Название | Stil und Text |
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Автор произведения | Michael Hoffmann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | narr studienbücher |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823300175 |
Beim Entdecken der GestaltungsideeGestaltungsidee (Gedicht in Kalenderform) ist das Wissen des Rezipienten in zweifacher Hinsicht gefragt. Benötigt wird zum einen Sprachwissen: zu den Wortschatzbereichen Gattungsnamen, Monatsnamen und ZahlwörternZahlwort, zum anderen Kommunikationswissen: zu den typischen formalen Merkmalen von Kalendern und Gedichten. Wir kommen darauf zurück (siehe 3.1.2).
DISKUSSION
1 . Manche Texte weisen Stilbrüche auf. Wie verhält es sich hier mit der Ganzheitlichkeit von Stil?
‚StilbruchStilbruch’ ist eine Kategorie der Bewertung von Stil, bei der die GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip EinheitlichkeitEinheitlichkeit und StimmigkeitStimmigkeit als Bewertungsmaßstäbe fungieren. Es gibt gewollte (intendierte) und ungewollte Stilbrüche. Ein Beispiel für Letzteres ist eine kindersprachliche Äußerung wie Frau Müller, hast du einen Freund?, wo die förmliche Anrede und das familiäre Anredepronomen nicht zusammenpassen, unstimmig sind. Ein Beispiel für einen gewollten Stilbruch stammt aus einer Begräbnisszene in einer Filmkomödie. Der Trauerredner sagt Der teure Tote hat in seinem Leben stets die Kurve gekriegt. BrüchigBrüchigkeit an dieser Äußerung ist die Kombination von Ausdrücken der gehobenen und einer niederen StilschichtStilschicht (zum Begriff siehe Abschnitt 2.8.2). Der gehobensprachliche PhraseologismusPhraseologismus der teure Tote und der saloppsprachliche Phraseologismus die Kurve kriegen passen nicht zusammen. Sie sind für den GestaltungsaktGestaltungsakt Komisieren eingesetzt worden. Das Beispiel zeigt, dass auch Stilbrüche als StilgestaltenStilgestalt angesehen werden können – hier mit der GestaltqualitätGestaltqualität Komik als funktionalem Gestaltungszusammenhang zwischen zwei nicht zueinander passenden GestalteinheitenGestalteinheit. Dagegen müssen ungewollte Stilbrüche, die unfreiwillig komisch sein können, als Pannen oder auch als Fehler bei der Gestaltbildung eingestuft werden.
2 . Sind MustermischungenMustermischung Stilbrüche?
Legte man den Bewertungsmaßstab EinheitlichkeitEinheitlichkeit an, müsste man bei MustermischungenMustermischung (siehe dazu die Beispielanalysen zu den Texten 3 und 4 im Abschnitt 2.2) von gewollten Stilbrüchen sprechen. Legt man indes den Bewertungsmaßstab StimmigkeitStimmigkeit an, wird man in Mustermischungen, die dem Realisieren von GestaltungsideenGestaltungsidee dienen, keine Stilbrüche sehen, da die kombinierten Merkmale aus verschiedenen Mustern zueinander passen.
3. In der Literatur wird bisweilen davon gesprochen, dass StilgestaltenStilgestalt erst im Kopf des Rezipienten entstehen. Stimmt das?
Mit Ja beantwortet wird diese Frage u.a. von Ulf Abraham (1996: 290). StilgestaltenStilgestalt seien ein Gestalterlebnis und somit im wahrnehmenden Subjekt aufzusuchen, nicht im Text. Nach unserer Auffassung aber sind Stilgestalten wahrnehmbare und interpretierbare Ganzheiten im Text, d.h., ob und wie sie wahrgenommen und interpretiert werden, ist in der Tat rezipientenabhängig. Bevor sie jedoch wahrgenommen und interpretiert werden können, müssen sie wahrnehmbar und interpretierbar gemacht worden sein – sie sind also auch produzentenabhängig. Und als Gestaltungsprodukte sind sie – dieser Logik folgend – Eigenschaften von Texten. Anderenfalls müsste man auch Text und Stil voneinander trennen, so wie es Ulf Abraham konsequenterweise tut. Und folgte man dieser Auffassung, verlören auch gebräuchliche Gestaltkennzeichnungen wie Textdesign oder LayoutLayout (siehe Abschnitt 3.4.1) ihre Bindung an die Materialität von Texten und wären ausschließlich kognitive Entitäten.
2.4 Kontextbezogenheit
Wir machen uns jetzt die Erkenntnis zu Eigen, dass das Wesen und die kommunikative Leistungsfähigkeit von Stil nur dann erfasst werden können, wenn GestaltungsakteGestaltungsakt, Gestaltungsprodukte und interpretative Aktivitäten mit Gestaltungskontexten relationiert werden.
2.4.1 Gestaltungskontexte
„Stil ist immer das Wie einer Ausführung, auf welchem Gebiet des Lebens auch immer“ (Riesel/Schendels 1975: 15), aber, wie zu ergänzen ist, immer bezogen auf ein Was als Gestaltungskontext, denn: „Stil ist relational!“ (Sandig 2001). Wesentliche Gestaltungskontexte überblickend, ergibt sich folgendes Bild: Der Stil eines Textes steht in Relation
zu anderen Textstilen, von denen er sich unterscheidet;
zu textuellen Gestaltungsrahmen (wie TextsorteTextsorte oder Textgattung), innerhalb deren er sich entfaltet;
zu Ebenen der Vertextung (wie TexthandlungTexthandlung, TextthemaTextthema und TextarchitekturTextarchitektur), auf denen er sich manifestiert;
zu situativen Kontexten der Textkommunikation (dazu gehören die Kommunikationsteilnehmer in ihrer Sozialcharakteristik oder Individualität, aber auch der KommunikationsbereichKommunikationsbereich, der Kommunikationskanal u.a.m.), an die er angepasst, auf die er zugeschnitten werden kann, für die er typisch sein kann, auf die er verweisen kann.
Im Folgenden wenden wir uns einzelnen Vertextungsebenen zu und untersuchen, wie sie sich im Gestaltungsrahmen einer bestimmten TextsorteTextsorte stilistisch beschreiben lassen. Auf ‚Situation‘ als Gestaltungskontext kommen wir im Abschnitt 2.5 zu sprechen.
2.4.2 Stil auf verschiedenen Vertextungsebenen
2.4.2.1 TexthandlungTexthandlung: Stil als das Wie ihrer Durchführung
TexthandlungenTexthandlung sind textbildende Äußerungen oder Äußerungssequenzen. Auf der Texthandlungsebene ist Stil die Art und Weise, wie eine Texthandlung durchgeführt worden ist. Die Unterschiedlichkeit von Stil tritt bei konstant gesetzter Texthandlung zutage. Es gibt verschiedene Typen von Texthandlungen. Nach der jeweiligen kommunikativen Funktion muss unterschieden werden zwischen Texthandlungen, die der thematischen Entfaltung von Texten dienen, und Texthandlungen, die auf das Erzeugen von thematischem Textsinn gerichtet sind. Beispiele für Erstere sind BESCHREIBENBESCHREIBEN (von Gegenständen und Vorgängen), BERICHTENBERICHTEN (über ein Ereignis), ERÖRTERN (von Problemen), ARGUMENTIERENARGUMENTIEREN (zu einer strittigen These), ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen (einer Geschichte), SCHILDERNSCHILDERN (von Eindrücken) und ERKLÄREN (von Sachverhalten). Texthandlungen dieses Typs gelten als „Grundformen thematischer Entfaltung“ (Brinker 2010: 56ff.). Beispiele für Letztere sind MITTEILENMITTEILEN, BITTENBITTEN, SICH-ENTSCHULDIGENSICH-ENTSCHULDIGEN, GRATULIERENGRATULIEREN und BEVOLLMÄCHTIGENBEVOLLMÄCHTIGEN. Mit Texthandlungen dieses Typs werden kommunikative Kontakte zwischen den Kommunikationspartnern hergestellt.
Unsere bisherigen Beispielanalysen wurden aus gutem Grund textsortenbezogen durchgeführt. TextsortenTextsorte sind aus der kommunikativen Praxis von Menschen hervorgegangen und komplexe Muster für die Bewältigung konkreter kommunikativer Aufgaben in einem konkreten SituationskontextSituationskontext (siehe auch 2.7.1). Die Muster von Textsorten schließen Texthandlungs- und GestaltungsmusterGestaltungsmuster ein. Es gibt textsortentypische GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip, die im Kontext textsortentypischer TexthandlungenTexthandlung den Status von Gestaltungserfordernissen, Gestaltungsalternativen oder Gestaltungsoptionen haben. Greifen wir exemplifizierend noch einmal die Textsorte Kontaktanzeige auf und überlegen wir uns, wie sich textsortentypische Wie-Was-Relationen im Bezugsfeld von Texthandlung bzw. Texthandlungsstruktur (einer Verknüpfung von Texthandlungen) ausfindig machen lassen.
DD, Mann, 40+/186/90, sportl., naturverb., attr., kreativ, kunstint., intell., offen, belesen, selbstst., komm., ehrlich, vielgereist, bodenständig, m. Kinderwunsch. BmB.
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