Psychologie. Hans P. Langfeldt

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Название Psychologie
Автор произведения Hans P. Langfeldt
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846386255



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      Gergen zeigt an zwei Bereichen dessen, was wir gemeinhin zum Kernbereich unserer Individualität zählen, wie stark diese Bereiche durch die Beziehungsmuster, in denen wir leben, durchdrungen sind: individuelle Biographie und Gefühlswelt.

      Biographie

      Wir begreifen uns traditionell als mit einer persönlichen Geschichte ausgestattet (Biographie) und verstehen uns so, dass diese Geschichte mit all ihren Erinnerungen an Besonderheiten, Ereignisse, Empfindungen, mit Berufungen, Karriere und Schicksal unsere Individualität wesentlich ausmacht. Jeder Mensch – so sagt man – hat seine individuelle Geschichte. Aber man bildet sich seine Geschichte auf der Grundlage gesellschaftlich verbreiteter Erzählweisen, auf der Grundlage von Mustern wie (Miss-)Erfolgsgeschichte, Heldenepos, Tragödie, und die Inhalte unserer Biographie werden in Kommunikationsprozessen mit relevanten Anderen (Familie, Therapeut) entwickelt, formuliert, ausgehandelt, bestätigt oder verworfen.

      Gefühlswelt

      Wir begreifen uns traditionell (romantisch) am persönlichsten, privatesten und natürlichsten in unserer Gefühlswelt – aber was wir als natürliche Gefühle empfinden, ist geprägt von den gesellschaftlich vorgegebenen Emotionsmustern, mit denen wir Zustände physiologischer Erregung situativ angemessen deuten und etikettieren.

      Individualität als Collage

      Auf der Grundlage dieser Überlegungen nimmt für Gergen Individualität die Gestalt einer Collage an – eine Komposition unzusammenhängender, widersprüchlicher, konkurrierender, vorgefertigter Versatzstücke des kommunikativen Lebens eines Menschen. Gergen hebt drei Aspekte dieser Collage hervor (Gergen 1996, S. 289ff.):

      

Wir bestehen aus Fragmenten anderer Menschen, deren Auffassungen, Haltungen, Beurteilungskriterien, deren Gesten und Stimmen wir verinnerlicht haben.

      

Wir existieren als Teilnehmer in Sozialbeziehungen, d. h. wir begreifen uns als Teil solcher Beziehungen in Gestalt einer Rolle, die wir spielen möchten, wozu wir aber Mitspieler benötigen (»soziale Komplizenschaft«); diese Beziehungen sind aber aufgrund der sozialen Sättigung Teilbeziehungen, die voneinander abgegrenzt und in ihrer Geltung begrenzt sind; entsprechend bedürfen sie »nicht des vollen Selbstausdrucks«, sondern fordern uns nur in fragmentierter Weise.

      

Wir schlüpfen in Ersatzwesen, in Figuren und Rollen, die uns aus überlieferten Beziehungsmustern geläufig und vertraut sind und die wir gleichsam »nachspielen«. Film und Fernsehen sind unsere Hauptlieferanten, die uns Ersatzwesen zur Verfügung stellen.

      Konsequenzen

      Gergen ist sich bewusst, dass seine Auffassung Konsequenzen für das Selbstverständnis von Menschen haben kann, die beunruhigend und bedrohlich erscheinen. »An diesem Punkt der Analyse erscheinen die Alltagsverhältnisse der postmodernen Welt sehr problematisch. Tiefe Beziehungen sind am Aussterben, das Individuum ist wegen des Aufgebots an Teilbeziehungen gespalten, und man lebt sein Leben als eine Serie unzusammenhängender Posen. Da der konstruierte Charakter der Ersatzidentitäten immer offensichtlicher wird, verliert das Selbst sowohl für den Darsteller als auch für das Publikum seine Glaubwürdigkeit. Das Alltagsleben scheint sich in ein Spiel oberflächlicher Heuchelei zu verwandeln, in ein Scherzo der Trivialität« (Gergen 1996, S. 300 f.). Er entwickelt aus seinen Betrachtungen aber auch Konsequenzen, die ein anderes Bild zeichnen:

      

Wenn es keine objektiven Kriterien für die Gültigkeit einer Persönlichkeitstheorie gibt, empfiehlt sich eine Haltung der Toleranz den unterschiedlichsten Entwürfen gegenüber. So spricht nichts dagegen, auch traditionelle Persönlichkeitstheorien zu vertreten, wenn man sich nur über den kontingenten Charakter ihrer Geltung im Klaren ist.

      

Statt eine Theorie zu verteidigen bzw. ein Beschreibungsvokabular als verbindlich festzulegen, empfiehlt Gergen die Erweiterung des Beschreibungsvokabulars bzw. Neuerfindungen. »Es gibt wenig Grund, irgendeine Stimme zu unterdrücken. Vielmehr bestimmt man mit jedem neuen Vokabular oder jeder neuen Ausdrucksform die Welt auf unterschiedliche Weise und spürt in der einen Aspekte des Lebens, die in der anderen verborgen oder nicht vorhanden sind, wodurch in einer Modalität Beziehungskapazitäten eröffnet werden, die sonst verschlossen bleiben« (Gergen 1996, S. 389).

      

Wenn unser Selbstverständnis in so dramatischem Maße von den Sozialbeziehungen abhängt, erwächst daraus eine enorme Verantwortung des Anderen im Anteil an der Gestaltung der Beziehung.

      

Die Orientierung psychotherapeutischen Handelns verlagert sich von der Erforschung der inneren Quellen des Selbst zur Reflexion der Erzählungen und Metaphern, in denen man sein eigenes Leben beschreibt und versteht sowie zur Verbesserung des Verhandlungsgeschicks, mit dem man die Sozialbeziehungen, in denen man lebt, ausgestaltet.

      Die Überlegungen Gergens stellen sehr grundlegende Vorstellungen über das autonome Individuum in Frage und skizzieren ein Bild des Menschen, das möglicherweise fremd erscheint. An dieser Stelle ist vielleicht der Hinweis auf andere Kulturen angebracht: in östlichen oder afrikanischen Kulturen z. B. ist die Vorstellung, dass der einzelne Mensch sich wesentlich als Teil einer größeren sozialen Einheit, z. B. der Familie oder der Firma, begreift, selbstverständlich. In diesen Kulturen ist die Vorstellung einer autonomen Individualität dagegen nur schwer verständlich.

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