Deutsch als Zweitsprache. Barbara Geist

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Название Deutsch als Zweitsprache
Автор произведения Barbara Geist
Жанр Документальная литература
Серия Linguistik und Schule
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823301899



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leider bislang häufig mehr als Risikofaktor denn als Ressource gesehen wird. In Kapitel 1.3 wird in den Zweitspracherwerb in Abgrenzung von anderen Spracherwerbstypen eingeführt; anschließend wird die Bedeutung eines gemeinsamen Unterrichts aller SuS betont (Kap. 1.4). Zuletzt wird unter 1.5 der Aufbau des Buches erläutert.

      1.1 Migration und Bildung

      Sinnvoll wäre es an dieser Stelle, speziell auf SuS mit DaZ im Unterschied zu solchen mit Deutsch als Erstsprache (DaE) einzugehen und differenzierte Informationen zur Kontaktdauer zur Zweitsprache (L2) oder zum Alter bei Erwerbsbeginn anzugeben. Hintergrundvariable in Schulleistungsstudien und den aktuellen Bildungsberichten ist jedoch nicht die Sprachbiographie der Kinder und Jugendlichen, sondern der Migrationshintergrund. Zwar besteht eine große Schnittmenge zwischen SuS mit DaZ und solchen mit Migrationshintergrund. Jedoch ist klar, dass einerseits SuS mit Migrationshintergrund das Deutsche nicht zwingend als L2, sondern bereits als (eine) Erstsprache (L1) erwerben können, dass es andererseits aber auch SuS mit DaZ gibt, die keinen Migrationshintergrund1 haben, die also beispielsweise einer der in Deutschland vorkommenden sprachlichen Minderheiten angehören oder die (Ur-)Großeltern haben, die nach Deutschland eingewandert sind. Aussagen über Bildungserfolge oder Kompetenzen sind daher nur für SuS mit Migrationshintergrund im Vergleich zu SuS ohne Migrationshintergrund möglich:

      Im Jahr 2010 stammte mehr als ein Drittel der in Deutschland geborenen Einjährigen aus Familien mit Migrationshintergrund. In Großstädten wie Augsburg, Hamburg oder Duisburg betrifft dies mehr als 50 % der Kinder eines Geburtsjahrgangs (Brandt/Gogolin 2016). Der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter 15 Jahren lag 2013 bei mehr als 42 % (Statistisches Bundesamt 2014: Mikrozensus 2013). Prägend für diese Gruppe ist unter anderem, dass Eltern mit Migrationshintergrund häufiger keinen Schul- bzw. Berufsabschluss haben bzw. ihre schulische Ausbildung häufiger nach der Grundschule endete (6–12 %) als Eltern ohne Migrationshintergrund (rund 1 %), die durchschnittlich über höhere Bildungsabschlüsse verfügen als Eltern mit Migrationshintergrund. Neben einer geringeren Qualifikation der Eltern sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich häufiger auch von anderen Risikolagen betroffen, die den Bildungserfolg gefährden können, wie Erwerbslosigkeit der Eltern und geringes Einkommen (Bildungsbericht 2016: 168). Auch wenn sich der Besuch einer Kindertagesstätte unter den Drei- bis Sechsjährigen 2015 zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund nur noch gering unterscheidet (90 vs. 97 %), ist der Unterschied in der Altersgruppe unter drei Jahren (22 vs. 38 %) immer noch gravierend. Welche Konsequenzen hat das für den Bildungserfolg? Wie Britz zu Recht hervorhebt, bestätigt „Gleichbehandlung […] bei ungleichen Startbedingungen die Benachteiligungen, daher die Forderung nach Anerkennung der Differenzen und insbesondere der unterschiedlichen (Lern-)Ausgangslagen der SchülerInnen“ (Britz 2006: 29). Die starke Bildungsbenachteiligung statt Bildungsbeteiligung spiegelt sich auch in der Verteilung der SuS auf die Schulformen im dreigliedrigen Schulsystem wider: „Während im Schuljahr 2014/15 Jugendliche ohne Migrationshintergrund fast zur Hälfte ein Gymnasium besuchten (rund 44 %) und nur zu 8 % Hauptschulen, besuchte lediglich knapp ein Viertel (24 %) der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein Gymnasium und ein weiteres Viertel (25 %) eine Hauptschule“ (Bildungsbericht 2016: 174). Bildungsinstitutionen erzeugen somit „aufgrund ihrer kulturell und sprachlich einseitig geprägten Strukturen einen Rahmen, in dem Ungleichheit reproduziert und produziert wird“ (Mecheril 2004: 154).

      Nicht einbezogen in Schulleistungsstudien werden bislang die SuS mit DaZ, die keine Regelklasse besuchen. Deren Integrationsprozess ist in vielen Bundesländern in Etappen gegliedert. Insbesondere SuS ohne Deutschkenntnisse beginnen ihre Schullaufbahn häufig in sogenannten Vorbereitungs-/DaZ-/Seiteneinsteigerklassen (Massumi et al. 2015).2 In Sachsen ist die Integration beispielsweise in drei Etappen gegliedert: (1) Besuch der Vorbereitungsklasse, (2) Teilintegration in die Regelklasse und parallele Förderung in der Vorbereitungsklasse sowie (3) vollständige Integration in die Regelklasse, wobei der „Prozess der Teilintegration […] entsprechend den individuellen Voraussetzungen so früh wie möglich einsetzen“ soll (Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2009: 5). Die dritte ‚Etappe‘ stellt eine große Herausforderung für alle Lehrkräfte dar, ist „Deutsch als Zweitsprache“ doch schullaufbahnbegleitend zu unterrichten (Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2009: 6). Für die SuS ist sie die längste ‚Etappe‘, und sie stellt insbesondere für SuS, die bereits in Deutschland geboren sind, den Regelfall dar – auch wenn dieser nicht als „Etappe“ bezeichnet wird. Die ergänzende Unterstützung für die sprachsensible Gestaltung des Fachunterrichts und die Ressourcen für zusätzliche sprachliche Bildung und Förderung werden in den Bundesländern bislang in sehr unterschiedlichem Maße zur Verfügung gestellt.

      1.2 Mehrsprachigkeit

      Weltweit werden 4000 bis 7000 Sprachen in etwa 200 Staaten gesprochen; in der Mehrheit der Länder ist demnach weit mehr als eine Sprache in Gebrauch. Global ist Mehrsprachigkeit also der Normalfall (Grosjean 1982). Trotz Arbeitsmigration, Flüchtlingsbewegungen und Globalisierung verharren aber nach wie vor viele Staaten in einer Nationalstaatenideologie vergangener Jahrhunderte (Tracy 2014). So wurde vonseiten der Politik (in der Vergangenheit) immer wieder eine ‚Deutschpflicht‘ für Migranten gefordert, die nicht nur für die Schule, sondern teils auch in privaten Kontexten gelten sollte (z. B. in der Süddeutschen Zeitung am 08.12.14). Solche Forderungen ignorieren Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung und verkennen den Fakt, dass Deutschland mehrsprachig ist. Schon lange sind in Deutschland Sorbisch (in Brandenburg und Sachsen) und Dänisch (in Schleswig-Holstein) anerkannte Minderheitensprachen; an den Grenzen gibt es, ebenso wie im Inland, bereits einige (wenn auch noch zu wenige) bilinguale Schulen; in Arbeitskontexten ist es selbstverständlich, neben dem Deutschen auf andere Sprachen zurückzugreifen. In deutschen Großstädten werden ungefähr 200 verschiedene Sprachen gesprochen (Tracy 2014: 15). Allerdings hat die Europäische Union im Zuge ihrer Mehrsprachigkeitspolitik die wenigsten dieser rund 200 Sprachen im Blick, sondern fokussiert fast ausschließlich die ‚großen‘ europäischen Sprachen. Ebenso wenig finden viele dieser Sprachen Aufnahme in Schule und Unterricht. Darin und nicht etwa in der Mehrsprachigkeit an sich liegt eines der Kernprobleme der Bildungspolitik: Zum einen haben die Sprachen, welche viele SuS bereits mit in die Schulen bringen, weder als Unterrichtsmedium noch als Unterrichtsgegenstand einen festen Platz. Zugleich wird allen Kindern bis zum Schuleintritt zu wenig Gelegenheit geboten, sich die in der Schule benötigten sprachlichen Repertoires anzueignen (Tracy 2014: 15).

      Bevor genauer auf individuelle Mehrsprachigkeit und damit verbunden auf die Verwendung mehrerer Sprachen eingegangen wird, wird im Folgenden definiert, wen wir als mehrsprachig bezeichnen: Als mehrsprachig wird der- / diejenige bezeichnet, der / die regelmäßig mehr als eine Sprache verwendet (Grosjean 2008: 10) und in der Lage ist, in mehr als einer Sprache Alltagsgespräche zu führen (Tracy 2014: 17). Dass nicht alle Sprachen, über die eine Person verfügt, gleicherweise verwendet werden, ist in dieser Definition bereits enthalten. Darüber hinaus gelten in Anlehnung an die Unterscheidung innerer wie äußerer Mehrsprachigkeit (Wandruszka 1975) auch Dialekte und Ethnolekte als Sprachen. So zeigt Wandruszka, wie vielfältig bereits die „muttersprachliche Mehrsprachigkeit“ (ebd.: 322) in Form von Regio- oder Soziolekten ist, die uns von Kindheit an begegnen. Diese Definition von Mehrsprachigkeit umfasst nicht nur im engeren Sinn gesprochene Sprachen, sondern auch Gebärdensprachen (Becker / Jäger 2019), die ebenso wie gesprochene Sprachen regionale Unterschiede (Dialekte) aufweisen und sich weltweit unterscheiden.

      „Individuelle Mehrsprachigkeit bringt kognitive, lernpsychologische, kreative, interkulturelle, metalinguistische und pragmatische Vorteile“ (Marx 2014: 8), die schulisch und gesellschaftlich zu nutzen sind. Das bedeutet beispielsweise, SuS ihre weiteren Sprachen im Unterricht verwenden zu lassen (s. hierzu u. a. Lengyel 2016). Bereits Dirim (1998) zeigte eindrücklich, wie sinnvoll Grundschulkinder ihre L1 im Unterricht einsetzen, um sich Inhalte zu erschließen, organisatorische Dinge zu klären und miteinander zu kommunizieren. Brandt und Gogolin (2016) belegen am Beispiel zweier Schülerinnen einer 10. Klasse den Nutzen der L1 für die inhaltliche Bearbeitung eines Textes im Geschichtsunterricht. In der Partnerarbeit wählen die SuS die Sprache(n) frei.

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