Название | Zwischen Zeit und Ewigkeit |
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Автор произведения | Richard Stiegler |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867813709 |
Unser Blick geht dabei vom äußeren Schein der Dinge weg und wendet sich immer mehr nach innen. Wir fragen uns, was in unserem Geist geschieht, dass bestimmte äußere Erfahrungen zutage treten. Was ist der Grund dafür, dass sich innere Perspektiven und damit einhergehend die äußere Weltsicht verändern? Welche Bedeutung haben dabei Bewusstseinszustände und können wir diese für unser Leben nutzbar machen?
All diese Fragen führen uns von der Oberfläche des Lebens zum Hintergrund des Bewusstseins, aus dem heraus sich unsere Erfahrungen bilden. Denn zuinnerst und zuerst steht hinter allen äußeren und inneren Erfahrungen das Bewusstsein als der Erfahrungsraum, in dem sich unterschiedlichste Erfahrungsdimensionen abbilden. Das Bewusstsein ist das Subjekt, in dem sich alle Phänomene spiegeln. Sogar die Erfahrung der eigenen Person, die in einem Körper erscheint, ist nichts weiter als ein Objekt im Spiegel des Bewusstseins.
Kein Objekt, keine Erfahrung, kann unabhängig vom Subjekt in Erscheinung treten, da es ein Objekt ohne Subjekt nicht gibt. Daher ist für das jeweilige Zustandekommen einer Erfahrung entscheidend, welche Perspektive das Subjekt einnimmt und welche Beschaffenheit es hat. Oder anders gesagt: Auf was richtet sich unser Bewusstsein und wie ist es gerade beschaffen? Diese Frage steht am Anfang aller Erfahrungen und entscheidet letztlich darüber, wie wir das Leben konstruieren.
Um die Bedeutung dieser Frage anschaulich zu machen, kann es helfen, sich mit Fotografie zu befassen. Fotografieren ist die Technik, Objekte in der äußeren Welt abzulichten. Jede Fotografin weiß aber, dass das jeweilige Bild in Abhängigkeit zum Subjekt der Fotografin und zur Beschaffenheit der Linse ihres Fotoapparats entsteht. Was bewegt die Fotografin gerade? Was sieht sie? Welchen Fokus auf das Objekt nimmt sie dadurch ein? Welchen Bildausschnitt wählt sie? Wie stellt sie die Brennweite und die Schärfe der Linse ein? Wenn wir den Fotoapparat als Verlängerung des Bewusstseins und der Wahrnehmungsorgane einer Fotografin betrachten, dann ist das jeweilige Bild eben nicht nur ein Produkt des Blickwinkels, den die Fotografin einnimmt, sondern auch der Beschaffenheit ihres Bewusstseins.
Jedes Foto weist uns damit auf das im Hintergrund stehende Bewusstsein der Fotografin hin, aus dessen Beschaffenheit heraus das Bild entstanden ist. Sichtbar ist aber zunächst nur das Foto, nicht das Subjekt, das es geschaffen hat. Genauso wenig, wie wir unser eigenes Bewusstsein wahrnehmen, wenn wir ein Foto anschauen. Und doch gibt es die Erfahrung des Fotos ohne unser Bewusstsein und ohne das Bewusstsein der Fotografin nicht.
Wenn wir diese Welt und unser menschliches Leben tiefer begreifen wollen, dann ist es unumgänglich, dass wir in den Blick nehmen, was hinter allen Dingen steht: das Bewusstsein und seine Beschaffenheit. Es ist der Kristallisationspunkt, aus dem heraus verschiedene Welten nebeneinander und ineinander in Erscheinung treten. Nur wenn wir diese grundlegende Dynamik und ihre Gesetzmäßigkeiten tiefer begreifen, werden wir das Wunder der Schöpfung nochmals neu erfassen und lernen, kreativ als Mensch darin zu leben.
In den nun folgenden Kapiteln werde ich die drei grundlegenden Bewusstseinszustände und ihre Gesetzmäßigkeiten darstellen – die äußere Welt der Alltagsrealität, die innere Welt der Seelischen Realität und unser Innerstes, die Absolute Realität.
Kapitel 2
Die äußere Wirklichkeit – die Alltagsrealität
Die Wirklichkeit, oder die Welt, wie wir sie alle kennen, ist nur eine Beschreibung. Sie ist ein endloser Strom von Interpretationen von Sinneswahrnehmungen, die wir, die Einzelnen, die eine besondere Gruppenzugehörigkeit teilen, übereinstimmend zu deuten gelernt haben.
Carlos Castaneda
Ich stelle mir manchmal vor, wie es wäre, wenn ein Mensch, der im Urwald aufgewachsen und nie der Zivilisation begegnet ist, plötzlich in eine moderne Großstadt kommen würde. Die meisten Vorgänge, die das Leben eines modernen Menschen ausmachen, wären ihm wahrscheinlich fremd und unverständlich.
Ein Urwaldbewohner kennt keine Gehsteige und keine Fahrbahn. Er weiß nichts vom Sinn der Ampeln und wird Autos für gefährliche, unberechenbare Ungetüme halten. Da er die Regeln nicht kennt, nach denen sich das Leben auf der Straße organisiert, wird für ihn eine Stadt mit ihrem Verkehr gefährlicher sein als ein undurchdringlicher Dschungel mit wilden Tieren.
Doch er wird nicht nur mit seiner Sicherheit beschäftigt sein, sondern er wird sich auch fragen, welchen Sinn diese ganze Geschäftigkeit hat? Menschen eilen in alle Richtungen, verschwinden in Eingängen, die sich öffnen und schließen lassen, oder in einem dieser fahrbaren Ungetüme. Manche Menschen sprechen in ein kleines Kästchen, das sie sich ans Ohr halten. Andere sitzen auf bequemen Bänken und halten weiße große seltsame Blätter in den Händen, in die sie vertieft sind. Was tun all diese Leute?
Die nächste Frage, die unseren Urwaldmenschen beschäftigt, ist wahrscheinlich die, wie man hier Essen findet. Nirgends scheint es hier Früchte zu geben oder Tiere, die man jagen könnte. Und doch sind alle Menschen gut genährt. Vielleicht entdeckt er mit der Zeit, dass Einzelne aus einem dieser Eingänge kommen und dabei etwas in der Hand halten, das sie essen. Neugierig tritt er näher und schaut durch eine große, glatte, durchsichtige Wasserscheibe. Drinnen liegen sauber geordnet verschieden geformte kleine hellbraune Zapfen, welche anscheinend essbar sind. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen von Menschen, die diese Zapfen abholen und im Gegenzug kleine flache Steine und eine Art farbige Blätter dalassen. Ein Tauschhandel?
Um herauszufinden, was all diese geschäftigen Menschen machen, wagt er es irgendwann, in einen der Eingänge zu gehen und landet in einem Großraumbüro. Ein Büro mit seinen Computern, Akten und Telefonen ist wahrscheinlich für einen Urwaldmenschen der Gipfel der Abstraktion und der Unverständlichkeit. Hier gibt es keine direkte, unmittelbare Tätigkeit, die sich einem unbedarften Beobachter als natürliche Arbeit erschließen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Urwaldmensch es schaffen könnte, von alleine den Sinn hinter all dieser Geschäftigkeit herauszufinden.
Eine Welt der Abstraktion
Die vielleicht gewöhnlichste und uns am vertrautesten erscheinende Bewusstseinsebene ist die sogenannte Alltagsrealität. Sie prägt und bestimmt unser normales alltägliches Leben, in dem wir als klar definierte Person in einem sozialen Gefüge agieren. Dabei beziehen wir uns unbewusst auf unzählige Abstraktionen, Konzepte, Regeln, Vereinbarungen, Handlungsabläufe und Hilfsmuster, die uns genauso selbstverständlich erscheinen wie Atmen, Trinken und Schlafen.
Doch auch wenn es zu unserer zweiten Natur geworden ist, in abstrakten Dimensionen zu denken und zu handeln, ist diese Welt rein menschengemacht und damit sekundär. Sekundär bedeutet in diesem Zusammenhang, dass auf dieser Ebene kaum mehr unmittelbare Erfahrungen eine Rolle spielen. Im Gegenteil, unmittelbare Erfahrungen werden hier abstrahiert und organisiert.
Wenn wir zum Beispiel einen Geldschein dazu benutzen, um eine Ware einzukaufen, dann beinhaltet dieser Vorgang implizit ein Bündel an Abstraktionen. Ein Geldschein hat keinen unmittelbaren Wert. Er ist ein bedrucktes Stück Papier, nichts weiter. Erst durch die Überzeugung, dass er einen bestimmten Wert besitzt, erhält der Geldschein seinen Wert. Man könnte also sagen, dass wir selbst den Geldschein durch unsere Gedanken »aufladen«. Aber natürlich genügt unsere Überzeugung alleine nicht. Erst wenn ganz viele Menschen den Geldschein mit der gleichen Überzeugung von Wert »aufladen«, lässt sich mit diesem Stück Papier etwas einkaufen.
Dabei gibt es noch viele andere Abstraktionen und Überzeugungen, die den Geldschein erst möglich machen. Zum Beispiel müssen wir die Existenz eines Staates anerkennen, der den Geldschein druckt und an alle Bürgerinnen ausgibt. Ein Staat ist jedoch genauso eine gedankliche Konstruktion wie ein Geldschein. Erst wenn wir an bestimmte Grenzen glauben, entsteht ein Staatsgebiet. Erst durch bestimmte Definitionen entstehen Staatsbürgerinnen. Und schließlich hat eine Organisationseinheit wie eine Regierung oder ein Parlament erst dann die Macht, Regeln aufzustellen und das Leben zum Beispiel mithilfe von Geldscheinen zu organisieren, wenn Bürgerinnen diese Vorgänge anerkennen.