Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz

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Название Beziehungsweisen
Автор произведения Elazar Benyoëtz
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772001093



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Sonnemann zum 80. Geburtstag. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992, S. 251–263; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein; Grubitz: Dasein ist hiersinnig, S. 69–80

      An Anemone Bekemeier, AnemoneBekemeier, 14. Mai 1992 Nr. 29

      Nimm zum Beispiel Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa. Es ist recht bescheiden, was in diesem hübschen Heft* abgedruckt ist, schaust Du aber genau hin, findest Du meine ganze Intention, und es fragt sich, warum sie Dir so viel zu schaffen machen soll. Auf S. 22 steht: „Verse immerzu, ich vertreibe sie, wie immer, bis ich eine wirkliche Zeile höre.“ Und: „Aber ‚Michal‘ gelingt noch nicht, das heißt, da schwirrt etwas Zweitrangiges“. Also: eine wirkliche Zeile – und nichts Zweitrangiges.

      * Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa: Vor den Fenstern Frost. Gedichte und Prosa. Übersetzt von Barbara Honigmann und Fritz Mierau. Berlin: Friedenauer Presse 1988, S. 22

      An Christoph Grubitz, ChristophGrubitz, 17. Februar 1993 Nr. 30

      Freut mich, dass Du endlich Sonnemanns Festschrift bekommen hast. Mein Büchlein darin* – samt Untertitel – müsstest Du unbedingt in der neuen Fassung Deines Buches** berücksichtigen. Für meinen leidenden Freund bete ich täglich. Übrigens sagte er mir, dass er „Was nicht zündet …“ ganz anders las und erlebte als alle meine anderen Bücher. Es erschien ihm als etwas „ganz Ganzes“, ganz Menschliches, schon ganz Verklärtes, und er betonte das mit dem Wort: universell. Er sprach davon sichtlich gerührt. Gern wollte er ein Nachwort zur geplanten, erweiterten Ausgabe schreiben, „wenn man ihm dazu Zeit lässt“. Aber er ist zum Schreiben nicht mehr fähig, ist schwach und verunsichert. Ich wollte Dir eben eine schöne Widmung von ihm mitteilen***, die auf den Unterschied zwischen mir und Kraus, KarlKraus**** abzielt, aber nach einem halbstündigen Suchen finde ich das Buch noch immer nicht!

      * Siehe Anmerkung zum Brief Nr. 28

      ** Christoph Grubitz, ChristophGrubitz: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz.Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8)

      *** Sie lautet: Dem Freund und Sprach-Hauptmitbewohner. Zu Paul Schick, PaulSchick

      **** zu Karl Kraus, KarlKraus vgl. Olivenbäume, S. 15 et pass; vgl. Aberwenndig, S. 37

      An Matthias Hermann, MatthiasHermann, 22. Februar 1993 Nr. 31

      Du bist ein guter, ernster Leser. Ich kann Dich jetzt, anhand Deines Briefes, gut dabei beobachten. Du gefällst mir in Deiner Strenge. So muss es sein, unter Dichtern, die Dichtung betreffend. Und doch ist die Verantwortung des „aphoristischen Dichters“ eine weitere oder jedenfalls eine andere, was zur Folge hat, dass Poetik und Rhetorik mitunter auseinandergehen, bzw. in Widerspruch zueinander geraten. Ich muss an vielerlei Menschen denken, auch an solche, die mit Poesie nichts zu tun haben. Die vielen Menschen, die bestimmte Zeit, die Herausforderung eines Augenblicks, die Reizbarkeit eines Nervs, die Art und Intention eines Büchleins – sie alle spielen eine Rolle, machen Strategien nötig. Freilich ist auch dies ohne Selbstbetrug weder denkbar noch zu machen. Das hast auch Du zwischendurch gemerkt, so z.B. wenn Du zum Folgenden – „Was du nicht verhinderst, das hast du geschehen lassen“ – schreibst: „Auch nicht neu, doch aus aktuellem politischen Anlass würde ich es stehen lassen.“

      Der aktuelle politische Anlass – zumal der altneue Antisemitismus – steht ja vor und über diesem Büchlein – „Träuma“ –, das ich auf die Herausforderung Rufus Flügge, RufusFlügges, des ehemaligen Superintendenten von Hannover, geschrieben habe. Als ich nämlich von meiner letzten Lesereise zurückkehrte, fand ich seinen Brief vor, der also endete: „Erheben sollst Du Deine Stimme.“ Also versuchte ich, meine Stimme zu erheben. Flügge, RufusFlügge schreibt mir zum Manuskript: „Die Reihenfolge und Kapiteleinteilung ist in dieser Form sehr einleuchtend, es ist ein fortlaufender Gedankengang und zum Lesen und wahrscheinlich zum Vorlesen gut geeignet. Es sind viele besondere Kostbarkeiten darin. Du erhebst deine Stimme wie eine Posaune. Schone nicht.“ Ich schone nicht und schone doch auch, denn ich möchte viele erreichen. Das wird mir oft nur mit einem Satz gelingen. Und auch dies wäre schon ein Erfolg.

      Das, lieber Matt, vermag überlegene Ironie allein nicht. Natürlich kommt sie bei mir vor und ist auch Dir, so unangenehm Dich der „heilige Ernst meiner Prosa“ berührt, nicht ganz entgangen.

      Heilig – ja; gesalbt – nein; auch nicht weihevoll. Es gibt eine seelsorgerliche Sprache, die viele nicht mehr verstehen und nur wenige noch sprechen, diese aber wissen sie zu schätzen und wüssten mir Dank, wenn sie fühlten, dass ich gerade sie meine, da ich mich ihrer Sprache bediene.

      „Ordination“, übrigens, habe ich nicht geschrieben, sondern aus dem Stegreif für Silke* in ihrer Kirche gesprochen. Ich mache nicht gern „Sprüche“, aber auch Salomo machte sie nur ungern, was besagt, dass sie gemacht werden mussten.

      „Hinfällig ist alles, was auf Gott hofft und nicht baut“ ist nach meinen Begriffen gerade nicht erbaulich. Ich habe alle Deine Anmerkungen in das Manuskript eingetragen, so habe ich jetzt ein ganz interessantes Exemplar.

      Deine treffende, nicht zutreffende Bemerkung „Wenn sie doch wenigstens unsere Witze sammeln würden, die mit lachendem und weinendem Auge entstanden, sie hätten beides – die Tränen und den Witz“ wollte ich, da sie mich entzückte, gleich in mein Büchlein aufnehmen – mit Deiner Erlaubnis, versteht sich. Aber Deine Bemerkung brächte meinen Satz doch um seine schon erprobte Wirkung. Auch trifft sie, wie gesagt, nicht zu. Jüdische Witze wurden und werden gesammelt. Und mancher lacht dabei Tränen.

      * „Ordination“: Träuma. Herrlinger Drucke 3, Mai 1993, S. [15], [38]; Silke Alves-Christe, SilkeAlves-Christe, vgl. Brief Nr. 136

      An Hans Otto Horch, Hans OttoHorch, 22. Juli 1993 Nr. 32

      Ich sollte Ihnen längst schreiben, wollte es aber nicht tun, ehe ich Ihren „Strauß, LudwigStrauß“* gelesen habe.

      Zum Anfang Ihres Nachworts möchte ich bemerken, dass mir das direkte und ehrliche Zeugnis Albrecht Schaeffer, AlbrechtSchaeffers** besser gefallen würde als das indirekte Hannah Arendt, HannahArendts; und gerade von Ihnen hätte ich es erwartet, zumal nach unserem Gespräch hier. Es ist sehr wichtig, dass wir deutsche Zeugen und Zeugnisse finden, verhören, vernehmen und auch beherzigen. Schaeffer, AlbrechtSchaeffers Beitrag über Strauß, LudwigStrauß ist ein Zeugnis, das nicht unbeachtet bleiben darf, auch poetologisch nicht, obschon er umständlich ist und mitunter leicht konfus erscheint. Ich schätze seine Resultate, mehr noch sein Bemühen, am meisten seine Bereitschaft, dem jüdischen Dichterfreund einen hohen Rang und einen ehrenvollen Platz in seiner Dichter-Galerie zuzuweisen.

      Das Interessanteste an Strauß, LudwigStrauß ist, dass er auf allen Gebieten Bedeutendes leistete, aber in seiner Bedeutung nicht vermochte, anstachelnd zu wirken. Er ist zu gut, um noch interessant zu sein. Dass er „beides zugleich und in eins war“, daran liegts. Es fehlt die Zerrissenheit. Und was könnte entbehrlicher sein als ein jüdischer Hölderlin, FriedrichHölderlin? Ludwig Strauß, LudwigStrauß ist der größte Entbehrliche der deutsch-jüdischen Dichtung, und eben das macht ihn mir interessant und auch (seiner hebräischen Gedichte wegen) teuer. Man kann von ihm nur viel lernen, nicht viel haben. Er ist allemal ein Gewinn, aber keine Bereicherung.

      * Ludwig Strauß, LudwigStrauß: Prosa und Übertragungen. Gesammelte Werke. Bd. 1. Hg. von Hans Otto Horch, Hans OttoHorch. Göttingen: Wallstein 1998 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 73)

      ** Albrecht Schaeffer, AlbrechtSchaeffer: Über Ludwig Strauß. In: Ders.: Dichter und Dichtung. Kritische Versuche. Leipzig: Insel 1923, S. 83–125

      An Hans Otto Horch, Hans OttoHorch, 29. September 1993 Nr. 33

      Sie haben, bis auf einen Punkt, in allem recht. Auch mit „Träuma“. Es ist ein zwiespältiges Wort für eine zwiespältige Sache, ein missglücktes Wort für eine missglückte Sache oder noch besser: ein unglückliches Wort für eine unglückliche Entwicklung. („Treffpunkt Scheideweg“ hieß ursprünglich „Träuma“.) Ihre ernsthaften Bemühungen um Ludwig Strauß, LudwigStrauß gaben mir Anregung und Anlass, noch einmal meine Stellungnahme zu ihm zu formulieren. Das tat ich in einem Brief an Sie. Gut möglich, dass ich mein Urteil revidiere, solange bleibt mein letztes