Lernen mit Bewegung und Lernen in Entspannung. Jennifer Schilitz

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zwischen Nervenzellen“ (Arndt & Sambanis 2017: 170) statt. Über die Dauer der Konsolidierungsphase herrscht bei verschiedenen Autoren Uneinigkeit, wobei von einigen Stunden oder wenigen Tagen bis hin zu Monaten oder Jahren ausgegangen wird (vgl. Brand & Markowitsch 2009: 73). Die encodierte Information wird im Gedächtnis gespeichert und für einen späteren Abruf, das Erinnern, bereitgehalten (vgl. Becker-Carus & Wendt 2017: 355). Für die Konsolidierung spielt auch Schlaf eine Rolle. Im Schlaf werden Informationen an den Hippocampus weitergegeben (vgl. Sambanis 2013: 85). Der Mythos des aktiven Lernens unbekannter Inhalte im Schlaf kann allerdings nicht bestätigt werden.

      Während sich die Annahme, im Schlaf könnten aktive Aufbauprozesse stattfinden, also beispielsweise über Kopfhörer Wörter gelernt werden, als irrig, wenn auch marktstrategisch reizvoll erwiesen hat, wird im Schlaf intensiv nachbereitet, letztlich also doch gelernt, allerdings eben konsolidierend. (ebd.)

      2.5.2.3 Lexikalischer Abruf

      Es lohnt, Vorgänge lexikalischer Speicherung zu kennen und Lerngelegenheiten darauf basierend auszurichten, da dies den Abruf erleichtert (vgl. Neveling 2004: 49f.). Als förderlich für einen gezielten Abruf und die hierfür notwendige Grundlage einer möglichst langfristigen Speicherung erweisen sich verschiedene Faktoren, die Neveling (ebd.: 57) folgendermaßen listet: So sollten Begriffe „mehrkanalig“ zur Verfügung gestellt und in „sinnhaltige Verbindungen mit den bestehenden Wortknoten“ (ebd.) gebracht werden. Zudem intensivieren „[m]ultiple und multimodale Einordnungen durch den Lerner selbst […] die Verarbeitungstiefe“ und verstärken „die Möglichkeit, über mehrere Verbindungsspuren zu dem gesuchten Wort zu gelangen.“ (ebd.) Einander ähnliche Wörter können zu Interferenzen führen und sollten deshalb mit etwas Abstand zueinander gelernt werden. „Wörter mit niedriger Semantizität hingegen sollen mit hochsemantischen relationiert werden“ (ebd.), ergo mit „konkreten Wörtern, Bildern und affektiv belegten Erlebnissen.“ (ebd.) Um dem Zerfall von Gedächtnisspuren entgegenzuwirken und zugleich „partiell benachbarte Wortknoten“ (ebd.) zu aktivieren, zeigen sich Wiederholungen als dienlich.

      Für den lexikalischen Zugriff, womit der Abruf auf gespeicherte Wörter für den rezeptiven oder produktiven Gebrauch gemeint ist, gibt es verschiedene Modelle wie die Kaskaden-Aktivierungsmodelle und die discrete-serial-Modelle, die immer auf den Vorstellungen des mentalen Lexikons beruhen (vgl. Kehrein 2013: 16).

      Discrete-serial-Modellen zufolge werden nur ausgewählte Lemmata phonologisch aktiviert, während bei Kaskaden-Aktivierungsmodellen angenommen wird, dass alle durch das Gedächtnis aktivierten lexikalischen Knoten eine entsprechende – schwächere oder stärkere – phonologische Aktivierung verursachen. (Teymoortash 2010: 96)

      Jedoch ist bei einem erfolgreichen Abruf der gesuchten lexikalischen Einheit nicht nur der Zugriff auf die Information maßgeblich, denn „[j]eder Abruf führt grundsätzlich auch zu einer Neueinspeicherung (Re-Enkodierung) des Inhalts“ (Brand & Markowitsch 2009: 75), was den Vorteil hat, dass aufgrund des Abrufs der Inhalt erneut gefestigt und somit stabiler wird. Dies birgt allerdings auch eine Gefahr, da es „nicht selten zu Verfälschungen bei der Re-Enkodierung [kommt], d.h. dass sich die Inhalte sukzessive und unmerklich verändern können“ (Brand & Markowitsch 2009: 75).

      2.5.3 Speichertheorien

      In der Forschung wurden für ein grundlegendes Verständnis des Gedächtnisses zahlreiche Modelle entwickelt. Von Interesse sind hier strukturalistische Modelle wie das Modell der Mehrspeichertheorie (multi-component-model) von Atkinson und Shiffrin (1969), das Arbeitsgedächtnismodell nach Baddeley und Hitch (1974) und das Langzeitgedächtnismodell von Squire (1987, 1992), funktionalistische Modelle wie das Modell der Verarbeitungstiefe von Craig und Lockhart (1972) sowie das strukturell-funktionale Modell nach Paivio (1971). Zudem wird die Theorie der Embodied Cognition in diesem Zusammenhang betrachtet.

      2.5.3.1 Die Mehrspeichertheorie

      Gemäß der Mehrspeichertheorie (multi-component-model) von Atkinson und Shiffrin (1969) werden Informationen in verschiedene, aufeinanderfolgend relevante Speicher geleitet. Im sensorischen Gedächtnis (sensory buffer), auch Ul-trakurzzeitgedächtnis genannt, werden Reize (z. B. Töne oder Bilder) aus der Umwelt aufgenommen und für einige Sekundenbruchteile bereitgehalten. Bei ausreichender Aufmerksamkeit werden sie an das Kurzzeitgedächtnis (short term memory) weitergeleitet und bearbeitet, weswegen es aufgrund der Informationsverarbeitungen, die hier geschehen, nach Baddeley (1986) auch Arbeitsgedächtnis genannt (working memory) wird. Zwei Hilfssysteme, die phonoligische Schleife (phonological loop) und der visuell-räumliche Skizzenblock (sketchpad) unterstehen dem Arbeitsgedächtnis und machen seine hauptsächlichen Aufgaben, „die Lenkung von Aufmerksamkeit und die Kontrolle, Koordination und Integration von Informationen“ (Stork 2003: 58), möglich.

      Im Langzeitgedächtnis können Informationen und Erinnerungen dauerhaft gespeichert und abrufbereit gehalten werden (vgl. Becker-Carus & Wendt 2017: 356), wobei die Kapazität unbegrenzt ist. In Bezug auf das Fremdsprachenlernen ist zudem von Interesse, dass „[d]as bevorzugte Repräsentationsformat im Langzeitgedächtnis […] im Falle von verbalem Material die Bedeutungsrepräsentation (semantische Kodierung) [ist]“ (Stork 2003: 59). Beim Erinnern werden Informationen aus dem Langzeitgedächtnis dem Arbeitsgedächtnis wieder zur Verfügung gestellt.

      2.5.3.2 Die Theorie der Verarbeitungstiefe

      Während in der Mehrspeichertheorie von unterschiedlichen Speichersystemen ausgegangen wird, steht dem Gedächtnis in der von Craig und Lockhart (1972) entwickelten Theorie der Verarbeitungstiefe1 (depth of processing) nur ein einziger Gedächtnisspeicher zur Verfügung und die Behaltensleistung einer Information weist eine Abhängigkeit zur Tiefe ihrer Verarbeitung auf (vgl. Stork 2003: 61), obwohl sie, ähnlich den Grundgedanken der Mehrspeichertheorie, bestätigen: „certain analytic operations must preceed others“ (Craig & Lockhart 1972: 675). Unterteilt wird in flachere und tiefere Verarbeitungsebenen:

      Preliminary stages are concerned with the analysis of such physical or sensory features as lines, angles, brightness, pitch, and loudness, while later stages are more concerned with matching the input against stored abstractions from past learning; that is, later stages are concerned with pattern recognition and the extraction of meaning. This conception of a series or hierarchy of processing stages is often referred to as "depth of processing" where greater "depth" implies a greater degree of semantic or cognitive analysis. After the stimulus has been recognized, it may undergo further processing by enrichment or elaboration. For example, after a word is recognized, it may trigger associations, images or stories on the basis of the subject's past experience with the word. (ebd.)

      Dabei unterscheiden sie oberflächlicheres (Typ 1) Üben, bei welchem lediglich bereits Gelerntes wiederholt wird von einem Wiederholen, das eine tiefere Verarbeitung (Typ 2) beinhaltet, wobei sich zweitere für den Abruf von Informationen als vorteilhafter erweist:

      This Type I processing, that is, repetition of analyses which have already been carried out, may be contrasted with Type II processing which involves deeper analysis of the stimulus. Only this second type of rehearsal should lead to improved memory performance. (ebd: 676)

      Neveling (2017: 378) weist darauf hin, dass nach dieser Theorie für die produktive Wortbeherrschung eine tiefere Verarbeitung vonnöten ist.

      2.5.3.3 Die Theorie der dualen Kodierung

      In seiner strukturell-funktionalen Theorie der dualen Kodierung (dual coding theory = DCT) geht Paivio (1971) davon aus, dass Informationen in zwei verschiedenen Systemen, einem verbalen und einem imaginalen, gespeichert werden (vgl. Clark & Paivio 1991: 151f.).

      According to DCT, mental representations are associated with theoretically distinct verbal and nonverbal symbolic modes and retain properties of the concrete sensorimotor events on which they are based. (ebd)

      Wenngleich beide Kodierungssysteme unabhängig voneinander arbeiten, sind sie doch im Austausch