Название | Das Erzählwerk Cécile Wajsbrots |
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Автор произведения | Herbert Huesmann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | edition lendemains |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823300304 |
Schauplätze der Handlung in Paris
Da eine Lokalisierung der in Paris gelegenen Schauplätze nicht erfolgt, können topographische oder topologische Bezüge zwischen ihnen nicht hergestellt werden. Ob und ggf. in welcher Art und Weise – in ihrer Einzelwirkung oder in ihrem wechselseitigen Verhältnis – die in Paris situierten Orte die handelnden Figuren beeinflussen, ist gleichwohl zu analysieren.
Das Archiv – Hugo
Der Arbeitsort Hugos sind „[l]es archives de la ville.“ Dort werden, wie wir zu Beginn des Romans erfahren, die Geschichten seit langem Verschollener sowie in Vergessenheit geratene Pläne und Ideen aufbewahrt und „[…] Hugo les classait, les cherchait, il les trouvait, un travail d’archéologue, travail de géologue pour dessiner sous la ville apparente, présente, une autre ville, surgie des refus et des destructions, et qui n’existait pas.“1 Von „ihr“ hingegen, der von ihm begehrten Frau, gibt es keinerlei Hinterlassenschaft. In einem traumhaft anmutenden Dialog mit „ihr“ versichert er jedoch, dass er die Erinnerung an sie, die niemand vergessen könne, bewahren werde.2 Obwohl Hugo als Archivar Dokumente der Vergangenheit konserviert, wie ein Archäologe oder Geologe die verschütteten Schichten vergangener Zeiten aufdeckt und so das Bild einer anderen, in der Vergangenheit lebenden Stadt entstehen lässt, ist dies offensichtlich nicht sein wichtigstes Anliegen: „[…] rien de ce qui était conservé ne lui importait et ce qui lui importait n’était gardé nulle part.“3 Seinen eigentlichen Daseinszweck offenbart er, wenn er auf „ihre“ Frage „Tu seras ma mémoire?“ spontan „Je serai ta mémoire“4 antwortet. Er bietet sich ihr also nicht mehr nur als „gardien de sa mémoire“ an, sondern verschreibt sich ihrem Gedenken mit seiner ganzen Existenz und bekundet damit seine bedingungslose Hingabe. Was diese Aussage in letzter Konsequenz bedeutet, wird in 2.1.3 dargelegt.
Antiquitätengeschäft – François und Hugo
François bewegt sich als Inhaber eines Antiquitätengeschäftes in einem sein Leben prägenden Arbeitsraum, in dem Objekte der Vergangenheit wie geronnene Zeit präsentiert und zum Kauf angeboten werden. Alterungs- und Abnutzungsprozesse haben seit Eröffnung des Ladens nicht nur die Gegenstände wie z.B. seinen hohen Sitzhocker, sondern auch ihn selbst erfasst. Der Verlauf der Zeit wird im Ambiente der „boutique d’antiquités“ materialisiert, wobei sich sowohl die Gegenstände als auch François selbst nicht in ihrem Wesen, sondern nur in ihrem äußeren Erscheinungsbild verändert haben.1
Bei der Beschreibung des Antiquitätenladens lässt die Erzählinstanz der Wirkung von Spiegeln, die den Raum in ein „[…] labyrinthe de reflets […]“2 verwandeln, besondere Bedeutung zukommen. „Ihr“ erstes Erscheinen in seinem Laden erlebt François keineswegs in unvermittelter Direktheit, sondern unter den besonderen Bedingungen eines Spiegelkabinetts:
En poussant la porte, on ne pouvait que se voir, mais elle était entrée sans hésiter. François avait aperçu son reflet dans le miroir vénitien qui lui faisait face, reflet encadré d’or vieilli, troublé par la patine d’un autre temps, qui lui allait bien. Après, levant les yeux, il l’avait vue, tellement présente. Ses yeux bleu océan l’avaient frappé – dans un miroir on ne remarque pas la couleur des yeux.3
Der erste Anblick der Frau, der sich François bietet, kommt durch die Reflexion eines Spiegelbildes zustande, das in einen Rahmen aus gealtertem Gold eingefasst und durch eine Patinaschicht eingetrübt ist. Der ihrem Abbild dadurch offensichtlich verliehene besondere Charme geht einher mit einem Mangel an Klarheit. Dies wird François bewusst, als er, ihr gegenüberstehend, die im Spiegelbild nicht wahrnehmbare Farbe ihrer Augen erkennt, die bezeichnenderweise als „bleu océan“4 beschrieben wird, ein erstes proleptisches Signal, das beim Wiederlesen des Textes unschwer als Hinweis auf den Atlantik verstanden werden kann, in den das Flugzeug, mit dem „sie“ von Brasilien nach Europa zurückfliegt, abstürzt. Doch nicht nur der im Eingangsbereich der Boutique aufgestellte, sondern „[t]ous les miroirs renfermaient quelque chose d’elle.“5 François erlebt diese geheimnisvolle Aura als „[u]ne présence impalpable, invisible, impossible, sans réalité mais combien plus vraie que les objets qui l’entouraient, présence qui l’accompagnait et le jour et la nuit“. Darüber hinaus entfaltet „das erste Mal“, die besondere Atmosphäre ihres ersten Erscheinens, auch weiterhin eine nachhaltige Wirkung „[…] dans chacun de ses gestes ou dans chaque pensée, et construisait le pont d’une rive à l’autre de sa vie – sa vie dévastée.“6 Mit „ihr“ ist somit eine Frau in den innersten Bezirk seines Lebens vorgedrungen, deren über Spiegel vermittelte Präsenz eine einem Vexierbild ähnliche Täuschung hervorruft: Einerseits verflüchtigt sich ihre Anwesenheit bis ins Unwirkliche, andererseits ist sie von ungleich größerer Authentizität als die der sie umgebenden Exponate, zumal der Eindruck ihres ersten Erscheinens in seinem „aufgewühlten Leben“ (sa vie dévastée) zunächst eine grundsätzliche Veränderung bewirkt und einen neuen Horizont eröffnet.
Auf den Besuch Hugos reagiert François mit einer Geste eindeutiger Distanzierung, die die Erzählinstanz durch die Beschreibung des Sitzarrangements, also durch eine räumliche Konstellation, klar zum Ausdruck bringt. Bereits die Ladentheke trennt die beiden klar voneinander. Der Abstand wird zusätzlich dadurch betont, dass François seinem Überraschungsgast einen unbequemen, niedrigen Stuhl zuweist, während er selbst auf seinem hohen Hocker hinter der Ladentheke Platz nimmt und sich mit der Hand oder dem Ellenbogen aufstützt. Die Szene erinnert an die Situation in einer Bar, in der ein Gastwirt einen Gast mit unbekannter Herkunft und unbekanntem Ziel empfängt und ihn beiläufig nach seinen Wünschen fragt.7
Hugo seinerseits fixiert François mit einem prüfenden Blick, als ob er ihn zum ersten Mal sähe. Bei ihrer ersten Begegnung beeindruckte François ihn nicht durch besondere Ausstrahlung oder Ausdrucksstärke, vielmehr wirkte er auf ihn in seiner Schwerfälligkeit und mit seinem Mangel an Charme wie eines jener zahlreichen gewöhnlichen Exponate, die in seinem Laden ausgestellt und nicht zu übersehen waren, gleichzeitig jedoch die Kommunikation behinderten: „[…] il était posé là comme un vase au milieu d’une table, impossible à ignorer, qui obligeait sans arrêt à tourner la tête pour éviter de le voir […]“. Ein „inspirierender Funke“ ging von ihm nicht aus, eher gewann Hugo den Eindruck, dass auch „sie“, in der er bislang „[…] une ombre de quelque chose […]“ wahrzunehmen meinte, in seiner geradezu monsterhaft-animalischen Natur aufzugehen schien: „[…] elle-même […] se fondait aussi dans l’animal monstrueux, l’incompréhensible chimère, le couple, cet être hybride sans destinée.“8 So vermochte Hugo nicht zu entscheiden, ob „sie“ sich in dem auf jedem Quadratmeter von Objekten überbordenden Laden für eines der präsentierten Möbelstücke bewusst entschieden oder aber ob sie sich „[…] dans l’univers étranger de François […]“9 tatsächlich eingerichtet hatte.
Le café de l’avenue calme – Begegnung zwischen Hugo und „ihr“
Für die Darstellung der Beziehung zwischen Hugo und „ihr“ wird die „terrasse intérieure“, also der Wintergarten in einem „café de l’avenue calme“, zu einem wichtigen Ort.1 Zu dem vereinbarten Treffen erscheint „sie“ bewusst als erste, um zu vermeiden, dass ihr Kommen beobachtet wird. Ihre frühe Ankunft verschafft ihr den Vorteil, sich selbst, „[…] réfugiée comme un chat sous le dernier soleil“, als Abwartende wirkungsvoll „in Szene zu setzen“, was Hugo auch so empfindet.2 Die Erzählstimme schafft damit von vornherein eine räumliche Konstellation zwischen den handelnden Figuren, die Dominanz und Abhängigkeit klar hervortreten lässt. Dieses Verhältnis wird sogleich in einer Bildfolge wasser-, raum- und stadtbezogener Metaphern entfaltet:
Elle plongea en lui, traversant d’une coulée les remparts, les forteresses, les barrages accumulés par les épreuves du temps – ils se couchaient sur son passage, dociles ou vaincus, sans résister – accumulés ils se couchaient – et lui ne se sentait plus, devant elle, qui n’avait encore rien dit, rien demandé, qu’une place-forte désertée, une immense