Existenzielle Gewissheit und individuelle Beständigkeit. Bernardo Gut

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Название Existenzielle Gewissheit und individuelle Beständigkeit
Автор произведения Bernardo Gut
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772541162



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blieben die Ausführungen konfus, mehrdeutig. Wenn immer möglich, vermied es Hohfeld, neue Ausdrücke einzuführen; er strebte vielmehr danach, bekannte, in Gebrauch befindliche Wörter beizubehalten – aber jedem der acht fundamentalen Termini eine eindeutige, klare, unmissverständliche Bedeutung zur verleihen. Und damit einhergehend forderte er alle an dem rechtlichen Diskurs Beteiligten dazu auf, diese acht grundlegenden Fachausdrücke hinfort in der von ihm vorgeschlagenen genauen begrifflichen Bedeutung zu verwenden4.

      Wie Hohfeld herausfand, bilden die dank den eindeutig festgelegten Ausdrücken klar erfassten Begriffe vier auffallende, charakteristische rechtliche Beziehungsformen, die ich als abstrakte Grundfiguren bezeichne. Jede dieser Figuren hebt eine besondere Form der Rechtsbegünstigung gegenüber einer ebenso spezifischen Art der Rechtsohnmacht oder Rechtsbürde hervor. Ich gebe im Folgenden Hohfelds englische Termini an und füge sinnentsprechende deutsche Ausdrücke dazu5:

       Gegensätze von Rechtsgunst und Rechtserduldung (Jural Opposites)

Figur I Figur II Figur III Figur IV
A claim [right*)] (Forderung; Anspruch auf etwas) privilege, liberty to … (Vorrecht auf etwas; gewährte Freiheit zu etwas) power (Erhaltene Befugnis zu etwas) immunity, exemption (Entbindung, Befreiung von etwas)
B no-right, no-claim (Erduldung; kein Anrecht auf etwas) duty (Verpflichtung zu etwas) disability (Unvermögen zu etwas; Unfähigkeit rechtlich Relevantes festzulegen) liability (Haftung für etwas; Bindung an etwas)

      *) Ein Recht sensu stricto

      Aus diesen Gegensatzpaaren zwischen verschiedenen, rein begrifflichen Spielarten von aktiver Rechtsgunst und passiver Rechtserduldung gehen vier einprägsame, konkrete Beziehungsformen hervor, in denen je zwei Individuen einander ergänzende, korrelative Positionen einnehmen:

       Rechtlich einander ergänzende, korrelative Beziehungsformen (Jural Correlatives)

Figur I Figur II Figur III Figur IV
A claim [right*)] (Forderung; Anspruch auf etwas) privilege, liberty to… (Vorrecht auf etwas; Gewährte bzw. tätige Freiheit zu etwas) power (Erhaltene Befugnis zu etwas) immunity, exemption (Entbindung, Befreiung von etwas)
B duty (Verpflichtung zu etwas) no-right, no-claim (Gewährtes erdulden; kein Anrecht, erhaltene Vorrechte zu unterbinden) liability (Haftung für etwas; Gebunden sein an etwas) disability (Unvermögen zu etwas; Unfähigkeit rechtlich Relevantes festzulegen)

      *) Anspruchsrecht sensu stricto

      In diesen realen Beziehungsformen nehmen die Rechtspartner korrelative, einander ergänzende, aufeinander bezogene Standpunkte ein. Immer geht es dabei um das Verhältnis eines Rechtsbegünstigten zu einem Rechtspflichtigen oder Rechtserduldenden.

      Einfache Beispiele für diese konkreten Beziehungsfiguren sind6:

      Für I: Ein Gläubiger A hat Anspruch (claim) auf die Rückzahlung der 1.000 €, die er B geliehen hat; B hat sich gegenüber A verpflichtet (duty), ihm diese Summe zurückzuerstatten.

      Für II: A besitzt das ihm gewährte Vorrecht (privilege, liberty), seine eigene Wohnung nach Belieben zu betreten; B muss dies (er)dulden, er hat kein Anrecht (no-right) darauf, A an der Ausübung seines Vorrechtes zu hindern bzw. As Wohnung ebenfalls zu betreten, wann immer es ihm (dem B) danach gelüstet. – A kann sein eigenes Handy, sein Fahrrad nach Belieben benutzen, wann immer er will; B hingegen hat weder ein Recht darauf, As Fahrrad noch dessen Handy zu verwenden, ohne die ausdrückliche Erlaubnis von A.

      Deutlich unterscheiden müssen wir zwischen claims (den Anspruchsrechten in eigentlichem Sinne und liberties (den Privilegien, Vorrechten auf etwas bzw. den gewährten oder spontan ergriffenen, tätigen Freiheiten zu etwas). So zeigen die aktiven Liberties, die aus Freiheiten erwachsenen Aktivitäten, unverkennbare Züge absoluter Individualrechte mit einem positiven Sozialcharakter. –

      Gegenüber den Beziehungsformen der Figuren I und II weisen jene der Figuren III und IV auf Anspruchsrechte (claims) bzw. Vorrechte (privileges) sekundärer Natur hin:

      Für III: A hat die ihm zustehende, anerkannte Befugnis (power), B die Vollmacht zu erteilen, ihn (d.h. A) bei Gericht zu vertreten. Sobald B die Vollmacht entgegengenommen hat, ist er gebunden ( liablility).

      Für IV: Angenommen, A habe B 1.000 € geliehen, und B habe sich verabredungsgemäß dazu verpflichtet, ihm diese Summe binnen zweier Monate zinsfrei zurückzuerstatten. Als B die 1.000 € zurückzahlt, verlange A den im Vertrag nicht vorgesehenen Zins von 10 %. A ist rechtlich nicht befähigt (disable), diese Vertragsänderung nachträglich einseitig einzufordern. B ist davor geschützt (entbunden, immune), auf As nachträgliche Forderung einzugehen. –

      Alle bisherigen, mir bekannten Untersuchungen deuten darauf hin, dass Hohfelds Kategorientafel rechtlicher Beziehungsformen, die zwischen zwei Individuen entstehen können, vollständig ist. Wesentlich in unserem Kontext sind drei Gesichtspunkte:

      1. Hohfeld hat keine inhaltlichen Naturrechte für die jeweiligen Rechtsbegünstigten einer gegebenen Beziehungsfigur aufgezeichnet, sondern er hat charakteristische Formen von Rechtsbeziehungen umrissen. Aus diesen ragt Figur I – welche Abmachungen, Vereinbarungen, Verträge umfasst – in qualitativer und quantitativer Hinsicht heraus. Auf die Analyse dieser Figur des Versprechens konzentrierte sich der I. Teil unserer Untersuchungen. Wesentlich für die in Figut I gekennzeichnete Rechtsrelation ist, dass nicht der Rechtsbegünstigte, sondern der Rechtspflichtige eine Tat vollbringen bzw. unterlassen muss. Ganz anders ist der Sachverhalt im Falle der Relation, auf welche die Figur II hinweist: Hier darf der Rechtsinhaber, nämlich A, etwas tun oder unterlassen, das B zu tolerieren hat, weil ihm kein Anspruchsrecht zusteht, As Tun bzw. Lassen zu behindern oder zu unterbinden. Das mit Figur