aus wie ein Brunnen. Deshalb setzten sich die Karawlachinnen oft her zu einer Rast, labten sich am Wasser und setzten ihren Weg fort. Großvater störte das nicht, aber Mujo runzelte die Stirn. Er sagte, er habe einmal eine Karawlachin dabei erwischt, wie sie direkt neben dem Bach geschissen habe. Der Dreck habe noch gedampft, sagte er. Dann habe er sie gezwungen, ihren Dreck aufzusammeln, egal wie und womit. Sie habe mit weinerlicher Stimme gesagt: – Wie, Hausvater? Ich habe nichts, womit.
– Wie?! Was weiß ich, wie? Mit den Händen, da hast du, wie! – Und sie habe den Dreck auf den Händen weggetragen.
Es stimmte nicht, dass sie sich daran gewöhnt hätten wiederzukommen, wenn man sie nur einmal auf einen Kaffee einlud. Manchmal wollten sie gar nicht kommen, sie redeten sich heraus, dass sie es eilig hätten, obwohl sie es genau genommen nirgendwohin eilig hatten.
Die Karawlachinnen gingen langsam, gebeugt von der Last, ohne Kraft zu verschwenden, denn bis zum Dorf und zurück ist es weit, an die fünfzehn Kilometer. Wenn sie sich unserer Hütte näherten, grüßten sie schon von Weitem:
– Oh, Hausvater, einen guten Tag, merhaba, seid Ihr gesund?
Zu Majka sagten sie: – Wie geht es dir, hanuma, bist du früh auf den Beinen? Hört dein Kleiner auf dich?
Dann sagte Majka jedes Mal, dass ich ihr Enkel sei.
Großvater und Majka luden sie manchmal auf einen Kaffee ein, und meistens kamen sie auch, aber nicht immer. Sie setzten sich ein wenig hin, unterhielten sich darüber, wie die Pflaumenbäume trugen oder wie der Mais stand oder ob eine Dürre zu erwarten sei oder Überschwemmungen. Am Ende, beim Verabschieden, kamen dann alle einträchtig zu dem Schluss, dass die Gesundheit das Wichtigste sei.
Ich stand meistens daneben, hörte zu, was sie sagten, und nahm meinen ganzen Mut zusammen, um eine der Karawlachinnen zu fragen, ob ich auf ihrem Pferdchen reiten dürfe.
XIII
1.
Über das Pogrom, das im Verlauf des Zweiten Weltkriegs über die Karawlachen hereinbrach, weiß ich so viel, wie mir mein Großvater erzählt hat. Schon unmittelbar nach Kriegsbeginn haben die Deutschen, wie er erzählte, auf dem Weg, der vom Dorf M. zu den Karawlachen führt, ungefähr hundert Meter unterhalb unserer Hütte, zwölf Karawlachen in unterschiedlichem Alter abgefangen, sie am Wegrand aufgereiht und erschossen. Dann sind sie bis zum Dorf gegangen, haben es umstellt, alle Bewohner, Alt und Jung, zusammengetrieben, sie in die Häuser gesperrt und lebendig verbrannt. Mir ist nicht bekannt, wie viele sich und auf welche Weise gerettet haben und wie es ihnen gelungen ist, bis zum Kriegsende zu überleben. Großvater erzählte auch verwundert, dass viele der Karawlachen nicht einmal wussten, was ihren Vorfahren im Zweiten Weltkrieg widerfahren war. Sie wussten, dass Schreckliches und Unerklärliches geschehen war und dass über dieses Grauen die unterschiedlichsten Geschichten im Umlauf waren, aber die Details kannte keiner von ihnen. Sie lasen keine Bücher, und wenn sie es taten, hätten sie kaum etwas über sich selbst erfahren.
Den Krieg, der in Bosnien Anfang der Neunziger ausbrach, wollten sie nicht auf der Schwelle ihres Hauses erwarten. Die komplette Bevölkerung stieg in ihre Caravans und Kombis mit deutschen Kennzeichen und fuhr für immer weg. Zurück blieben nur zwei, drei Alte, die wegstarben, noch bevor der Krieg zu Ende war. Während des Kriegs drängten Flüchtlinge in das Dorf, das bis dahin bei allen einfach Karawlachi geheißen hatte, Bosniaken aus der Stadt, die unmittelbar zu Beginn des Kriegs in die Hände der serbischen Armee gefallen war. Die Flüchtlinge blieben während des Kriegs hier, und als der Friede kam, kehrten einige von ihnen in die Stadt zurück, während sich andere im Dorf M. ein Haus bauten oder ein anderes Unterkommen fanden. Das Dorf, das einmal Karawlachi geheißen hatte, blieb völlig verlassen und hatte keinen Namen mehr, sodass man sich seiner auch nicht erinnern konnte.
2.
Eines Tages, zwei Jahre nach Kriegsende, kam eine Kolonne von mehreren alten, staubigen Pkws und Kombis durch das Dorf M. und fuhr weiter zu dem Dorf, an dessen Namen sich niemand mehr erinnerte. Die Dorfbewohner versuchten durch die verdunkelten Scheiben zu spähen, in der Meinung, in den Autos säßen Karawlachen, die vielleicht an ihre Herdstellen zurückkehrten, und es waren nicht wenige, die sich darüber aufrichtig freuten. Denn wenn sogar die Karawlachen an ihren Ort zurückkehrten, war das ein Zeichen, dass bessere Zeiten kamen. Aber durch die Scheiben konnten sie nur Männer mit langen ungestutzten Bärten erkennen.
3.
Und so zogen in das verlassene karawlachische Dorf, das jetzt von allen Ober-M. genannt wurde, Wahhabiten ein. Sie setzten für den Anfang mehrere Häuser instand, so viele, wie sie benötigten, und blieben hier, um nach ihren eigenen Gesetzen zu leben. Durch das Dorf M. fuhren jetzt immer öfter Autos mit bärtigen Männern, beladen mit allem Möglichen, und jeder wusste, da kommt ein „Bruder“ oder eine „Schwester“, wie sich die Wahhabiten untereinander nennen. Die Bewohner des Dorfes M. nahmen am Anfang gar nicht so viel Kenntnis von ihnen, denn sie kamen ausgesprochen selten ins Dorf herunter und kauften nur die allernotwendigsten Dinge. Ihre Kinder schickten sie nicht zur Schule, sondern unterrichteten sie selbst, den strengen Prinzipien ihres Glaubens entsprechend. Die Frauen verließen das Dorf nicht. Zuerst dachte man, es handele sich um ehemalige Mudschahedin aus den arabischen Ländern, aber das waren nur zwei, und die waren bald wieder irgendwohin verschwunden. Die Muslime aus dem Dorf M. wurden von den Wahhabiten tadelnd angesehen, denn nur wenige von ihnen verneigten sich fünf Mal am Tag zum Stundengebet, ihre Frauen waren nicht verhüllt, die Mädchen trugen enge Jeans und Minis, sie stöckelten mit hohen Absätzen übers Pflaster, und die meisten Männer tranken nicht nur Sliwowitz, sondern brannten ihn sogar, denn die Gegend ist bekannt für ihre Pflaumen und den guten „weichen“ Sliwowitz. Zwar hielten nach dem Krieg viele Bewohner den ganzen Ramadan ein und kamen auch freitags viel mehr Menschen zum Mittagsgebet zusammen als in den Jahren vor dem Krieg, aber die Wahhabiten sahen in ihnen trotzdem schlechte Gläubige.
XIV
1.
Es war Dezember, als der Regen endlich aufhörte. Es hatte sich abgekühlt, und die Luft roch nach Schnee. An diesem Morgen startete ich den Käfer und wollte ins Dorf zum Einkaufen, bevor der Schnee die Straße zuwehen würde. Der Schlamm auf dem Weg war gefroren, die dünne Eisschicht unter den Rädern zersprang hörbar. Als ich ankam, stand vor dem Laden ein blauer Kleintransporter. Von dem einachsigen Hänger luden zwei Burschen in Blaumännern